Weltkirchenrat beendet Vollversammlung in Porto Alegre

Das Logo der 9. Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) wird dargestellt.
Ruth and Samuel Kobia
Porto Alegre
Die Delegierten verlassen das Konferenzgebäude.

Mit einem Aufruf zu mehr Dialog zwischen den Religionen ist im brasilianischen Porto Alegre die 9. Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) zu Ende gegangen. Daran haben rund 4000 Vertreter aus mehr als 340 Mitgliedskirchen teilgenommen. Der ÖRK repräsentiert mehr als 500 Millionen Mitglieder.

Die Delegation der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) zog eine gemischte Bilanz des Treffens. Sie habe eine «offene Plenardebatte über die brennenden theologischen Fragen Kirchenverständnis, Abendmahl und Frauenordination» vermisst, sagte die hannoversche Bischöfin und Delegationsleiterin Margot Kässmann. Das zum ersten Mal angewandte Konsensverfahren bei Abstimmungen sei «mühsam und aufgesetzt» gewesen. Die Tagung habe aber gezeigt, dass Gemeinschaft unter Christen über alle kulturellen und nationalen Grenzen möglich sei.

Samuel Kobia strebt noch grössere Versammlung an

ÖRK-Generalsekretär Samuel Kobia zog eine positive Bilanz. In Porto Alegre sei die «Dynamik der ökumenischen Bewegung» deutlich geworden, so der Pfarrer der methodistischen Kirche aus Kenia. Kobia bekräftigte zudem seine Pläne für eine einzige Ökumene-Vollversammlung auf Weltebene in absehbarer Zeit mit den anderen kirchlichen Weltbünden von Lutheranern und Reformierten.

Mehr Weltkirchentag statt Diskussionsforum

Geräuschlos hat der Ökumenische Rat der Kirchen seine 9. Vollversammlung im brasilianischen Porto Alegre abgewickelt. Manch erwarteter Konflikt blieb aus: Protestanten und Orthodoxe, die sich sonst misstrauisch begegneten, verhielten sich friedlich. Differenzen zwischen Kirchen aus armen Ländern und denen aus Industriestaaten um die Globalisierung wurden unter den Teppich gekehrt. Die rund 4.000 Teilnehmer feierten fröhlich einen zehntägigen «Weltkirchentag». Weltweit für Aufsehen sorgte nur der Protest US-amerikanischer Kirchen gegen die Bush-Regierung wegen des Irak-Krieges.

Verhaltene Kritik

Dem Kasseler Bischof Martin Hein, der wieder in den ÖRK- Zentralausschuss gewählt wurde, vermisste «zündende Ideen» und Visionen für Reform der ökumenischen Bewegung. Der Präsident des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes, Thomas Wipf, bezeichnete die Arbeitsbedingungen bei den erstmals im Konsens getätigten Abstimmungen als «nicht optimal». Positiv gab sich Bischöfin Bärbel Wartenberg-Potter (Lübeck), die viel «Lebendigkeit und spirituelle Kraft» ausmachte.

Für Missfallen und Unmut sorgte bei allem Harmoniestreben die Tagungsregie. So beklagten viele Delegierte die fehlende Aussprache über einen Gebetsaufruf zur Reform der Weltwirtschaft. Einige empörten sich, das Dokument befördere einseitig Kapitalismuskritik und sei nicht von wirtschaftlichem Sachverstand getrübt. Auch der EKD-Ratsvorsitzende, Bischof Wolfgang Huber, konnte in dieser Sache nicht vermitteln. Die Globalisierung, betonte er in Porto Alegre, habe viele Gesichter: Zum einen könnten hasserfüllte Gewaltdemos gegen die Mohammed-Karikaturen weltweit organisiert werden. In kurzer Zeit seien aber internationale Hilfsaktionen für Katastrophen-Opfer wie etwa nach dem Tsunami möglich.

Konkrete Schritte verlangt

Der Weltkirchenrat müsse zwar weiter die Stimme der Armen und Benachteiligten der Welt sein, meinte der Ökumene-Experte Reinhard Frieling ein. Zugleich dürfe der ÖRK aber nicht beim «Aufschrei des Einzelnen» stehen bleiben. Nötig sei der Dialog mit Experten über eine gerechte Weltwirtschaftsordnung, der bisher unterblieben sei.

Frieling: «Unsere Ethik muss auch politikfähig gemacht werden.» Ansonsten werde der Weltkirchenrat nicht mehr ernstgenommen. Wie Frieling bemängelten auch andere Teilnehmer die einseitige Parteinahme des Weltkirchenrates beim Nahost-Konflikt zu Gunsten der Palästinenser. Damit könne der ÖRK nicht zur Versöhnung beitragen.

Auftritt der katholischen Beobachter

Stargast der Vollversammlung war der deutsche Kurienkardinal Walter Kasper. Der Präsident des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen stellte klar, dass der Vatikan auch in Zukunft allein schon aus strukturellen Gründen nicht dem ÖRK beitreten wird. Die römisch-katholische Kirche zählt rund eine Milliarde, der Weltkirchenrat rund 560 Millionen Mitglieder. Kasper warb aber für konkrete Ziele in der Ökumene wie wechselseitige Anerkennung der Taufe und einen gemeinsamen Termin der Kirchen für das Osterfest.

