„Kirchliche Kriegsgegner machen es sich zu leicht“

Krieg

New York. Kirchliche Gegner eines Irak-Krieges sollten vorsichtiger mit ihren theologischen Argumenten umgehen. Wer Jesus allein als “Friedefürsten” darstelle, unterschlage, dass er auch kriegerische Töne angeschlagen habe, schreibt der amerikanische Religionsjournalist Joseph Loconte in der Tageszeitung New York Times.

Er verweist unter anderem auf das Jesuswort “Ihr sollt nicht meinen, dass ich gekommen bin, Frieden auf die Erde zu bringen. Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert” (Matthäus 10,34). Man mache es sich zu leicht, wenn man den Gottessohn mit der Frage vereinnahme “Wie würde Jesus über den Irak abstimmen?” und so tue, als ob er Mitglied im Weltsicherheitsrat wäre. Loconte bezieht sich unter anderem auf das Votum einer Delegation des ökumenischen Nationalen Kirchenrats der USA nach einer Irak-Reise: “Als Nachfolger Jesu Christi, des Friedensfürsten, wissen wir, dass dieser Krieg seiner Lehre völlig entgegensteht.”

Wenn Liberale die Bibel über Gebühr vereinfachen

Loconte zufolge begehen die theologisch Liberalen hier denselben Fehler, den sie Konservativen vorwerfen: “Sie vereinfachen die Bibel über Gebühr.” Zwar sei es richtig, dass Jesus die Nächstenliebe ins Zentrum christlicher Ethik stelle. Vergebung, nicht Rache bewege das Herz Gottes. Aber das Evangelium handele nicht nur vom “Gesetz der Liebe”, wie Kriegsgegner sagten, sondern auch von “der Tatsache, dass manche diesem Gesetz zuwiderhandeln”. Daher habe Jesus Dämonen in den Abgrund geworfen, religiöse Scharlatane aus dem Tempel gepeitscht und von der Pflicht gesprochen, dem Bösen zu widerstehen. Je nach Ausmass der Bedrohung könne sogar ein “Präventivschlag” oder “Gericht” angebracht sein: “Fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten, doch die Seele nicht töten können; fürchtet euch aber viel mehr vor dem, der Leib und Seele in der Hölle verderben kann” (Matthäus 10,28).

Wie sich ein führender Methodist im Zweiten Weltkrieg irrte

Loconte erinnert daran, dass Kirchenleute sich schon früher auf Jesus berufen hätten, um die Moral amerikanischer Militäraktionen anzuzweifeln – “allerdings nicht immer mit sehenden Augen”. So habe der führende Methodist Ernest Fremont Tittle im Zweiten Weltkrieg der US-amerikanischen Isolation selbst dann noch das Wort geredet, als Hitlers Kriegsmaschinerie schon grosse Teile Europas überrannt und Grossbritannien bedroht habe. Tittle habe die ganze Menschheit untergehen sehen, wenn Amerikaner in Europa oder Asien in den Krieg zögen. Kriegsgegner führten auch heute Jesus nur als “Friedensfürsten” an und vergässen, dass die Bibel ihn ebenfalls “Löwen von Juda” nenne. Das allein sei zwar kein Argument für einen Präventivschlag gegen Bagdad, aber es sollte die “Apostel der Diplomatie” zu “ein wenig mehr Demut” veranlassen, so Loconte.

KOMMENTAR

Rainer Mayer

Kann man heute noch von einem “gerechten Krieg” reden?

Ein möglicherweise bevorstehender Irak-Krieg hat eine Flut kirchlicher Stellungnahmen ausgelöst, die ein militärisches Eingreifen der USA scharf ablehnen. In der Erklärung des Rates der EKD heisst es erneut: “Krieg soll nach Gottes Willen nicht sein”. Was sagt eigentlich die Bibel zum Thema Krieg? Rainer Mayer, Professor für Evangelische Theologie und ihre Didaktik an der Universität Mannheim schildert seine Sicht.

