Orthodoxe und Protestanten spannen zusammen
Erzbischof Metropolit Ignatios und Pastor Meletis Meletiadis sitzen für ein Interview per Teams Seite an Seite. Während es vielerorts keinerlei Kontakt zwischen der grossen griechisch-orthodoxen Kirche und kleinen protestantischen Gemeinden gibt, arbeiten die beiden schon seit Jahren eng zusammen.
Erzbischof Ignatios lebt in Volos, einer Stadt in Zentralgriechenland mit 160’000 Einwohnern. Er ist für die Diözese Demetrias zuständig, die 160 Pfarreien und rund 200 Priester umfasst. Ausserdem ist er Vorsitzender der Griechischen Bibelgesellschaft, in der Orthodoxe, Katholiken und Protestanten gemeinsam tätig sind.
Pastor Meletiadis seinerseits ist Vorsitzender des Exekutivausschusses dieser Bibelgesellschaft. Er gehört der griechisch-evangelischen Kirche in Volos an – einer protestantischen Gemeinde reformierter Prägung mit etwa siebzig Mitgliedern verschiedener Nationalitäten.
Viele kennen den Glauben nicht mehr
«Unter ihnen sind Griechen, aber auch einige Frauen aus den Niederlanden, Deutschland, Finnland und England, die griechische Männer geheiratet haben», erklärt der Pastor. «Eine weitere Gruppe besteht aus albanischen Flüchtlingen, von denen die meisten einen muslimischen Hintergrund haben. Sie kamen in den 1990er-Jahren hierher, wurden mit offenen Armen empfangen, begannen, in der Bibel zu lesen, nahmen Jesus als ihren Retter an und liessen sich taufen.»
Der Pastor, ehemaliger Präsident der Synode der griechisch-evangelischen Kirche, hat den Wunsch, das Evangelium weiterzugeben. «Griechenland wurde vor 2000 Jahren vom Apostel Paulus evangelisiert. Es ist ein christliches Land, aber inzwischen wissen viele Menschen – obwohl sie in orthodoxen Familien geboren und in orthodoxen Kirchen getauft wurden – kaum noch etwas über den christlichen Glauben. Zudem herrscht in Griechenland viel Synkretismus. Die Menschen müssen neu evangelisiert werden.»
«Darauf kommt es an»
Im griechischen Kontext sei Evangelisation nicht einfach, weiss Pastor Meletiadis. «Etwa 98 Prozent der Bevölkerung gehören der griechisch-orthodoxen Kirche an. Wenn wir Protestanten Bibeln oder Traktate verteilen, fühlen sich manche Priester, als würden wir in ihre Herde eindringen und versuchen, Menschen zum Protestantismus zu bekehren. Das kann ich verstehen – aber das ist nicht meine Absicht. Menschen müssen Christus begegnen, und das geschieht durch das Evangelium. Darum geht es.»
Mit diesem Gedanken suchte Pastor Meletiadis bereits vor einigen Jahren die Zusammenarbeit mit der griechisch-orthodoxen Kirche. «Der beste Weg zur Neu-Evangelisierung ist, den Menschen genau das zu geben, was Paulus damals gegeben hat: das Evangelium», sagt er. So entstand der Plan, Neue Testamente von Tür zu Tür zu verteilen.
Diese Idee fand auch bei Bischof Ignatios Anklang. «Wir dürfen uns glücklich schätzen, dass das Neue Testament in unserer Sprache verfasst wurde – aber das ist 2000 Jahre her. Die meisten Menschen haben zwar eine Bibel oder ein Neues Testament zu Hause, meist neben Ikonen, doch in einer Sprache, die sie nicht verstehen. Wenn sie eine Ausgabe in verständlicher Sprache haben, werden sie sie auch lesen», erklärt der Bischof.
