Toleranz über alles?

Ist es nicht eine Überheblichkeit ohnegleichen, wenn die Christen behaupten,
die alleinige Wahrheit zu besitzen?

Als Papst Urban gegen Ende des 11. Jahrhunderts zu einem grossen Feldzug gegen die islamischen Türken aufrief, da konnte er die jungen Männer Europas ohne Mühe dafür begeistern, auf Jahre in den Kampf zu ziehen. Für sie war es selbstverständlich, im Christentum die einzig richtige Religion zu sehen. Deshalb bezweifelten sie auch nicht, dass man Gott einen Gefallen tut, wenn man die Heiden bekämpft und dem Christentum, auch mit der Waffe in der Hand, zum Sieg verhilft.

Wäre Urban unser Zeitgenosse und wollte sein Unternehmen heute versuchen, so würde er wohl nur ungläubiges Lachen ernten. Wir haben nicht nur die Nase voll vom Krieg, wir tun uns auch schwer mit der Frage, ob denn das Christentum wirklich die einzig wahre Religion sei.

Wir leben eben im Zeitalter der Toleranz! Wir wollen uns nicht mehr um des Glaubens willen bekämpfen, wollen einander gelten lassen, den anderen achten und tolerieren, auch wenn er etwas anderes glaubt. Ist das denn falsch? Ich kann nur sagen: Gott sei Dank, dass wir keine Kreuzzüge mehr führen oder Andersgläubige auf dem Scheiterhaufen verbrennen. Gerade Christen bringt die Toleranz unserer Zeit ja auch Vorteile, die nicht zu verachten sind: niemand wird mehr gefoltert, weil er etwas anderes glaubt als die vorherrschende Meinung.

Aber die Sache hat auch eine Kehrseite. Wenn wir in diesem Klima der Toleranz dazu aufrufen, in die Welt zu gehen und Leute aus anderen Religionen zu bekehren, bekommen wir Ärger. Das ist doch intolerant! Das gefährdet den Frieden unter den Menschen und ist ein Rückfall in die finstere Epoche europäischer Besserwisserei. Wenn jeder auf seine Weise selig werden kann, dann brauchen wir wirklich keine Mission mehr.

Nun spricht die Bibel an vielen Stellen unmissverständlich davon, dass Jesus der Retter aller Menschen ist. Ist er nicht tatsächlich eine Anmassung? Muss man das wirklich so krass und kompromisslos sagen? Haben nicht auch die anderen Religionen ihren Anteil an der Wahrheit?

Das Christentum und die Religionen

Wie steht es also um das Verhältnis zu den Religionen der Welt? Im Blick auf die Mission ist das eine entscheidend wichtige Frage. Zu der simplen Selbstverständlichkeit, mit der frühere Christen annahmen, das Christentum sei die einzig wahre Religion, wird man wohl kaum noch zurückfinden.

Auch muss man zunächst einmal feststellen, dass alle Menschen, auch aus anderen Religionen ja einiges verbindet. Alle haben grundlegende Fragen: Woher kommen wir? Wer sind wir? Wohin gehen wir? Gibt es einen Sinn hinter unserer Existenz? Wenn ja, welchen?

Schon in den Höhlenmalereien aus der Steinzeit finden wir Andeutungen, dass die Menschen sich darüber Gedanken gemacht haben, und bis heute schreiben die Philosophen und Theologen dicke Bücher darüber. Menschen aller Zeiten und Kontinente verbindet ausserdem die Ahnung, dass die greifbare, messbare Welt und ihre Erscheinungen nicht die einzige, letzte Wirklichkeit ist.

Als eine Ausnahme könnte man den Materialismus, die Haltung vieler unserer westlichen Zeitgenossen, ansehen. Sie gehen davon aus, dass die Wirklichkeit sich auf das beschränkt, was sich innerhalb von Raum und Zeit erklären lässt. Bei einem solchen Weltbild erübrigt sich natürlich die Frage nach Gott und einem Sinn hinter den Dingen.

Aber mit einem wirklich bewussten Materialismus und Atheismus lässt es sich nur schwer leben. Wirklich beweisen können die Atheisten ihre Annahmen ja nicht, auch wenn sie sich oft sehr wissenschaftlich gebärden. So finden auch sie sich immer wieder vor den bohrenden Fragen und müssen sich gegen die religiöse Sehnsucht, die doch irgendwie in allen Menschen zu stecken scheint, verteidigen. Man hat den Eindruck, dass viele Menschen sich im Grunde mit der Ausrede, dass Gott ja nicht nachweisbar sei, vor den letzten Fragen drücken und sie nie an sich heranlassen.

Ist das Christentum die beste aller Religionen?