“Krieg soll nach Gottes Willen nicht sein”, lautet ein vielzitierter Satz der 1. Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen (1948) in Amsterdam. In derselben Erklärung wird aber zugleich gesagt, dass über die Frage, ob der Krieg auch ein Akt der Gerechtigkeit sein könne, unter Christen verschiedene Meinungen möglich sind. Auch wird festgestellt, dass noch kein wirksames System gefunden ist, um politische Verränderungen ausschliesslich auf friedlichem Wege durchzusetzen.

Im Hintergrund standen damals die Erfahrungen, dass das Hitler-Regime nur durch internationale kriegerische Anstrengung niedergerungen werden konnte, während die vorausgehende Beschwichtigungspolitik zum Beispiel des britischen Premierministers Chamberlain (“Appeasement”) Hitler erst recht stark gemacht hatte. Danach brachte der Zweite Weltkrieg unendliches Leid über viele Völker und Menschen. Ungerechtigkeit gab es freilich auch auf Seiten der Sieger, man denke nur an die kriegstechnisch völlig überflüssige Bombardierung der mit Flüchtlingen überfüllten Stadt Dresden. In jüngster Zeit war das zerfallende Jugoslawien ein Beispiel dafür, dass Völkerfriede gegebenenfalls auch mit kriegerischen Mitteln erzwungen werden muss. Manche prinzipiellen Pazifisten hatten diese bittere Lektion etwa beim Kosovo-Konflikt neu zu lernen.

Merkmale eines “gerechten Krieges”

Gibt es nun einen “gerechten Krieg”? Der Gedanke des gerechten Krieges geht auf römische Traditionen (Cicero/Livius) zurück. In Anlehnung an diese entwickelte die mittelalterliche Theologie, vermittelt über die Kirchenväter Ambrosius (ca. 339-397) und Augustinus (354-430), folgende Merkmale für einen gerechten Krieg:

1. Gerecht ist nur der Verteidigungskrieg, d.h. schweres moralisches Unrecht muss auf der Gegenseite vorliegen. Friedliche Verständigungsversuche haben den Kämpfen vorauszugehen. Der Krieg muss durch eine dazu autorisierte Macht (“Obrigkeit”) erklärt werden.

2. Ziel darf nicht Rache oder dergleichen sein, sondern allein die Absicht, einen gerechten Frieden zu stiften.

3. In der Art der Kriegsführung ist eine Verhältnismässigkeit der Mittel zu beachten. Eine Verletzung unbeteiligter Dritter ist möglichst zu vermeiden, und vor allem darf das Mass der Strafe das der Schuld nicht überschreiten.

4. Schliesslich wäre zu beachten, dass das nach dem Krieg zu erwartende Wohl das den Krieg veranlassende Übel übersteigen muss (= Güterabwägung).

Die Lehre vom gerechten Krieg kann in dieser Form nicht direkt aus der Bibel abgeleitet werden. Die Bibel bietet keine “Lehre” vom Krieg. Nach dem Jakobusbrief sind die Gelüste und Leidenschaften der Menschen die tiefere Ursache der Kämpfe und Kriege (Jak. 4,1ff.). Der Friede als “Schalom” im umfassenden Sinne hingegen ist sowohl nach den Aussagen des Alten wie des Neuen Testamentes die (endzeitliche) Gabe Gottes und kann nicht vom Menschen hergestellt werden (vgl. Jes. 13,11; Hes. 36; Zef. 3; Eph. 2,14; Kol. 1,20). Zwischenzeitlich werden Kriege in dieser Welt schlicht als Tatsache vorausgesetzt (vgl. Lk. 3,14/ 14,31; 1. Kor. 9,7; 2. Tim. 2,4). Damit sind sie freilich nicht gerechtfertigt. Den bewaffneten Widerstand gegen die römische Besatzung hat Jesus abgelehnt. Mitten in dieser Welt leben die Christen als Friedensstifter (Mt. 5,9).

