Von vielfältiger Jüngerschaft und jüngerschaftlicher Vielfalt
Jesus hat Jüngerschaft gelebt und geboten, aber kein fixes Konzept gegeben! Was Jüngerschaft betrifft, finden wir in der Bibel einen doppelten Ausgangspunkt. Erstens hat Jesus das Reich Gottes nicht nur gepredigt und gelehrt, sondern er hat auch Menschen zu seinen Jüngern gemacht und sie vom Reich Gottes her geprägt. Er hat uns damit ein Vorbild hinterlassen, das wir nachahmen sollen.
Zweitens hat Jesus seinen Jüngern den Auftrag gegeben, dass sie ihrerseits wieder Menschen zu seinen Jüngern machen sollen. Sie sollen das tun, indem sie Menschen taufen und sie alles halten lehren, was er ihnen befohlen hat (Matthäus, Kapitel 28, Verse 19-20). Diese Vorgaben genügen nicht, um ein hieb- und stichfestes Konzept zu erstellen, wie Jüngerschaft umgesetzt werden soll. Offenbar geht es auch hier nicht ums Kopieren, sondern ums Kapieren! Dazu lohnt es sich, etwa genauer hinzuschauen.
Vielfältige Jüngerschaft schon bei Jesus selbst…
Schon beim Vorbild Jesu ist eine Vielfalt von Jüngerschaft erkennbar. Da sind zuerst die zwölf Jünger, die uns zeigen, wie Jesus Jüngerschaft gelebt hat. Doch bereits innerhalb des Zwölferkreises gab es Unterschiede. Petrus, Johannes und Jakobus wurden gelegentlich ohne die anderen mit einbezogen und bildeten eine Art inneren Kreis. Und es gibt ja nicht nur die Zwölf: Jesus hat sie nämlich aus einer grösseren Gruppe von Jüngern ausgesucht, die bereits mit ihm unterwegs waren (Markus, Kapitel 3, Verse 13-14; Lukas, Kapitel 6, ab Vers 13). Zudem wurde Jesus von einer ganzen Anzahl Jüngerinnen begleitet, von denen einige namentlich erwähnt sind (Lukas, Kapitel 8, Verse 1-3). Weiter sind die 72 Jünger zu nennen, die von Jesus in einer einmaligen Aktion ausgesandt und gecoacht wurden (Lukas, Kapitel 10, ab Vers 1). Nicht zuletzt gab es Menschen, die ihm zwar aufrichtig nachfolgen wollten, aber von ihm «nach Hause» geschickt wurden, um ihm dort zu folgen (z.B. Lukas, Kapitel 8, Verse 38-39).
…und noch mehr in der ersten Gemeinde
Wie gesagt: Die erste Gemeinde hat kein einheitliches Jüngerschaftsmodell gelebt. Wir wissen nicht genau, wie die zwölf Apostel andere Menschen um sich gesammelt und jüngerschaftlich geprägt haben. Immerhin: Die beiden Briefe von Petrus zeigen, dass er seine Leser in der Nachfolge Jesu stärken wollte. Und Johannes nennt die Leser seine Kinder, für die er sich verantwortlich weiss und die er zum Leben im Glauben anleitet. Einiges mehr erfahren wir von Paulus. Er ist Jesus zwar nicht «persönlich» nachgefolgt. Aber er nimmt Jesus als Vorbild, das er nachahmen will. Und er fordert dazu auf, ihn selbst als Vorbild zu nehmen, so wie er Christus als Beispiel nimmt (1. Korinther, Kapitel 4, Vers 16 und Kapitel 11, Vers 1). Dabei versteht er sich selbst nicht als Herr, sondern als geistlicher Vater, denn durch ihn sind die Korinther zum Glauben gekommen (1. Korinther, Kapitel 4, Vers 14ff).
Dieses Selbstverständnis prägt auch sein Verhältnis zu den Thessalonichern. Mit ihnen hat er nicht nur das Evangelium sondern sein Leben geteilt (1. Thessalonicher, Kapitel 2, Vers 8). Um jeden Einzelnen haben er und seine Mitarbeiter sich gekümmert, wie ein Vater um seine Kinder (1. Thessalonicher, Kapitel 2, Vers 11). Daneben hat Paulus auch einzelne Mitarbeiter stark geprägt, man denke nur an Barnabas, Silas, Timotheus, Aquila und Priszilla oder Titus. Die Timotheusbriefe zeugen vom einzigartigen Jüngerschaftsverhältnis zwischen Paulus und Timotheus. Und auch die Abschiedsrede an die Leiter von Ephesus, in die sich Paulus während drei Jahren mit voller Hingabe investiert hat, sind ein Schatz für den, der Menschen prägen will (Apostelgeschichte, Kapitel 20, Vers 17-38).
Jüngerschaft auch als «bruderschaftlicher Prozess»
Bei Paulus finden wir aber noch etwas anderes, wenn wir uns um Jüngerschaft bemühen. Die vielen sogenannten «Einander-Stellen» sprechen davon, dass wir eine gegenseitige Verantwortung haben, einander zu unterstützen und zu fördern. Wir sollen einander lieben, annehmen, ermahnen und ermutigen (Römer, Kapitel 13, Vers 8; Kapitel 15, Verse 7,14; 1. Thessalonicher, Kapitel 5, Vers 11). Wenn wir unter Jüngerschaft verstehen, dass wir Jesus ähnlicher werden sollen, dann ist das nicht eine Aufgabe, die wir an Leiter delegieren dürfen. Jeder darf seine Verantwortung wahrnehmen, um andere zu ermutigen, zu ermahnen und zu fördern – und sich ermutigen und ermahnen zu lassen.
Jüngerschaftliche Vielfalt – keine Ausrede für mangelnde Jüngerschaft
Wir finden demnach kein eindeutiges Modell oder Konzept, wie Jüngerschaft in der Gemeinde zu geschehen hat. Dies darf uns aber nicht dazu verleiten, uns der bewussten Gestaltung von Jüngerschaftsprozessen zu entziehen. Deshalb kehren wir noch einmal zum Ausgangspunkt zurück: Jesus hat Menschen zu seinen Jüngern gemacht und sie intensiv mit den Werten des Reiches Gottes geprägt. Und er hat ihnen geboten, dass sie wieder andere zu seinen Jüngern formen, indem sie sie taufen und alles halten lehren, was er gesagt hat. Hier wollen und sollen wir uns auch einreihen: selber zu Jüngern Jesu werden und andere zu seinen Jüngern machen. Nicht um unserethalben, sondern um des Reiches Gottes willen.
Datum: 24.03.2013
Autor: Thomas Eggenberg
Quelle: Bewegung Plus