Flaute auf dem Spendenmarkt

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Hamburg. Die schlechte Wirtschaftslage und die Einführung des Euro haben sozialen Organisationen Einbussen bei den Spendeneinnahmen beschert. Während ein weiterer Rückgang der Spenden den Handlungsspielraum grosser Verbände einengen würde, müssen kleine Vereine um ihre Existenz bangen.

"Habe ich etwas falsch gemacht? Oder gab es einen Skandal, von dem wir nichts mitbekommen haben?" Gabriele Franger, Fundraiserin beim Diakonischen Werk in Düsseldorf, ist ratlos. Hatte sie im ersten Halbjahr 2001 noch rund 226.000 Euro an Spendengeldern einwerben können, waren es im gleichen Zeitraum dieses Jahres nur noch 161.000 Euro - ein Einbruch um 29 Prozent! Von ihrem Schock hat sich Franger inzwischen zum Teil erholt: "Wir haben nicht weniger Spender als bisher, die Zahl ist fast konstant geblieben", erläutert sie. Aber: Jeder Einzelne gibt weniger als in den Jahren zuvor.

Tatsächlich bildet die Spendenflaute beim Diakonischen Werk Düsseldorf keine Ausnahme. Viele gemeinnützige Verbände und Vereine klagen über einen Rückgang im Spendenvolumen. Dabei scheint unerheblich zu sein, ob der Arbeitsschwerpunkt in der Kinder-, der Senioren-, Behinderten- oder Armenhilfe liegt. Als Ursache vermuten die betroffenen Fundraiser vor allem zwei Gründe: Die allgemeine Konjunkturflaute und die Einführung des Euro zum Jahresanfang.

Aktivitäten einstellen?

"Die Leute halten sich beim Geld Ausgeben zurück", sagt Timo Spiewak, Sprecher der Hamburger Caritas. In den vergangenen Jahren habe der Verband stets leichte Zuwächse im Spendenaufkommen verzeichnet. Jetzt rechnet der Verband erstmals mit einem Minus: Rund 15 Prozent weniger Spendengelder im Vergleich zum Vorjahr sind in den ersten beiden Quartalen dieses Jahres eingegangen. Zwar sei es normal, dass die Spendenbereitschaft zu Jahresbeginn geringer ist. Aber die Hamburger fürchten, dass auch der Weihnachtssegen mager ausfallen wird. "Das ist eine Entwicklung, bei der wir nicht nur zuschauen dürfen", sagt Spiewak.

Auch wenn Projekte nicht unmittelbar gefährdet seien, der Handlungsspielraum werde erheblich eingeengt. "Wir wollen schliesslich nicht nur den gesetzlichen Auftrag erfüllen", sagt auch Diakonie-Fundraiserin Franger. Man brauche die Spenden - zur Qualitätssteigerung, für verbesserte Ausstattungen von Einrichtungen und die Gründung neuer sozialer Projekte.

Dass die Einführung des Euro tatsächlich schuld an der Misere sein könnte, zeigt ein Blick über die Staatsgrenze. So leidet die holländische Heilsarmee unter Einbussen von 20 bis 30 Prozent im Vergleich zum vergangenen Jahr. Einen regelrechten "Knick" bei den Einnahmen habe es nach dem Jahreswechsel gegeben. "Alle Organisationen klagen hier", sagt Robert van Boven. "Wenn das so weitergeht, müssen wir unsere Aktivitäten einschränken. Nicht in diesem, aber vielleicht schon im nächsten Jahr", so der Fund-raiser gegenüber epd sozial.

Spendeneinbrüche auch im benachbarten Ausland

Andere Organisationen, die sich ausschliesslich über Spenden finanzieren, müssen schnell reagieren: "Bei uns werden vermutlich Stellen nicht neu besetzt, und wir können wichtige Publikationen nicht herausbringen", sagt Gesine Gernand von amnesty international (ai) in Bonn. Damit würde unter dem Spendenrückgang ein zentraler Aufgabenbereich der Organisation leiden: Information über Menschenrechtsverletzungen in aller Welt.

