Rudolf Bultmann: Abgehobene Theologie

Rudolf Bultmann meinte, christlich glauben zu können, obwohl, wie er behauptete, von Jesus fast alles erdichtet sei. Er prägte damit eine ganze Theologengeneration, weit über Deutschland hinaus. Der 125. Geburtstag des protestantischen Theologen (1884-1976) heute kann zum Anlass genommen werden, über die verheerenden Folgen seines Wirkens für Theologie und Kirche nachzudenken.
Rudolf Bultmann

Man kann nicht elektrisches Licht anmachen und zugleich an die Wunderwelt der Bibel glauben: Vom Rationalismus des 19. Jahrhunderts bestimmt, ging der norddeutsche Pfarrerssohn daran, mit historisch-kritischer Auslegung den ‚wahren‘, existentiellen Gehalt der biblischen Aussagen herauszudestillieren. Dafür galt es die biblischen Texte zu ‚entmythologisieren‘, sie frei von allem Überweltlichen zu deuten. Das Christsein sollte ohne zwanghaften Buchstaben- und Wunderglauben möglich sein.

"Die Frage nach Gott"

Rudolf Bultmann, der jahrzehntelang mit dem Existenzphilosophen Martin Heidegger im Gespräch war, wollte das, was er Evangelium verstand (die unmittelbare Nähe Gottes zu den Menschen), modernen Zeitgenossen darlegen. Er formulierte: «Das Leben des Menschen wird bewegt durch das Suchen nach Gott, weil es immer, bewusst oder unbewusst, von der Frage nach seiner eigenen Existenz bewegt wird. Die Frage nach Gott und die Frage nach mir selbst sind identisch.»

Der Neutestamentler betonte die Chance und Herausforderung des Menschen, sich für seine Zukunft zu entscheiden und so authentisch zu werden, zu sich zu kommen. Er gehörte der Bekennenden Kirche an, die sich gegen die Ideologie der Nazis stemmte. Rund 30 Jahre lang lehrte er Neues Testament in Marburg und beeindruckte Studierende durch fromm klingende Glaubenspredigten.

Glauben ohne biblische Heilsgeschichte

Rudolf Bultmann löste mit teils extremen Thesen den Zusammenhang der biblischen Heilsgeschichte auf. Er behauptete, die Theologie müsse dem Glauben die historischen Stützen nehmen, um dem wahrhaft christlichen Glauben (glauben, ohne zu sehen) Bahn zu schaffen. Für die protestantischen Kirchen des Westens brachte seine Theologie, durch zahlreiche Schüler verbreitet, faktisch einen Glaubensersatz. Lutherische Theologen warfen ihm vor, er betreibe die «Selbstauflösung der Theologie in eine atheistische Philosophie». Konservative Christen und Kirchenverantwortliche prangerten den Ausverkauf der christlichen Botschaft an.

Tatsächlich ist schwer einsehbar, warum Christen an Jesus den Auferstandenen glauben und darauf ihre Existenz gründen sollten, wenn der Leichnam des Gekreuzigten im Grab geblieben wäre, wenn es also keine historische Grundlage für den Glaubensvollzug gäbe. Weltweit blühen nicht die Kirchen, die auf die Theologie Rudolf Bultmanns eingingen, sondern jene, die Glauben mit dem Für-wahr-Halten der biblischen Berichte verbinden.

Datum: 20.08.2009
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet.ch

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