Nach dieser Anschauung sind alle Religionen gleicher Art, aber es gibt gute, bessere und noch bessere. Und das Christentum ist die allerbeste! Das muss man natürlich nachweisen. Dann könnte man anführen: Das Christentum hat die höhere Kultur erreicht, Tugenden wie Nächstenliebe und Demut gefördert.

Diese Antwort hat nur einen Haken: Die anderen glauben von sich natürlich auch, dass sie die beste Religion haben. Ich hörte von einem Missionar, der in Kalkutta mit einem Hindu darüber ins Gespräch kam. Der verwies auf die hinduistische Philosophie, auf Ghandi, die uralte Veda-Literatur, Meisterwerke der Tempelbaukunst - und der Missionar war drauf und dran, wieder nach Hause zu gehen. Und wenn dann die anderen anfangen, all die Schandtaten aufzuzählen, die von Christen im Lauf der Geschichte begangen worden sind, dann bleibt einem die Antwort vom Christentum als der am höchsten entwickelten Religion im Halse stecken. Bei einem Naturvolk im abgeschiedenen Urwald käme man mit dieser Meinung vielleicht noch durch, aber nicht angesichts der grossen Weltreligionen.

Erfahrung bestätigt die Wahrheit

Für viele Christen ist das wichtigste Argument: "Ich habe Gott erlebt, darum muss hier die Wahrheit liegen!" Dies ist in der Tat für den persönlichen Glauben eine starke Stütze. Aber frage einmal einen Moslem, der wird von Lebenssituationen berichten, in denen auch er Gottes Bewahrung und Führung sieht. Oder frage einen Hindu-Mystiker, was er in der Entrücktheit seiner Meditationen alles erlebt. Oder was der Schamane einer Naturreligion von Begegnungen mit Geistern oder Krankenheilungen erzählen kann. Auch diese Antwort führt also nur ins Unentschieden.

Wir sind doch alle gleich

Die heute unter Christen populärste Antwort ist: Wir sitzen doch mit den anderen Religionen alle im gleichen Boot: Wir sind auf der Suche, leben und streben auf das Gute hin, sind zwar auf verschiedenen Wegen unterwegs, aber zum gleichen Ziel, und haben alle noch nicht die ganze Antwort. Deshalb sollten wir uns nicht bekämpfen oder miteinander konkurrieren, sondern voneinander lernen. Nicht Mission ist deshalb gefragt, sondern der partnerschaftliche Dialog. Auf dieser Grundlage lässt man einander leben, ja, man kann auch gemeinsame Aktionen durchführen, zum Beispiel für den Frieden beten oder an der Lösung der Weltprobleme arbeiten. Das klingt gut, aber sind wir damit aus dem Schneider?

Auch diese Haltung hat einen Haken: Nicht nur die Wege der Religionen sind sehr verschieden, auch ihre Ziele. Ich will versuchen, die Ziele der wichtigsten Religionen kurz und grob zu skizzieren – in einer etwas vereinfachten Darstellung.

Für die Hindus ist das Leben im wesentlichen Leiden. Und das nicht nur in einem einzigen Leben, sie rechnen mit der Reinkarnation, einem endlosen Kreislauf von Existenzen. Es gibt nur eine Chance, da herauszukommen: durch religiöse Anstrengungen kann man sich langsam hocharbeiten. Nach vielen Leben mit religiöser Höchstleistung kann man schliesslich ins Nirwana eingehen, eine harmonische Überwelt, in der die Seele aufgeht und nicht mehr zurück muss in den Kreislauf des Leidens. Es gibt unzählige Götter, die helfen können, aber ihre Hilfe muss man sich verdienen durch eine endlose Folge von Opfern und Zeremonien.

Der Buddhismus sieht die Dinge ähnlich: Leben ist Leid. Aber das Problem muss an der Ursache bekämpft werden, und die liegt in der Gier nach Macht, Geld und Lust. Diese Grundübel kann man nur ausrotten durch Übung im Selbst-Absterben (Yoga). Wer sich selbst ganz entleert, wird nicht mehr umgetrieben von Begierden, er erlebt Erlösung - von sich selbst. Ein Gott spielt dabei keine Rolle. Buddha war lediglich Lehrer und Vorbild der Menschen.

Für den Islam ist das Leben eine Vorbereitungszeit auf das Ziel: das Paradies. Das liegt hinter dem Tod, es steht unter der absoluten und unwidersprochenen Herrschaft Gottes. Man kommt dorthin durch Ergebung unter den Willen Gottes und das Schicksal, das er einem zuteilt, sowie durch bestimmte religiöse Taten: Fasten, Almosen geben, regelmässiges Gebet und Wallfahrten nach Mekka.

