Forschungsprojekt: Biblische Spuren in der deutschsprachigen Poesie

Martin Nicol lehrt seit 1995 Praktische Theologie in Erlangen und leitet das Lyrik-Projekt.

Auf die Spuren der Bibel in der deutschsprachigen Lyrik seit 1945 setzt sich ein Forschungsprojekt der Uni Erlangen-Nürnberg. Unter Leitung des evangelischen Theologieprofessors Martin Nicol wird derzeit eine Datenbank www.lyrik-projekt.de mit Gedichten aufgebaut, in denen biblische Motive vorkommen wie etwa Engel, das Kamel vor dem Nadelöhr, die Löwengrube oder der Ölzweig.

Nicol verspricht sich von seiner Arbeit einen doppelten Nutzen: Theologen diene die Datenbank zur Erforschung der Wirkungsgeschichte des Evangeliums in der Poesie und Germanisten könnten mit ihrer Hilfe den Hintergrund literarischer Texte besser verstehen. 385 Gedichte sind bisher schon erfasst, 2.000 sollen es werden. Zur Liste der etwa 50 Autoren gehören Namen wie Erich Fried, Hans Magnus Enzensberger, Sarah Kirsch, Hilde Domin und Rose Ausländer.

Die Internet-Datenbank soll laut Nicol zudem eine Recherchebasis für Dissertationen oder Magisterarbeiten sein. Eine grosse Arbeit über biblische Spuren in der Lyrik von Erich Fried sei bereits abgeschlossen.

Biblische Bezüge zur Interpretation von Gedichten bereitstellen

Literatur auf jüdisch-christlichem Hintergrund kann oft nur verstanden werden, wenn intertextuelle Bezugnahmen auf das "Buch der Bücher" vom Rezipienten identifiziert werden. Die Datenbank ermöglicht auch Lesern ohne ausgeprägten Bibelkenntnissen, die intertextuellen Bezüge zur Bibel für das Verstehen der Texte fruchtbar zu machen.

Von besonderer Bedeutung ist dies vor allem bei Verweisen auf die Bibel, die den biblischen Prätext nicht wörtlich zitieren, sondern ihn in modifizierter Weise aufnehmen bzw. inhaltlich auf diesen anspielen: Mit einer Bibelkonkordanz können diese biblischen Spuren nicht gefunden werden.

Darüber hinaus bietet die Datenbank die Möglichkeit, die Aufnahme eines einzelnen biblischen Motivs, einer einzelnen biblischen Erzählung in unterschiedlichen Gedichten in den Blick zu nehmen. Dadurch kann in besonderer Weise das Spezifische des intertextuellen Bezugs im analysierten Text erfasst werden. Von Interesse ist dies nicht nur im Hinblick auf die Gedichte unterschiedlicher Autoren, sondern auch im Hinblick auf das Lyrikwerk eines Autors oder einer Autorin.

Nicht jeder literarische Text, der sich auf die Bibel bezieht, ist deshalb auch religiös. Dies gilt es zunächst mit aller Bestimmtheit festzuhalten. Dennoch sind Gedichte mit biblischen Spuren als autonome Zugänge zur Bibel aus theologischer Perspektive religiös relevant.

Quellen: epd/Lyrik-Projekt

Datum: 10.01.2004

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