Die örtliche Pfarrkirche als Ausgangspunkt
In den frühen 1980er-Jahren veröffentlichte die Griechische Bibelgesellschaft eine Übersetzung des Neuen Testaments, die von der griechisch-orthodoxen Kirche anerkannt wurde. Bischof Ignatios und Pastor Meletiadis beschlossen, gemeinsam dafür zu sorgen, dass jedes Haus in der Region Magnesia – deren Hauptstadt Volos ist – ein Exemplar erhält.
Pastor Meletiadis nennt die Zusammenarbeit «ein Wunder, ein Geschenk Gottes, für das wir dankbar sind. Wir arbeiten auf einer gemeinsamen Grundlage: dem Evangelium und unserem Glauben an Jesus.»
Seit 2021 gehen jeden Sonntagnachmittag von Oktober bis April etwa zehn Freiwillige los, um Neue Testamente zu verteilen – «in den anderen Monaten ist es zu heiss».
«Als Geschenk des Bischofs an seine Herde»
Das Vorgehen ist immer dasselbe: Die Freiwilligen packen die vom Bistum bereitgestellten Taschen mit einem Neuen Testament. Bischof Ignatios informiert die örtlichen Priester im Voraus darüber, wann die Verteilung in ihren Pfarreien stattfindet.
Ausgangspunkt ist stets die lokale Pfarrkirche, wo der Priester ein besonders schön gebundenes Neues Testament erhält. «Viele Priester sind durch diese Initiative ermutigt», sagt Bischof Ignatios. «Sie erkennen, dass sie nicht allein sind.»
Die Taschen werden den Bewohnern nicht persönlich übergeben, sondern an die Tür gehängt oder am Eingang des Hauses abgelegt – «als Geschenk des Bischofs an seine Herde», erklärt Pastor Meletiadis. Bislang wurden auf diese Weise 65’000 Neue Testamente verteilt. Abgesehen von der letzten Pfarrei wurde damit das gesamte Gebiet von Magnesia erreicht.
Reaktionen der Bevölkerung
Bischof Ignatios: «Viele waren sehr überrascht, dies vom Bistum zu erhalten. Sie dachten, nur die Zeugen Jehovas würden Bibeln verteilen. Ebenso erstaunt waren sie darüber, dass wir mit Christen aus verschiedenen Ländern zusammenarbeiten.»
Negative Reaktionen gebe es kaum. Pastor Meletiadis: «Ich gehe immer mit, wenn wir Bibeln verteilen. Einige Male kamen Leute zu uns und gaben das Neue Testament zurück – vielleicht fünfzig von insgesamt 65’000. Manche sagten, sie hätten kein Interesse am christlichen Glauben. Dann nahmen wir die Tasche zurück und wünschten ihnen freundlich Gottes Segen.»
Weitere Verteilaktionen folgen
«Wir haben viele Rückmeldungen von Menschen erhalten, die tatsächlich angefangen haben zu lesen – weil sie diese Übersetzung verstehen. Manche lesen allein, andere gemeinsam als Familie», freut sich Bischof Ignatios.
Und Pastor Meletiadis ergänzt: «Natürlich gibt es auch Menschen, die es einfach ins Regal stellen. Aber Gott sagt: ‘Mein Wort wird nicht leer zu mir zurückkehren.’ Vielleicht nimmt es ja jemand aus der nächsten Generation eines Tages in die Hand und beginnt zu lesen.»
Pastor Meletiadis betont: «Viele Menschen verfolgen die Bibelstunden des Bischofs auf YouTube. Ich habe sie mir auch angehört – sie sind wunderbar.» Er lächelt breit: «Und das sage ich als protestantischer, reformierter Christ.»
Das Projekt wird wohl andernorts fortgesetzt. Bischof Ignatios: «Eines der Ergebnisse dieses Projekts ist, dass auch Bischöfe in anderen Teilen Griechenlands Neue Testamente von Tür zu Tür verteilen möchten. In Karditsa, 100 Kilometer westlich von Volos, hoffen wir, im November damit zu beginnen. Auch andere Bischöfe zeigen Interesse.»
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Datum: 19.10.2025
Autor:
Michiel Bakker / Daniel Gerber
Quelle:
CNE / Übersetzung: Livenet