Ein Jahr nach Assad

Evangelische helfen Syrien beim Heilen

Die Nonprofit-Organisation «Generations Over Crisis» unterstützt Familien in Syrien
Obwohl ihre eigene Zukunft unter der neuen islamistisch geführten Regierung ungewiss ist, leisten einheimische Christen ihren Nachbarn geistliche und materielle Hilfe. Es gibt Einheimische, die durch Träume auf den Glauben aufmerksam werden.

Letztes Jahr fuhr Nahla Ishak etwa drei Stunden von Damaskus (Syrien) nach Amman (Jordanien), um an einer Fundraising-Konferenz teilzunehmen. Als Gründerin von «Generations Over Crisis», einer Nonprofit-Organisation, die syrische Familien unterstützt, die von Traumata betroffen sind, ist Ishak auf diese Schulungen angewiesen, um die Arbeit ihrer Organisation aufrechtzuerhalten.

In den frühen Morgenstunden des 8. Dezember 2024 erhielt sie die Nachricht, dass eine Koalition islamistischer Rebellen aus Idlib im Norden Syriens Damaskus betreten und die 24-jährige Herrschaft von Präsident Bashar Assad gestürzt hatte. Ishak fühlte eine Mischung aus Schock, Sorge, Angst und Furcht.

«Kapitän ist während des Sturms auf dem Schiff»

Familie und Freunde aus ihrer baptistischen Kirche in Damaskus rieten ihr, nicht sofort zurückzukehren. Doch zwei Tage später, als die Grenze zwischen Syrien und Jordanien geschlossen war, flog Nahla Ishak nach Beirut und fuhr über die libanesische Grenze nach Hause. «Die Logik sagt einem, dass der Kapitän während eines Sturms auf dem Schiff ist», sagt sie.

Das Damaskus, in das sie zurückkehrte, war nicht dasselbe, das sie verlassen hatte. Fahrzeuge mit islamischen Botschaften über Lautsprecher fuhren durch die Strassen der Hauptstadt. Syrer beschädigten und rissen ehemals allgegenwärtige Plakate von Assad und seinem Vater Hafez Assad ab – früher eine illegale Handlung.

Enorme Verwüstung

Heute, ein Jahr nach dem Zusammenbruch der Assad-Regierung, ist der Sturm vorüber, aber die Verwüstung nach Syriens fast 14-jährigem Bürgerkrieg ist enorm. Schätzungen zufolge leben 90 Prozent der Syrer in Armut, jeder Vierte ist arbeitslos, und ein Drittel der Wohngebäude ist stark beschädigt oder zerstört, berichtet das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen.

Armut treibt junge Männer in Radikalismus und Diebstahl und zwingt junge Frauen, ihren Körper zu verkaufen, um ihre Familien zu ernähren, sagte Nahla Ishak. Bedürftige Zivilisten betteln auf den Strassen von Damaskus, manche durch Kriegsverletzungen verstümmelt. Wirtschaftlicher Druck, kombiniert mit Kriegstraumata, spaltet Familien durch Scheidung und Migration.

Christen bringen Licht ins Dunkel

Wie während des gesamten Bürgerkriegs dienen viele syrische Evangelikale ihren Nachbarn, unabhängig von deren Herkunft. Obwohl ihre eigene Zukunft unter der neuen islamistisch geführten Regierung ist, glauben Christen wie Nahla Ishak, dass die Kirche nach aussen gerichtet sein muss und Licht in die Dunkelheit bringen soll. «Unsere Arbeit hat sich verdoppelt», beobachtet Nahla Ishak. «Es reicht nicht, den Menschen zu sagen: ‘Kommt in die Kirche.’ Wir müssen hinausgehen.»

Assads im Jahr 2011 begonnener Krieg zu seinem Machterhalt sowie die Übernahme von Raqqa und anderen Teilen Syriens durch den IS in den Jahren 2013 und 2014, zerstörte die historische christliche Gemeinschaft des Landes. Vor dem Krieg gab es schätzungsweise 1,5 Millionen Christen in Syrien, hauptsächlich orthodoxen und katholischen Hintergrunds. Heute leben nur noch etwa 300’000 Christen im Land.

Zukunft ungewiss

Nahla Ishak blieb in Syrien, da sie Gottes Ruf verspürte, dem Volk ihres Landes zu dienen. «Diejenigen von uns Christen, die im Land geblieben sind, entschieden, dass es besser sei, sich zurückzuhalten und kein Wort zu sagen.»