Vor allem unterscheidet sich die Bibel im Blick auf Krieg und Frieden darin von der säkularisierten, im Grunde naiven neuzeitlichen Sicht, dass sie nicht meint, durch einige Aktionen guten Willens und durch gelungenes Krisenmanagement sei der Weltfriede machbar. “Denn unser Kampf geht nicht gegen Fleisch und Blut, sondern gegen die Gewalten, gegen die Mächte, gegen die Beherrscher dieser Welt der Finsternis ...” (Eph. 6,12). Dieser Kampf hat mit dem Kommen Jesu Christi einen Gipfelpunkt erreicht und spielt sich auf geistlicher Ebene ab (vgl. Mk. 3,24-27; Lk. 16,18). Wie Jesus die widergöttlichen Gewalten bekämpft und besiegt hat (Lk. 16,18; Kol. 2,15; Eph. 1,20-23), so stehen auch die Christen in einem Kampf, in dem ihnen der Sieg verheissen ist (Röm. 8,37 ff.; 1.Thess. 5,8 ff.;Eph. 6,16 ff.). Bezüglich der Weltgeschichte weiss das Neue Testament hingegen nichts von einer fortschreitenden Entwicklung zum Guten. Vielmehr kennzeichnen Kriege und Kriegsgeschrei die “Wehen” der Endzeit (Mk. 13,7 ff.; Offb. 6,1 ff.), bis Gott durch Jesus Christus sein ewiges Friedensreich aufrichtet. Darum werden Meinungen der Christen zu der einen oder anderen Kriegshandlung unterschiedlich bleiben.

Im Zeitalter der Massenvernichtungsmittel

Die traditionelle Lehre vom gerechten Krieg ist im Zeitalter der Massenvernichtungswaffen nicht mehr anwendbar. Ihr unverzichtbarer Kern sagt jedoch “subjektiv, dass jeder seine Teilnahme am Waffengang in jedem Fall vor seinem göttlichen Herrn verantworten muss; objektiv ..., dass Krieg und Kriegsdienst christlich nur als Handlung im Dienste der Erhaltung oder Wiederherstellung der lebensnotwendigen Rechtsordnung vertreten werden kann!” (Helmut Gollwitzer). Zwei Haltungen sollten aufgrund der biblischen Aussagen unter Christen auf jeden Fall ausgeschlossen sein: einerseits das fatalistische Hinnehmen des Krieges als eines apokalyptischen Verhängnisses und andererseits die Glorifizierung des Krieges als eines Befreiungsvorganges zur Heranführung eines Weltfriedensreiches. Vertreter beider Positionen berufen sich gern auf biblische Texte, besonders die Offenbarung. Sie missdeuten diese, indem sie Gottes souveränes Handeln in der Heilsgeschichte und schuldhaftes menschliches Tun gleichsetzen.

Es gibt auch keinen “gerechten Pazifismus”

Die Fehler kirchlicher Stellungnahmen zur Frage nach Krieg und Frieden beruhen gegenwärtig vor allem darauf, dass die Kirchen zu schnell und direkt politisch reden und somit das Amt der Verkündigung und das Amt des Staates vertauschen. Auf der individuellen Ebene besteht der Fehler darin, dass oft nicht genügend zwischen Personal- und Sozialethik unterschieden wird. Martin Luther entwickelte die Grob-Regel: Gewaltverzicht bei der Selbstverteidigung und Gewaltanwendung bei der Verteidigung anderer. Damit sind selbstverständlich nicht alle Probleme gelöst. Doch die letzte verantwortliche Frage sollte, wie Dietrich Bonhoeffer formuliert hat, nicht die sein, “wie ich mich heroisch aus der Affäre ziehe, sondern wie eine kommende Generation weiterleben kann”. Nach biblisch orientierter Theologie gibt es also keinen “gerechten Krieg”, aber ebenso wenig einen “gerechten Pazifismus”. In Konfliktsituationen können verantwortlich Handelnde schuldig werden, wie auch immer sie entscheiden. Christen wissen daher, dass sie auf Vergebung angewiesen sind. Frieden und Gerechtigkeit, nicht Krieg und Gerechtigkeit gehören zusammen. Dass “Gerechtigkeit und Friede sich küssen” (Ps. 85,11) ist nach biblischer Aussage stets eine Gabe Gottes und eine Frucht des Hörens auf das, “was Gott der Herr redet, dass er Frieden zusagte seinem Volke und seinen Heiligen, damit sie nicht in Torheit geraten” (Ps. 85,9).

Datum: 03.02.2003
Quelle: idea Deutschland

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