"Die Stimmung in der Gesellschaft ist schlecht", sagt Gernand. "Jeder merkt seit dem 1. Januar, dass das Geld schneller ausgegeben ist." Die Fundraiserin verzeichnet vermehrt Kündigungen von Mitgliedschaften und Förderbeiträgen. Als Begründung höre sie nie Unzufriedenheit mit der Arbeit des Vereins. "Die Leute sagen, sie können sich die Zahlungen einfach nicht mehr leisten." Fritz Kardolsky, Vorstandsvorsitzender des Fördervereins Bundesdeutscher Hilfsdienste in Marl, bestätigt den Trend: Arbeitslosigkeit oder gar das Abrutschen in die Sozialhilfe würden häufig als Grund für die Kündigung von Mitgliedschaften genannt. Der Verein, der Spendengelder sammelt, um gemeinnützige Organisationen mit Sachmitteln unterstützen zu können, verbucht nach eigenen Angaben rund 20 Prozent weniger Zuwendungen.

Gefährliche Kombination

Je kleiner die Einrichtungen, desto herber scheinen sie vom Spendenrückgang betroffen zu sein. 80 bis 90 Prozent Einbussen verzeichnet die Hamburger Tafel innerhalb eines Jahres (Zeitraum Juni 2001 bis Juni 2002). Der Verein, der sich ausschliesslich durch Spenden finanziert, beliefert unter anderem Tagesstätten mit gut erhaltenen Lebensmitteln, die in Hotels, Restaurants oder Supermärkten übrig geblieben sind. "Die erste Delle haben wir nach dem 11. September bemerkt, die zweite kam nach der Einführung des Euro", beschreibt Leiterin Annemarie Dose den Spendenverlauf. 13.000 Euro braucht sie monatlich. Momentan reiche das Geld hinten und vorne nicht, um zwei Gehälter, Betriebskosten, den Fuhrpark und die Versicherungen für Ehrenamtliche zu bezahlen. Jetzt will sie eine Stiftung gründen, um von Spenden unabhängiger zu werden. Doch bis genügend Finanzgeber gefunden sind, "steht der Staat in der Pflicht, unsere Arbeit zu unterstützen", findet Dose.

Doch auch die Quellen der öffentlichen Hand versiegen. In Braunschweig wurde beispielsweise zum Jahresende die Zentrale Beratungsstelle für Flüchtlinge, Asylbewerber und Migranten geschlossen. Die Stadt stellte ihre Unterstützung für das Projekt ein. Fortan fehlten 50.000 Euro. Das Diakonische Werk Braunschweig, Träger der Einrichtung, war nicht in der Lage, den staatlichen Anteil aus Eigenmitteln oder Spenden aufzufangen - obwohl sich Fundraiser Jürgen Lausch über einen Spendeneinbruch nicht beklagen mag.

Welche Folgen Kürzungen im öffentlichen Sozialetat haben, spürt auch Sonja Prass, Leiterin des Hamburger Hilfsvereins Alimaus. Gerade wurde die letzte Streetworker-Stelle im Stadtteil St. Pauli von der Sozialbehörde eingespart. "Die Punks und viele Jugendliche, die dort keine Anlaufstelle mehr haben, kommen jetzt zum Essen hierher", sagt Prass. Obwohl das Spendenaufkommen des Vereins gesunken ist - "im März dachte ich, noch ein Monat und wir sind pleite" - versucht die Einrichtung, mit dem gestiegenen Zustrom fertig zu werden. Sie bräuchte deshalb eigentlich mehr Geld als bisher.

Flutkatastrophe dürfte Folgen für die Weihnachtsspenden haben

Sonja Prass hat für den Verein die Werbetrommel gerührt, ist an Firmen und den Lions-Club herangetreten, um Spenden einzuwerben. "Gerade entspanne ich mich ein bisschen", sagt die einzige Angestellte des Vereins. Andere vom Spendeneinbruch betroffene Einrichtungen versuchen ebenfalls, dem Spendenrückgang mit neuen Konzepten engegenzutreten.

Wie die Deutsche Kinderaidshilfe "Ich will Leben". Der Verein mit Hauptsitz in Berlin nahm seit Einführung des Euro 20 Prozent weniger Spenden ein als in den ersten zwei Quartalen 2001. Jetzt soll auf der nächs-ten Bundessitzung beraten werden, wie die Menschen zum Geben bewegt werden können. Denn Vorstandsvorsitzender Paul Hegenberg fürchtet, dass selbst der Weltaidstag am 1. Dezember in diesem Jahr wenig einbringen wird. "Die Leute spenden jetzt ihr Geld, um den Flutopfern zu helfen. Viele werden am Jahresende nicht noch mal etwas geben können."

Autorin: Annette Bitter

Datum: 02.09.2002
Quelle: Epd

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