Die Anhänger der Naturreligionen sehen die Erscheinungen der Natur belebt von Geistern, die Einfluss nehmen können auf das Leben der Menschen. Darum muss man Schutzmassnahmen treffen durch Handlungen, die ihr Wohlwollen auslösen, vor allem durch Opfer und Rituale und durch das Einhalten bestimmter Tabus. Spezialist für den Umgang mit den Geistern ist bei vielen Völkern der Schamane, der die Rituale kennt und Kontakt mit den Geistern aufnehmen kann. Es geht also um die Absicherung des Lebens gegenüber der Geisterwelt. Nach dem Tod gehen die Menschen in eine Art Totenreich. Von dort aus können sie aber noch Einfluss nehmen auf das Leben, darum muss man auch für sie Rituale durchführen (Ahnenverehrung). Wenn bei der Begräbniszeremonie etwas schiefgeht, bleibt der Geist des Toten in der diesseitigen Welt und spukt herum, bedroht also die Lebenden.

Ein Blick auf diese kurze Revue verschiedener religiöser Vorstellungen berechtigt zu der Frage: Sind wirklich alle auf dem Weg zum gleichen Ziel? Das wäre doch so, als ob jemand auf dem Flugplatz steht und überlegt, welches Flugzeug er nehmen soll, und dann beschliesst: Ich steige einfach in irgendeines, sie sind ja alle auf ihre Weise unterwegs zum gleichen Ziel. Das kann man natürlich machen, vorausgesetzt, man will gar kein bestimmtes Ziel erreichen, sondern nur das Fliegen geniessen.

Lässt man also die Vorstellungen der verschiedenen Relgionen alle als gleichwertig nebeneinander stehen, dann heisst das letztlich, dass die Frage nach der Wahrheit überhaupt keine Rolle spielen kann. In der Tat ist das die Auffassung vieler Menschen. Nach ihrer Ansicht stillt die Religion bestimmte Bedürfnisse, sie gibt dem Menschen Sinn, Halt, Lebensinhalt und Welterklärung, aber was er dabei glaubt, ist im Grunde egal. Ob Atheist, Moslem oder Hindu, Hauptsache, man ist glücklich damit.Mit anderen Worten: Eine Antwort auf die Fragen nach dem Sinn und nach Gott kann es nicht geben, wir sind allein in einem sinnlosen Universum, Religion ist dabei nur eine nützliche Täuschung.

Religionen als Wege zu Gott?

Wenn keine der Antworten wirklich befriedigt, gibt es dann letztlich doch keine Wesensunterschiede zwischen den Religionen und dem Christentum? Dann wäre Mission ja tatsächlich eine Anmassung.

Nun, werfen wir noch einmal kurz einen Blick auf die verschiedenen Religionen. Die Vorstellung oder Ahnung, dass ausser der sichtbaren Welt noch andere, übernatürliche Bereiche existieren, ist weltweit verbreitet. Dieses Bewusstsein scheint tief im Menschen verwurzelt zu sein. Auf die verschiedenste Weise, je nach den Vorstellungen und Anleitungen der jeweiligen Religion, versuchen die Menschen, mit dem Übernatürlichen in Beziehung zu treten.

In allen Religionen kennt man aber auch das Bewusstsein, dass diese Beziehungen nicht einfach ungebrochen und ungetrübt sind. Irgendwie wird doch das Leben mit allen Nöten, Krankheiten und Problemen und auch das Leben nach dem Tod als bedroht empfunden, und das wird mit dem Übernatürlichen in Zusammenhang gebracht.

Alle Religionen erkennen irgendwie: Zwischen diesem "jenseitigen" Bereich und unserem gegenwärtigen Leben ist ein Bruch, eine Disharmonie. Christen sprechen dabei von der Sünde, die von Gott trennt. Andere Religionen definieren das anders, aber auch sie sehen, dass es da ein Missverhältnis gibt, das überwunden werden muss. Es kann Götter geben, die helfen, erleuchten, Wege offenbaren oder auch bedrohen und strafen - aber sie sind auf der anderen Seite, in einem glücklicheren Jenseits. So versucht der Mensch, mit dem Übernatürlichen ins reine zu kommen, sich die Götter günstig zu stimmen, sein Leben gegen Unheil abzusichern oder seine Zukunft im Jenseits vorzubereiten und zu klären.

Das sieht in den einzelnen Religionen natürlich recht unterschiedlich aus. In den Naturreligionen suchen die Menschen Schutz vor bösen Geistern oder Naturgewalten; andere suchen Vorteile bei ihren Göttern, etwa Fruchtbarkeit, Glück oder eine Belohnung im Jenseits. In einigen Religionen werden mystische Erlebnisse angestrebt, die einen der Problematik des Lebens entheben sollen. Wieder andere versuchen, sich übernatürliche Kräfte nutzbar zu machen und sie im Leben anzuwenden. In vielen Religionen ist es ein Grundmotiv, durch Opfer, Riten oder Askese das Wohlwollen der Gottheiten zu gewinnen. Allen Religionen ist aber eines gemeinsam: Der Mensch ist gefordert. Tu etwas, streng dich an, bringe religiöse Höchstleistung, oder du erreichst das Ziel nicht!