Während der Austausch mit den Katholiken berechenbar bleibt, betrat der ÖRK mit der Ausweitung seines Dialogs auf die Pfingstkirchen Neuland betreten. Diese Kontakte gelten seit langem als diffizil. Den Pfingstlern ist der Weltkirchenrat zu liberal, zu politisch und zu wenig fromm. Doch an einem Dialog sind beide Seiten interessiert.

Immerhin gilt die Pfingstbewegung als der am stärksten wachsende Zweig der Christenheit mit zurzeit zwischen geschätzten 400 bis 600 Millionen Anhängern. Für diese Annäherung könnte von Porto Alegre ein Signal ausgehen.

„Porto Alegre hat die Ökumenische Bewegung gestärkt“


Die im brasilianischen Porto Alegre zu Ende gegangene neunte Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) hat die Ökumenische Bewegung gestärkt. Die orthodoxe Präsenz habe sich verstärkt und die Beziehungen zu den charismatischen und pfingstlerischen Kirchen verbessert, unterstreicht Thomas Wipf in einem Interview.

Der Präsident des Rates des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbunds (SEK) bildete zusammen mit Christoph Stückelberger, Leiter des Instituts für Theologie und Ethik im SEK, und Lilian Studer von der Frauenkonferenz des SEK die offizielle Schweizer Delegation in Porto Alegre.

Esther R. Suter: Was hat sich seit der letzten ÖRK-Vollversammlung in Harare 1998 sichtbar verändert?
Thomas Wipf: Seit Harare hat sich die orthodoxe Präsenz verändert und verstärkt. Es ist ein eindeutiges Zeichen, dass sie im ÖRK verbleiben wollen. Dazu gehören auch wieder Delegationen aus Georgien und Bulgarien. Es sind ökumenisch gesinnte Orthodoxe, die nicht unbedingt repräsentativ sind für die ökumenische Position ihrer Kirche. Es ist unsere Aufgabe als Delegation, uns einzusetzen für die Teilnahme von Orthodoxen und für die Stärkung des ÖRK.

Welches waren für Sie die wichtigsten Themen an der Vollversammlung?
Als erstes Thema steht für mich die Zukunft der ökumenischen Bewegung im Vordergrund. Die Sicht einiger Europäer, der Frühling sei vorbei oder es sei Winterzeit für die Ökumene, kann ich nicht teilen. Wir arbeiten ökumenisch viel mehr zusammen, als dies in anderen Gegenden der Welt geschieht. Im Gespräch mit Delegierten aus Lateinamerika erhielt ich den Eindruck eines Aufbruchs in der Ökumene zwischen historischen Kirchen, die eine Bewegung hin zu den charismatischen und pfingstlerischen Kirchen machen in einer Vertiefung des Glaubens oder indem sie Evangelisation und Mission neu entdecken. Andererseits sagen mir Delegierte aus Pfingst- und charismatischen Kirchen, dass sie den Glauben nicht nur individualistisch verstehen, sondern Verantwortung für die Gesellschaft und soziale Strukturen entdecken. Das ist ein Weg aufeinander zu, der die Ökumenische Bewegung stärkt. Er wäre auch mit Katholiken vorstellbar.

Durch das geplante Globale Christliche Forum kann der ÖRK in fruchtbaren Kontakt kommen mit neuen christlichen Kirchen, die aus Pfingstkirchen und aus Kirchen charismatischer und evangelikaler Traditionen in Afrika und Lateinamerika entstanden sind. Erstmals in der Geschichte des ÖRK haben wichtige Vertreter der evangelikalen Kirchen in einer ÖRK-Versammlung gesprochen und sich positiv geäussert über ihre Beziehungen zum ÖRK. Neben einer möglichen Erweiterung des ÖRK soll gleichzeitig die ökumenisch-theologische Arbeit weitergeführt werden, denn der ÖRK ist der Ort, wo sowohl Dialog als auch Ergebnisse aus den Mitgliedskirchen zusammen kommen. Diese werden herausgefordert, in die Praxis umzusetzen, was geklärt worden ist.

Sie haben in Anlehnung an das Thema der Vollversammlung "In deiner Gnade, Gott, verwandle die Welt" im Plenum den Satz eingebracht "Verwandle die Kirchenleitungen".
Im Plenum ist entschieden worden, dass der ÖRK wieder eine führende Rolle im weltweiten ökumenischen Gespräch übernimmt und dass theologische Ergebnisse umgesetzt werden sollen. Es ist Zeit für konkrete Schritte. Der ÖRK sieht in der gegenseitigen Anerkennung der Taufe wie auch in der Setzung eines gemeinsamen Osterdatums eine Priorität. Ich habe das Gefühl, dass das Leben von Einheit in der Vielfalt eine so starke Einheit bedeutet, dass das, was uns theologisch und lehrmässig noch voneinander trennt, nicht hindern soll. Kirchenleitungen sollten sich tragen lassen von diesem Willen der Menschen, die Einheit zu leben, die schon da ist und zwar zu leben in Vielfalt. Der Wunsch nach sichtbarer Einheit darf nicht heissen, dass eine kirchliche Tradition sich als Massstab für alle andern erklärt.

