Case Management

«Das Gewicht wird nicht leichter, aber es ist leichter zu tragen»

Human Life Support (hls) ist eine private Unternehmung zur professionellen Beglei­tung von Menschen, die auf eine berufliche Wiedereingliederung angewiesen sind. Dank des Vertrauensverhältnisses, das die hls-Eingliederungs-Berater mit ihren Klienten aufbauen, werden hohe Erfolgs­ergebnisse erreicht. Livenet interviewte hls-Gründer und Geschäftsleiter Christian Giger.
Christian Giger

Seit rund 30 Jahren sind Sie mit Ihrer Firma unterwegs, um Menschen bei der Wieder­eingliederung zu helfen. Warum?
Christian Giger:
Weil ich von Natur aus eine soziale Ader habe. Nach meiner Sozialver­sicherungslehre habe ich im Erwerbsausfall gearbeitet – als sei es meine Bestim­mung. Seit 1985 die berufliche Vorsorge eingeführt wurde, haben ältere Mitarbeiter zunehmend Schwierigkeiten, nach einer schweren Krankheit eine neue Arbeitsstelle zu finden.

Was hat sich für die Menschen, die Sie begleiten, in all den Jahren verändert?
Human Life Support hat vor allem mit Menschen mit psychischen Belastungsstörungen zu tun. In den letzten 30 Jahren hat der Leistungsdruck in der Arbeitswelt derart zuge­nommen, dass viele Menschen diesem schnellen Tempo nicht mehr gewachsen sind. Da reichen die Eingliederungsangebote bei den IV-Stellen und bei den RAVs nicht.

Ausgesteuerte verschwinden dann auch aus den Statistiken, nicht wahr?
Genau, es gibt viel mehr Erwerbslose als Arbeitslose! Denn wenn Massnahmen der IV nicht greifen und die ALV-Leistungen ausgeschöpft sind, fallen diese Menschen aus dem System heraus. Das heisst, sie sind auch nicht mehr ordentlich versichert und haben einfach keinen Zugang mehr zur Marktwirtschaft.

Wie geht Ihr Team vor, um diese Menschen wieder zu befähigen?
Wir haben Leistungsverträge mit zwei grossen Lohnausfallversicherern und der IV, die uns Adressen von Menschen zuweisen, denen wir zuerst erklären müssen, dass es sich um ein freiwilliges Case Management-Angebot zur Wiedereingliederung handelt, das von der Lohnausfallversicherung bezahlt wird. Und dass wir keine «Befehlsempfänger» einer Versicherung oder eines Amtes sind, sondern in anwaltschaftlichem Sinne im Dienst der Person handeln. Erst dann können wir gemeinsam erheben, was sich hinter der Krankheit oder der Störung versteckt. Oft leiden Menschen schon seit ihrer Kindheit an einer Belastung, die sie ihr Leben lang bis zum Gehtnichtmehr mittragen, bis sie innerhalb vom eigenen sozialen Umfeld und in der Arbeitswelt daran zerbrechen.

Bitte erklären Sie uns genauer, was Case Management ist...
Die Aufgabe ist zu vergleichen mit jener von einem Bergführer, der weiss, welche Fels­wände an diesem Berg sind, welche Wetterlage zurzeit herrscht und wo ein Couloir ist, um auf die nächsthöhere Ebene zu kommen – oder auf eine grüne Lichtung. Dorthin, wo wir mit dem Betroffenen den Rucksack auspacken können, seine psychischen Probleme ausladen, den Rucksack ordnen und alles wieder einladen können – aber so, dass er besser auf den Rücken passt und nicht mehr so schmerzt, damit die Person besser laufen mag. Das Gewicht nimmt nicht immer ab, aber es lässt sich besser tragen. Es gilt, Lösungen zu finden, welche Arbeit zur Person passt, wie die Existenz langfristig gesichert werden soll und wie Betroffene im sozialen Umfeld und in einem Betrieb eingebettet werden können, sodass es für alle Seiten tragbar wird.  

Sie sind Christ, Ihre Klienten oftmals nicht. Wie spielt das miteinander?
Als hls-Geschäftsleiter gehe ich davon aus, dass die hilfsbedürftigen Menschen uns von Gott anvertraut wurden, um ihnen aufzuzeigen, wie sie ihr Gleichgewicht wiederfinden können. Ob jemand im Glaubensleben steht oder nicht, ist nicht erste Priorität für uns. Wenn jedoch während der Neuorientierung eine Person am Anschlag ist, so kommt von mir sicher der Input: «Schauen Sie, mit Gottes Hilfe wird auch hier eine Lösung möglich sein.» Darauf gab es schon sehr unterschiedliche Reaktionen.

Bitte erzählen Sie uns eine davon…
Eine Frau herrschte mich an: «Sie, mit dem will ich gar nichts zu tun haben. Gehen Sie auf der Stelle.» Natürlich respektierte ich ihre Entscheidung und ging; aber ich betete weiter für sie. Nach drei Wochen rief sie mich an und war bereit, weiterzumachen – «aber lassen Sie Gott draussen!» So half ich der Frau während anderthalb Jahren weiter. Schliesslich konnte sie einem Arbeitsprogramm beitreten, wo sie von ihrem Drogen­konsum Erleichterung fand, auch wenn sie nicht ganz davon loskam.

Und ein zweites Beispiel?
Ja, zum Beispiel Toni(Name von der Redaktion geändert). Als wir uns in einer Klinik kennenlernten, lehnte er ein Case Management ab. Nach fünf Wochen suchte er bei uns Hilfe. Rund zwei Jahre lang sind wir die Schwierigkeiten immer wieder gemeinsam angegangen. Als er einmal in grosse Panik geriet, weil er an einer neuen Arbeitsstelle erscheinen sollte, mussten wir etwa zwei Kilometer vor Ankunft zurück nach Hause. Noch im Auto sprachen wir lange zusammen, auch über Gott, und wir konnten gemeinsam im Namen von unserem Herrn Jesus Christus beten. Ein paar Tage später rief ein völlig anderer Toni an, absolut dankbar, weil das Gebet etwas Wunderbares bewirkt hatte. Nun arbeitet er seit zwei Jahren genau an dem Arbeitsplatz. Wir sind nach wie vor in Kontakt. Ich habe für ihn eine freiwillige Beistandschaft übernommen. Trotz Ups and Downs steht er nun im Glauben, seine Kinder besuchen eine evangelische Gemeinde; und obwohl er von seiner Frau getrennt lebt, geht er zwei bis drei Mal in der Woche für seine Kinder kochen.

Was wäre mit Toni geschehen, wenn hls sich nicht um ihn gekümmert hätte?
Er wäre zugrunde gegangen, wie er selbst sagt. Ja, solche Schicksale gehen uns nahe. Meine Mitarbeitenden erhalten Supervision und wissen, dass sie nicht die ganze Ver­antwortung allein tragen müssen. Ich sage immer: «Ich leite diesen Betrieb, aber tragen tue ich ihn nicht selbst.» Unsere Unternehmung ist in Gottes Hand. Gerade, weil ich schon so vieles erlebt habe, auch finanzielle Rückschläge, weiss ich, dass ein Kampf für das Gute mit Widerstand verbunden ist. Denn ohne Gegenwind kriegen wir niemals einen Höhenflug.

Zur Webseite:
Human Life Support

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Datum: 26.11.2019
Autor: Sandra Lo Curto
Quelle: Livenet

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