Sri Lanka: «Besser die Vorräte verfaulen, als dass die Christen sie kriegen»

Die Welle war rasch wieder weg. Hinterlassen hatte sie eine unglaubliche Zerstörung.
Blick in eine Gemeinde in Sri Lanka.

Vor Gott sind alle Menschen gleich. Vor den «Tamil Tigers» nicht. In Sri Lanka hortet die hinduistische Guerillagruppe in Lagerhäusern Vorräte, die für Tsunami-Opfer bestimmt wären.

Im Zusammenhang mit dieser Katastrophe gab es die unterschiedlichsten Bilder; zum Beispiel von fundamentalistischen Moslems, die Christen für ihre Hilfe dankten, weil sie bereit waren, auch Menschen mit einer anderen Religion unter die Arme zu greifen.

Aber es geschieht auch weniger Friedliches; zum Beispiel auf Sri Lanka. Die Situation dort ist komplex. Eine buddhistische Mehrheit dominiert die Insel und macht die Hindus und die Christen zu unterdrückten Minderheiten. Die Hindus ihrerseits unterdrücken die Christen, womit diese von zwei Seiten bedrängt werden. Das merkt man auch bei den Hilfslieferungen.

Ein Mitarbeiter der Hilfsaktion Märtyrerkirche (HMK) entdeckte dort ein Vorratslager mit Hilfsgütern. Sie wären eigentlich für die Katastrophenopfer bestimmt gewesen, werden aber in diesem Lager einfach gehortet. Man erklärte ihm: «Besser ist es, die Vorräte verfaulen, als dass etwas in die Hände der Christen gelangt.» Wir sprachen darüber mit Dr. Michael Hausin von HMK Deutschland.

Livenet.ch: Sie schreiben, dass Hindus Nahrungsmittel lieber verrotten lassen, als dass man sie den Christen gibt. Was genau ist da vorgefallen?
Michael Hausin: Ein einheimischer Mitarbeiter von uns reiste durch das Tamilengebiet und schaute, was gebraucht wird. Die Tamilen führen ja parallelstaatliche Strukturen mit eigenen Zollabgaben. Auf dieser Reise sah er die Lager. Sie schnappen sich manche Hilfslieferungen oder zweigen sie gleich beim Zoll ab, so im Stil von «den einen Container nehmen wir für uns». Damit füllen sie dann diese Lager, damit sie etwas haben, falls der Krieg wieder heiss wird. Sie lassen die Sachen lieber verrotten als sie den Christen weiterzugeben. Es kann aber auch Hindus treffen. Wer mit den Tamil Tigers nicht konform geht, hat schlechte Karten.

Werden diese Lieferungen denn nicht beaufsichtigt?
Ich nehme an, dass die UNO und das Rote Kreuz zum rechten sehen. Aber von dem, was da vor sich hinrottet, wird man der UNO sicherlich nichts berichten. Ich habe auch schon gehört, dass einzelne Teile des Landes von der Hilfe abgeschnitten sind und die Buddhisten den Strom der Hilfe auf sich lenken. Das ist alles aber auch eine Ergebnis jahrzehntelanger Politik. Es wäre eine Illusion, zu glauben, solche Praktiken würden sich von heute auf morgen ändern. Es reicht ja schon, wenn an einer Schaltstelle ein Distriktoffizier voller Vorurteile ist und einfach nichts taugt.

Sind diese Hindus Nachbarn der Christen?
Ja, sie leben Tür an Tür. Das Verhältnis zueinander ist sehr unterschiedlich. Wenn einer Christ wird, hat aber er einen schweren Stand. Die Nachbarn fragen sich dann, warum er seinen Glauben verlässt und die alten Götter und sie selber beleidigt. Aber es ist auch schon passiert, dass zuletzt fast ein ganzes Dorf christlich geworden ist.

Unter den Hindus existiert ja ein Kastensystem. Wo sind da die Christen?
Die Hindus der untersten Kaste sind wenigstens noch irgendwie integriert. Aber die Christen fallen aus jeder Kaste heraus und damit aus dem ganzen Sozialgefüge. Ausserdem gilt das Christentum als die Religion der früheren Kolonialherren. Entsprechend werden die Christen umso mehr als Verräter betrachtet. Die Führung des Landes ist antichristlich. Man hat Angst um den Charakter Sri Lankas und diskutiert, ob man Übertritte zum Christentum und Taufen verbieten soll.

Der Buddhismus hat doch das Image, dass er friedliebend sei ....
In Sri Lanka zeigt er sich von einer anderen Seite. Da gibt es Mönche, die greifen Kirchen und Tauffeiern an. Als Gangodawila Soma Thera – ein hochrangiger Vertreter des buddhistischen Nationalismus – an einem Herzinfarkt starb, hiess es, er sei von Christen vergiftet worden. Das führte im ganzen Land zu Ausschreitungen. Später stellte sich das Gerücht als falsch heraus.

Was tun Sie nun vor Ort?
Ein Mitarbeiter wurde gebeten, im Tamilengebiet Waisenhäuser zu bauen. Er sollte das Heim finanzieren, aber nicht führen. Mit derartigen Projekten ist er aber vorsichtig, weil dann dort Kindersoldaten rekrutiert werden. Das macht die Tigers erst recht wütend. Ihre Sicht ist die: «Die Buddhisten unterdrücken uns, und die Christen unterstützen uns nicht. Also verraten sie uns.»

Selber machen wir im Land keine Lieferungen. Aber in den Gemeinden vor Ort klären wir die Bedürfnisse ab. Im Nordosten besorgen wir zum Beispiel 15 Fischerboote, damit die Menschen ihre Arbeit wieder ausführen können. Sie haben dann ein Einkommen und geben das Geld im Ort selber aus. Das kurbelt den Markt wieder an.

Datum: 14.03.2005
Autor: Daniel Gerber
Quelle: Livenet.ch

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