Das Arzneimittel-Unternehmen produziert jährlich nicht nur über sechs Milliarden Tabletten, hundert Millionen Zäpfchen und Ampullen, es verteilt auch zum Jahresbeginn an seinen beiden Standorten Ulm und Blaubeuren "fromme Sprüche" kostenlos an 2.200 Mitarbeiter. So gab es einmal ein Büchlein des Theologen und Fernsehredakteurs Peter Hahne, der auch Mitglied des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) ist. Solch ungewöhnliche Geschenke der Firmenleitung rufen Verwunderung hervor. Noch grösser ist das Erstaunen darüber, dass das Unternehmen eine hauptamtliche evangelische Pfarrerin beschäftigt. Seit drei Jahren leitet Petra Meier-Scheerer (42) den "Treffpunkt Mensch" bei Merckle und ist für diese Tätigkeit von der württembergischen Landeskirche beurlaubt. Und im Firmen-Erweiterungsbau, der momentan im Ulmer Industriegebiet Donautal aus dem Boden wächst, ist ein besonderer Raum für Andachtsfeiern vorgesehen. Bibel, Kirche und Christentum haben in der Firma ihren festen Platz. Das geht auf Ruth Merckle zurück, die das Unternehmen seit Jahrzehnten gemeinsam mit ihrem Ehemann Adolf als Geschäftsführerin leitet. Sie ist jetzt zwar im Ruhestand, die Söhne Philipp und Ludwig führen Merckle/ratiopharm aber im Sinn der Eltern weiter - auch in der bewusst christlichen Ausrichtung. "Die Mitarbeiter sind unser höchstes Gut", sagt Philipp Merckle und hat ihnen deshalb die Losungen zum neuen Jahr auf den Gabentisch legen lassen. "Die Losungen", heisst es im Schreiben dazu, "helfen gegen Angst und Hoffnungslosigkeit und geben Halt in der Unbeständigkeit des Alltags." Unterzeichnet haben die beiden Geschäftsführer und die Pfarrerin. "Ein Betrieb muss zwar maschinell und organisatorisch auf der Höhe sein", ist der Unternehmer überzeugt. Die Herausforderung von heute und morgen sei aber der Mensch. "Er muss im Vordergrund stehen, ihm gelten unsere Bemühungen." Das aber geht nach Ansicht der Merckle-Familie nicht ohne den Glauben, ohne den christlichen Hintergrund oder ohne Gott. "Wir müssen wieder lernen, Gott in unsere Sprache aufzunehmen und ihn so in unsere Arbeitswelt einzugliedern", sagt Ruth Merckle. Dass dies nicht leere Worte sind, belegen einige der Nebenämter der einstigen Geschäftsführerin. Sie war nicht nur Mitglied in Kirchengemeinderat und Bezirkssynode, sondern gehörte in den 90er Jahren auch dem Rat der EKD an. Der von ihr geschaffene und von Pfarrerin Meier-Scheerer geleitete "Treffpunkt Mensch" hält eine Vielzahl von Angeboten für Männer, Frauen und Familien bereit. So gibt es etwa eine "Initiative für gutes Betriebsklima", eine Arbeitsgruppe bietet einen Bügel- und einen Einkaufsdienst an, und das "Audit Beruf und Familie" arbeitet daran, Beruf und Privatleben in Einklang zu bringen. "Bei Merckle hat der Mensch seinen Wert", sagt Pfarrerin Meier-Scheerer. Und dazu gehöre für die Familie, die christliche Botschaft an den Arbeitsplatz zu bringen. Diesmal auf 138 Losungsseiten im blau eingebundenen Taschenbuch mit einem Titelbild aus der unternehmenseigenen Galerie. Es ist nach Angaben der Herrnhuter Brüdergemeine in Bad Boll das erste Mal, dass ein nichtkirchliches Unternehmen alle seine Mitarbeiter in dieser Weise beschenkt..Evangelische Pfarrerin angestellt
„Mensch muss in den Vordergrund“
Datum: 10.01.2004
Quelle: Epd