Debatte über Opfertod von Jesus
Der Streit um eine Aussage zum Kreuzestod Jesu zieht weite Kreise. Burkhard Müller redete nicht lange um den heissen Brei herum. „Ich glaube nicht, dass Jesus für unsere Sünden gestorben ist", sagt der ehemalige Bonner Superintendent in einer WDR-Radioandacht. Kurz vor Ostern löst er damit heftige Reaktionen aus.
Hunderte Anrufe, Briefe und E-Mails gingen nach der fünfteiligen Andachtsreihe zum Kreuzestod Jesu im Büro des Evangelischen WDR-Beauftragten in Düsseldorf ein. Die Reaktionen, die noch immer nicht abreissen, bewegen sich zwischen Entsetzen und Begeisterung. „Da haben Sie aber eine Lawine losgetreten«, schreibt ein Hörer in einem Internet-Forum, und ein anderer bekennt: „Sie schaffen es auf ungewohnte Art, etwas für meinen Blutdruck zu tun."
Manche sind schockiert und werfen dem 70-jährigen Müller Verzerrung, Scharlatanerie und Irrlehren vor. Andere danken dem ehemaligen Sprecher des „Wortes zum Sonntag". Eine Frau schreibt: „Es hat mir in meiner Kindheit schon grosse Schuldgefühle und Traurigkeit gemacht, dass der arme Jesus schon vorausschauend für meine armseligen 'Sünden' elend am Kreuz umkommen musste."
„Zu sühnen braucht niemand etwas"
Viele moderne Theologen betonen, das Verständnis des Kreuzes als Sühnopfer beruhe auf „ein grausames und sadistisches Gottesbild, das der Lehre Jesu von der unbedingten Liebe Gottes widerspreche. Nikolaus Schneider, Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland, beispielsweise glaubt nicht, dass Gott ein Sühneopfer braucht, „denn es muss ja nicht sein Zorn durch unschuldiges Leiden besänftigt werden".Die Lehre, Jesus habe mit seinem Tod stellvertretend die Sünden der Welt auf sich genommen, passe überhaupt nicht zur Verkündigung Jesu, behauptet der evangelische Theologieprofessor Klaus-Peter Jörns. „Jesus verkündigt die Liebe Gottes als etwas Unbedingtes». Sie sei an keinerlei Vorleistung wie ein Opfer gebunden, sondern „kommt ganz aus Gott selbst." Zu sühnen brauche niemand etwas, der an Gottes Liebe glaubt und um Vergebung bittet.
„Wir wären hoffnungslos verloren"
Der Generalsekretär der Deutschen Evangelischen Allianz, Hartmut Steeb, warnt dagegen vor einer Verwässerung zentraler Inhalte der christlichen Botschaft. Jesus Christus sei für unsere Sünden am Kreuz von Golgotha gestorben. „Das ist der Kern des Evangeliums. Wenn jeder seine eigene Sünde und Schuld tragen müsste und es keine Stellvertretung gäbe, dann wären wir hoffnungslos verloren". Das sei das Evangelium, „die Frohe Botschaft, dass ich eben nicht selbst meine Sünde und Schuld tragen muss, sondern das dies ein anderer für mich trägt."Kommentar
Zentrum darf man nicht ins Wanken bringen
Von Bruno Graber
Manchem sträuben sich die Haare, wenn er von Opfer und Sühneopfer hört. An kaum einem Tag des Jahres tun sich viele Pfarrer so schwer mit der Predigt wie am Karfreitag: Jesus ist Gottes „Sühnopfer", das die Menschen mit seinem heiligen, teuren Blut und mit seinem unschuldigen Leiden und Sterben" von allen Sünden erlöst und mit Gott versöhnt.
Pfarrer Ulrich Parzany hat es einmal so formuliert: „Viele fragen sich, was das für ein Gott ist, der seinen Sohn massakrieren lässt. Die Antwort der Bibel: Das ist kein fieser Deal zwischen Vater und Sohn. Es ist Gott selbst, der sich in Jesus für uns Menschen hingibt! Wir sind Gott so wertvoll, dass er sich selber für uns hingibt. Die Allmacht der Liebe Gottes äussert sich nicht in blumigen Sätzen, sondern in schmerzvoller Hingabe."
"Und wehe mir, wenn ich das Evangelium nicht predigte!" Ein steiler Satz aus der Bibel. Paulus war so sehr von Jesus überwältigt, dass er gar nicht anders konnte, als die Botschaft weiterzusagen. Er war sich bewusst: Nicht die eigene Autorität eines Predigers garantiert den Wahrheitsgehalt der Bibel, sondern allein die Quelle, aus der sie stammt. Was wird heute nicht alles von den Kanzeln gepredigt. Wer aber nur das halbe Evangelium predigt, masst sich an, Gott korrigieren zu wollen.
Als einzelner Christ kann ich vielleicht Schwierigkeiten mit dem Verständnis vom Sühneopfer haben. Etwas ganz anderes ist jedoch die Frage, ob die Kirche das so lehren darf. Der biblisch fundierte Glaube an Jesus Christus sollte die alles klare und verbindliche Mitte sein. Wenn man beginnt, nicht nur einige Details am Rande, sondern das Zentrum ins Wanken zu bringen, dann geht man zu weit.
Oft vertritt man nur noch Teilwahrheiten, Teilerkenntnisse und Teilüberzeugungen, die heute gelten und morgen wieder verworfen werden können. Aber der Anspruch auf die eine, verbindliche Wahrheit ist längst aufgegeben. Einige Theologen berufen sich auf Toleranz, wenn es um ihre Interpretation von biblischen Wahrheiten geht. Recht intolerant zeigen sie sich jedoch, wann immer und wo immer Menschen für die Gültigkeit der Bibel eintreten.
Bedauerlich, dass es in der Christenheit heute keine Übereinstimmung mehr gibt in den zentralen Glaubensfragen, die über Jahrhunderte hinweg Konsens waren. Wer meint, er könne die Botschaft des Evangeliums den Menschen dadurch schmackhafter machen, dass er Teile der biblischen Wahrheit wegnimmt, der wird sich täuschen. Wenn die Kirche das hinnimmt oder gar akzeptiert, hat sie sich von ihren eigenen Grundlagen gelöst und hebt sich damit als Kirche selbst auf.
Wenn die Bibel die Grundlage des christlichen Glaubens ist, muss man daran festhalten, dass Jesus in seinem Kreuz sich für uns und unsere Sünden geopfert hat. Im Sühneopfer Jesu offenbart uns Gott grenzenlose Liebe. Das Festhalten an dieser zentralen biblischen Wahrheit ist weder ein „Rückfall in eine überholte Gottesvorstellung" noch „Schnee von gestern".
Artikel zum Thema:Geboren, um für andere zu sterben
Datum: 31.03.2009
Quelle: Livenet / epd