Wo liegt der Unterschied?

Und das Christentum? Auch die Bibel spricht von einem Graben zwischen Mensch und Gott, sie nennt ihn Sünde. Hier liegt nun der grosse Unterschied: Das Christentum glaubt, dass Gott diesen Abgrund überwand: "Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit sich selber" (2.Kor 5,19). Es geht nicht um die bessere Religion, sondern um die auf den Kopf gestellte Religion. Die Religionen sind unterwegs zu ihren Zielen, mit Christus kommt das Ziel zu den Menschen. Darum sagte Jesus dieses unerhörte Wort: "Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben."

Kein Denkmal für das Ego

Auch diese Sache hat einen Haken: Der Mensch kommt zunächst einmal nicht so gut weg dabei. Es ist für das Ego befriedigender, wenn man aus eigener Kraft eine Leistung vollbringt und das Ziel erreicht. Der Buddhist, der sein Ziel erreicht, hat wirklich etwas geleistet.

Einige haben auch das Christentum zu einer Leistungsreligion gemacht. Man hat zwar noch einen "lieben Gott", aber den Weg zu ihm muss man sich verdienen, etwa durch reichliche Kollekten, treuen Gottesdienstbesuch, ein tadelloses Leben oder das Einhalten vieler Verbote. Wer das versucht, muss sich die Frage gefallen lassen, ob das ausreicht. Der einzige, bei dem die Lebensführung wirklich ausreichte, um Gott zufriedenzustellen, war Jesus. An ihm müsste sich also jeder Mensch messen lassen, der mit Gott ins reine kommen will. Warum sollten man das Unmögliche versuchen um etwas zu verdienen, was Gott einem schenken will

In diesem Sinne ist das Christentum eben nicht eine Religion auf einer Reihe mit all den anderen, auch nicht die beste von allen. Es ist Gottes Antwort auf alle Religionen und alle Religiosität der Menschen.

Tolerant mit einer einmaligen Botschaft

Für Überheblichkeit ist kein Raum mehr. Christsein beruht nicht auf Leistung. Christen sind nicht besser, weil sie die besseren Argumente hätten sondern sie sollen andern sagen: Glauben im christlichen Sinn bedeutet, sich Jesus anzuvertrauen und sein Geschenk anzunehmen. Das aber kann man nur aus tiefstem persönlichem Verlangen heraus tun. Deshalb stehen der Mission keinerlei Machtmittel, keine psychologischen Tricks, keine Überredungskünste oder unwiderlegbaren Beweismittel zur Verfügung, auch Fanatismus oder drängender Eifer ist fehl am Platz. Durch all das wird ja kein echter Glaube geweckt. Der Auftrag Jesu ist unmissverständlich: Man soll “verkündigen”, also verständlich und gewinnend darlegen, worum es geht, und “Zeuge sein”, also darüber Rechenschaft ablegen, was man mit Jesus erfahren und erlebt hat.

Nirgendwo werden Christen aufgefordert, den Menschen anderer Religionen zu beweisen, dass sie falsch liegen, oder sie zu überzeugen, dass sie alleine recht haben. Christen sollten tolerant sein in dem Sinne, dass sie die Religon und Überzeugung anderer Menschen achten und respektieren, dass sie taktvoll und bescheiden auftreten und dem anderen volle Entscheidungsfreiheit zugestehen, das Angebot Jesu anzunehmen oder abzulehnen.

Auf der anderen Seite können sie aber nicht tolerant sein in dem heute so populären Sinn, dass sie die Einmaligkeit von Jesus relativieren. Das wäre eine falsche Verbeugung vor dem Zeitgeist. Diese Art von Toleranz würde verleugnen, worum es beim Christentum im Grunde geht: Um die Liebe Gottes, der alle Menschen mit sich versöhnen möchte. Die Antwort auf diese Liebe kann keine unverbindliche, nach allen Seiten offene Toleranz sein, Gottes Liebe sucht die ungeteilte Gegenliebe aller Menschen. Von dieser Liebe Gottes soll die ganze Welt erfahren!

Aus „Mission unter Beschuss“, Hänssler-Verlag 1996. Copyright beim Herausgeber, Andreas Holzhausen.

Datum: 24.04.2002
Autor: Andreas Holzhausen
Quelle: Hänssler Verlag

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