Weitere konkrete Schritte?
Wirtschaftliche Gerechtigkeit ist ein weiterer Schritt der Konkretisierung der ökumenischen Gemeinschaft. Das betrifft vor allem Situationen von Ländern, in denen Armut und Abhängigkeit von internationalen Finanzinstitutionen herrschen und die Spielball von politischen Interessen geworden sind. An diesen Orten geht Widerstand vor allem von Kirchen aus. Gleichzeitig ist ein Aufbruch spürbar, um die Situation zu verändern und nicht einfach hinzunehmen. Die Veränderungskraft des christlichen Glaubens, wenn er gemeinsam zum Ausdruck kommt, ist stark spürbar.

Das führt nun zu Fragen der wirtschaftlichen Globalisierung und des Umgangs mit Wasser als ein Gut, das uns allen gegeben ist und niemandem gehört, weil es uns anvertraut ist. Dazu liegt von der Konferenz Europäischer Kirchen eine Stellungnahme vor, die in Zusammenarbeit mit dem Ökumenischen Rat Christlicher Kirchen Brasiliens, der Katholischen Bischofskonferenz Brasiliens, der Schweizerischen Bischofskonferenz und dem Schweizerischen Evangelischen Kirchenbund entstand. Wir wollen uns weltweit einsetzen dafür, dass der Zugang zum Wasser ein Menschenrecht ist und ein öffentliches Gut bleiben muss.

Ein anderes Anliegen der Schweizer Delegation ist "Globalance", unsere Stellungnahme zu wirtschaftlicher Gerechtigkeit. Es geht um Fragen der Globalisierung aus einem europäischen Blickwinkel: Globalance vertritt, dass Grundwerte in der westlichen Gesellschaft in eine Balance kommen müssen: Es soll eine Balance erreicht werden zwischen wirtschaftlicher Gerechtigkeit und Handelsfreiheit, ausgehend vom Leitgedanken der Gerechtigkeit, so dass ein materieller Ausgleich sichtbar wird.

Wie beurteilen Sie den so genannten "AGAPE"-Aufruf der Vollversammlung?
"AGAPE - Ein Aufruf zur Liebe und zum Handeln" ist der Titel eines sechsseitigen Dokuments, das die vom ÖRK und seinen ökumenischen Partnern seit der 8. Vollversammlung in Harare (1998) geleistete Arbeit zum Thema der wirtschaftlichen Globalisierung zusammenfasst. Der "AGAPE"-Aufruf entstand stark aus der Situation der betroffenen Menschen im Süden. Er widerspiegelt ihre wirtschaftliche und soziale Situation als Mitgliedskirchen des ÖRK. Das ist eine andere Sicht als unsere europäische oder US-amerikanische. Es ist Ausdruck von ihrem Christsein in ihrem Kontext. Deshalb sollen wir uns herausfordern lassen und sie anhören.

Auf der Basis des gemeinsamen Evangeliums der Barmherzigkeit und Gerechtigkeit sind wir auf ein gemeinsames Ziel ausgerichtet und übernehmen im Norden unsere Verantwortung und unsere Brüder und Schwestern im Süden ihre Verantwortung im eigenen Land. Ziel ist ein Markt mit starken ökologischen und sozialen Regeln, der für möglichst viele Menschen Lebensbedingungen schafft, um in Würde leben zu können.

Die Dekade zur Überwindung von Gewalt ist ein weiteres wichtiges Thema, sie hat neue Impulse bekommen. Wir haben uns eingebracht mit einem Bericht darüber, was in der Schweiz diesbezüglich gelaufen ist, und wir möchten die Möglichkeiten erkunden, wie die zweite Hälfte der Dekade umgesetzt werden kann, wenn Europa im Mittelpunkt stehen wird.

Welche Beschlüsse sind Ihnen ein Anliegen?
Beschlüsse scheinen mir nicht das Höchste zu sein. Sie sind auf der gleichen Ebene anzusiedeln wie Begegnungen und Prozesse, die hoffentlich auch Menschen und Institutionen verändern. Das ist gleichzeitig ein geistlicher Prozess. Das spirituelle Leben an der Vollversammlung hilft, mit einer neuen Sicht an die Fragen heranzugehen. Ich habe die Hoffnung, dass diese Vollversammlung ein Gleichgewicht zwischen der weltweiten Kirche mit Ziel der sichtbaren Einheit und dem Einsatz für eine gerechte menschliche Welt schafft. Wichtige Aufgaben des ÖRK scheinen mir zu sein: Unterstützung der Uno-Reform (Demokratisierung) und Stärkung dieser weltweit einzigen Organisation, die sich um Frieden, Entwicklung und Menschenrechte sorgen kann.

Quellen: epd/Kipa

Datum: 25.02.2006

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