Top-Diplomat und christlicher Mystiker
Dag Hammarskjöld gilt als kühler, verhandlungsstarker Politiker und Friedensstifter im Auftrag der Vereinten Nationen. Bis man nach dem Tod des UNO-Generalsekretärs eine Art geistliches Tagebuch findet. Darin offenbart er eine ganz andere Dimension seiner Persönlichkeit: Eine tiefreligiöse Haltung, die mehr einem christlichen Mystiker als einem Top-Diplomaten entspricht. «Das einzig richtige Profil, das man von mir zeichnen könnte, ergeben diese Notizen», schreibt er darin.
Als jüngster von vier Söhnen des schwedischen Premierministers Hjalmar Hammarskjöld wird er am 29. Juli 1905 in eine religiöse Familie hineingeboren, die bereits viele herausragende Staatsbeamte, Bischöfe und Künstler hervorgebracht hat. Auch Dag Hammarskjöld setzt die Familientradition fort, schliesst sein Studium der Rechts- und Wirtschaftswissenschaften mit hervorragendem Examen ab und wird zunächst Staatssekretär im Finanzministerium. Nach 1945 übernimmt er zunehmend diplomatische Aufgaben und wird 1951 stellvertretender schwedischer Aussenminister. Schon jetzt ist er ein Verfechter der schwedischen Neutralitätspolitik.
Neutral und vorausschauend
Zwei Jahre später wird der nur Insidern bekannte Schwede zum UNO-Generalsekretär gewählt. Bald verleiht er der schwerfälligen Weltorganisation durch seine neutrale Linie mehr Autorität. Der neue UNO-Generalsekretär engagiert sich für die Menschen in der Dritten Welt und für den Erhalt des Friedens - die Friedenstruppen mit den Blauhelm-Soldaten gehen auch auf ihn zurück. Statt zu warten, bis ein Konflikt eskaliert, setzt er auf vorausschauende Diplomatie und unblutige Lösungen. Verschiedene Krisenherde der Welt fordern den Einsatz des pflichttreuen und aufopferungsvollen Beamten: Der Suez-Krieg 1956 sowie die Konflikte im Libanon 1958 und in Laos 1959.
In seinen knapp acht Amtsjahren macht er sich durch seine undogmatische Politik nicht nur Freunde. In der Kongo-Krise schickt Hammarskjöld Uno-Truppen ins Land und versucht auch persönlich, zwischen den kämpfenden Parteien zu vermitteln. Im September 1961 reist der Diplomat zu erneuten Friedensgesprächen nach Nordrhodesien. Bei einem Nachtflug stürzt sein Flugzeug ab, Hammarskjöld kommt um. Die Umstände werden nie genau geklärt, ein Mordkomplott westlicher Geheimdienste wird angenommen. Wenige Monate später erhält er posthum den Friedensnobelpreis.
«Gebraucht und verbraucht werden»
Beim Sortieren des Nachlasses findet ein Freund das Manuskript mit den tagebuchartigen Aufzeichnungen Hammarskjölds, das 1963 unter dem Titel «Zeichen am Weg» veröffentlicht wird. Nun wird deutlich, wie sehr sich der Politiker mit Gott verbunden wusste. «In seiner Hand hat jede Stunde einen Sinn», meditiert Hammarskjöld seine persönliche Gotteserfahrung. In mystischer Selbstversenkung glaubt er zu erkennen, was Gott mit ihm vorhat: «Mein Geschick ist es, gebraucht und verbraucht zu werden nach deinem Willen.»
Als Sinn seines Lebens erkennt er den Dienst an der Gemeinschaft. Auch die Uno ist für ihn in erster Linie Dienerin der Menschheit und dürfe sich nicht von Einzelinteressen beeinflussen lassen. Diesen Gedanken hatte er in den Schriften der mittelalterlichen Mystiker gefunden - bei Meister Eckart, Johannes vom Kreuz, Thomas von Kempen und Blaise Pascal. Weitere Inspiration gaben ihm der Religionsphilosoph Martin Buber und Albert Schweitzer, mit denen er befreundet war.
Gleichwohl wird deutlich, dass sich Hammarskjöld seit seiner Kindheit einsam fühlte, was ihn offensichtlich sensibel für Gott machte und zu einer tiefen Spiritualität führte. «Dienen» und «Opfer» sind zwei Begriffe, die in Hammarskjölds Aufzeichnungen immer wieder auftauchen. Gerade zwischen den Fronten politischer Ideologien wusste sich der Diplomat in der bewussten Christus-Nachfolge. Zu Recht gilt der Weltpolitiker als eine der bedeutendsten Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts.
Datum: 18.09.2011
Autor: Angelika Prauss
Quelle: kipa / kna / job