Minderheiten in Syrien – darunter Christen, Kurden, Drusen und Alawiten – sorgen sich, wie die neue Regierung unter Interimspräsident Ahmed al-Sharaa sie behandeln wird. Nach dem Sturz des Assad-Regimes, sagte Ishak, reagieren viele auf Gottes Liebe, indem sie ihren Glauben auf Jesus Christus setzen, insbesondere Menschen aus den drusischen und alawitischen Gemeinschaften Syriens.

Mit Hunderten in Kontakt gekommen

Durch ihre Arbeit mit «Generations Over Crisis» in den letzten zehn Jahren hat Nahla Ishak mit Hunderten von armen Familien Kontakt gehabt und Lebensmittel sowie Kleidung an von Katastrophen betroffene Familien verteilt, einschliesslich des Erdbebens im Februar 2023 in Syrien und der Türkei. Ishak und ihre Freiwilligen betreiben ein Frauenermächtigungszentrum, vier jährliche Konferenzen zur psychischen Gesundheit und ein Bildungsprogramm für Jugendliche, die aufgrund von Armut und Vertreibung die Schule abgebrochen haben.

In Latakia an der Westküste Syriens hat Ishak kürzlich einen 16-jährigen muslimischen Jungen getroffen, der während des Krieges Vater und Mutter verloren hat. Er sagte ihr, dass er wütend auf Allah sei und fragte, warum dieser die Syrer bestrafe. Da sie und andere Freiwillige in einem nicht-christlichen Gebiet tätig waren, gaben sie ihre religiöse Identität nicht bekannt, verkündeten aber Gottes Liebe. «Ich sagte ihm: ‘Wir kommen, um dir zu zeigen, dass Gott dich liebt.’ Er sagte, es sei das erste Mal, dass ihm jemand die Liebe Gottes erklärt habe», erinnert sich Ishak.

Durch Traum gefunden

Esper Yaqoub, Pastor einer Kirche der «Christian and Missionary Alliance» in den Vororten von Damaskus, sagt, dass seit er 2022 Kirchenleiter wurde, Männer und Frauen aus alawitischen und sunnitischen muslimischen Hintergründen ins Reich Gottes gefunden hätten.

Eine alawitische Frau kam zu Yaqoubs Kirche, um die Träume zu verstehen, die sie gehabt hatte. In einem Traum sah sie ein Papier mit zwei Wörtern in einer Sprache, die sie nicht kannte. Als sie aufwachte, schrieb sie die Wörter in ihr Tagebuch, bevor sie deren Aussehen vergass. Yaqoub sagte, dass die Wörter in Syrisch «Heilige Bibel» bedeuteten. Diese Frau beschrieb auch einen Traum, in dem sie einer Spur aus Brotkrumen zu einem Schreibtisch mit einem Glas Wein folgte. «Ich erzählte ihr vom Blut Jesu und dass sein Blut für ihre Rettung vergossen wurde», sagt Yaqoub.

Laut Yaqoub haben die meisten syrischen Christen Angst vor Muslimen, da das Assad-Regime Angst säte, um die Gesellschaft zu spalten und die Kontrolle zu behalten. Aber wie Ishak glaubt Yaqoub daran, die Liebe Gottes seinen Mitbürgern zu zeigen, die so viel gelitten haben.

Gott kann das Unveränderliche verändern

Yaqoub traf kürzlich eine muslimische Familie auf der Strasse. An ihrer Kleidung erkannte er, dass sie strenggläubig war. Yaqoub entschied sich, zu lächeln und sie zu grüssen, was zu einem Gespräch führte. Dann lud er ihren Mann ein, bei der Kirche mit ihm Kaffee zu trinken.

Solche Brücken haben geistliche Früchte hervorgebracht. Dennoch sorgt sich Yaqoub, dass die evangelikale Kirche ihre Freiheiten in den kommenden Jahren verlieren könnte, angesichts der islamistischen Tendenzen der neuen Regierung. «Dem Assad-Regime waren religiöse Fragen egal. … Sie kümmerten sich nur um Herrschaft, politischen Vorteil», sagte Yaqoub. «Für uns war es also einfach, das Evangelium unter Nicht-Christen zu predigen. Heutzutage wissen wir nicht, was die Zukunft für uns bringt, aber sicher setzen wir unseren Glauben auf unseren Herrn Jesus Christus.»

Obwohl Yaqoub sagt, dass es fast unvorstellbar ist, ein Syrien zu sehen, in dem Menschen ihre Religion frei wählen können, betrachtet er den Zusammenbruch der ehemaligen Regierung als Beweis für einen souveränen, wunderwirkenden Herrn. «Ich glaube an unseren Gott, der das Unveränderliche verändern kann», sagt er.

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Datum: 30.12.2025
Autor: Heather M. Surls / Daniel Gerber
Quelle: Christianity Today / gekürzte Übersetzung: Livenet

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