Männer zeigen mehr Interesse an Kirche und Religion

"Männer in Bewegung": Unter diesem Titel hat der Religionssoziologe Paul M. Zulehner mit dem Sozialwissenschaftler Rainer Volz eine Studie zum Rollenverständnis der Männer veröffentlicht.
Männer wollen ordnen, gestalten und das Leben an die Hand nehmen.

Befragt wurden knapp 1500 Männer zwischen 17 und 85 zu Themen wie Familie, Arbeit, Sexualität und Religion. Dabei wurden die Ergebnisse mit einer 1998 durchgeführten Vorgänger-Studie verglichen. Christian Rutishauser, Direktor des Lassalle-Hauses in Edlibach, hat sich mit der Untersuchung befasst.

Josef Bossart: Welches sind in Ihren Augen die wichtigsten Ergebnisse dieser neuen Studie? Anders gefragt: Was hat sich in der Lebenswelt der Männer in den letzten zehn Jahren verändert?
Christian Rutishauser: Die Studie heisst zwar "Männer in Bewegung", doch das Rollenverständnis der Männer hat sich erstaunlich wenig geändert. Gerade im Vergleich zu den Frauen zeigt sich, dass Frauen sensibler und rascher auf gesellschaftliche Veränderungen reagieren.

Doch sticht zum Beispiel eine immer stärkere Überromantisierung von Partnerschaft und Ehe ins Auge oder die Tatsache, dass Männer angesichts von Scheidungen immer grösseren, wirtschaftlichen Anforderungen ausgesetzt sind. Männer wollen zuweilen weniger Kinder, weil sie bei einer allfälligen Scheidung für diese aufkommen müssten. Früher waren es die Frauen, welche Kinder eher als Hindernis für eine Berufskarriere ansahen.

In Schweizer Grossbanken haben sich vereinzelt (Männer-)Gebetsgruppen gebildet - Not lehrt beten, heisst es. Oder steckt mehr dahinter als eine Reaktion auf die Finanz- und Wirtschaftskrise?
Leider bringen oft erst Not und Leidensdruck den Menschen in Bewegung. Das Beten, das Sie ansprechen, und die Forderung nach mehr Ethik sind spontane Reaktionen, die kaum tiefer greifen. Sie alleine reichen nicht aus. Es braucht die Einsicht, dass strukturelle Veränderungen nötig sind.

Die Krise hat nicht die grosse Masse erreicht, und so sind im Augenblick kein grundsätzlicher Gesellschaftswandel und auch kein neues Männerverhalten zu erwarten. Dass neben Geld und Karriere auch Werte wie Freundschaft wieder neu entdeckt werden, bleibt zu hoffen. Das Männerleben kann nicht so eindimensional und halbiert weitergelebt werden.

Die Säkularisierung sei von den Männern schneller aufgenommen worden als von den Frauen - und jetzt seien die Männer auch schneller mit den Grenzen der Säkularisierung konfrontiert worden, heisst es in der Studie. Stimmen Sie dieser These zu? Oder anders gefragt: Begegnen Sie im Lassalle-Haus vermehrt Männern, die mit ihrem (Macher-)Latein am Ende sind?
Ja, die Studie belegt, dass das Interesse an Kirche und Religion unter Männern zugenommen hat, unter Frauen jedoch nicht. Eine Rückbesinnung auf bewährte Werte hat sichtlich eingesetzt. Jüngere Männer lassen sich stärker von der grossen soliden Tradition der Kirche oder anderen Religionen ansprechen. Sie wollen zum religiösen Kerngeschäft, zu einem praktischen Zugang zu den letzen Fragen und Werten vordringen. Das finden sie in einem spirituellen Zentrum wie dem Lassalle-Haus; wir spüren ein grösseres Nachfragen. Aber auch eher rechtskonservative und traditionalistische Bewegungen sind für sie attraktiv.

Wenn der Mann von heute mit Eifer "sich für einen höchsten Herrn einsetzen kann", dem er sich ganz verpflichten will... dann könnte für die Kirche ein ganz grosses Kraft-Potential erschlossen werden, merken Sie in einer Deutung der neuen Männer-Studie an. Die Kirche strotzt derzeit nicht eben von in diesem Sinne "starken" Männern.
Männer wollen ordnen, gestalten und das Leben an die Hand nehmen, gerade im öffentlichen Raum. Wenn sie dabei vom Absoluten und von Idealen geleitet werden, gewinnen sie eine besondere Kraft. Doch dafür gibt die Kirche kaum einen Raum.

Die Kirche hat sich ins Private abdrängen lassen, gibt wenig Gestaltungsfreiraum. Vor allem ist ihr die gelebte Botschaft vom Evangelium fast verdunstet. Da ihre Ideale von sozialer Gerechtigkeit oder Weltdeutung entweder zu allgemein humanistisch oder zu theologisch-dogmatisch sind, können diese auch nicht in die Zivilgesellschaft hinein getragen werden. Männer brauchen neu eine Erfahrung mit dem Gott der Bibel, die sie lebensrelevant anwenden können. Leider fehlt der Kirche in deren Vermittlung ein gesundes Selbstbewusstsein.

Wenn Sie den Kirchen in wenigen und prägnanten Worten sagen müssten, was Sie anpacken sollen, um wirklich die Männer und deren Kraft für sich und ihre Anliegen zu gewinnen - was sagen Sie?
In einer ausdifferenzierten Gesellschaft gehört das Kerngeschäft in die Mitte: Der Glaube muss in einer zeitgemässen Ästhetik und Sprache gefeiert werden können, so dass er neu Sinn stiftet und Lebensdeutung gibt. Gerade das Burnout, welches Männer in den besten Lebensjahren bedroht, ist nicht nur eine Frage der quantitativen Überbelastung, sondern entsteht aus einem Verlust an Lebenssinn. Liturgie, Film, Naturerfahrung oder spirituelles Üben sind dabei wichtig. Das Christentum muss auch Körper und Kraft, Sexualität und Schönheit neu thematisieren. Gefragt ist der alternative Blick auf die Welt, der aus einer narzistischen Konsumwelt heraus führt.

"Männer in Bewegung"

In der Studie "Männer in Bewegung", durchgeführt in Deutschland, wurde unter anderem eine stärkere Religiosität der Männer festgestellt. Von den Kirchen erwarten 31 Prozent der Männer Unterstützung bei der Neugestaltung ihrer Männer-Rolle; bei der ersten empirischen Studie im Jahr 1998 ("Männer im Aufbruch") waren es lediglich 12 Prozent gewesen.

Finanziert wurde die Studie vom deutschen Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend im Auftrag der Gemeinschaft der Katholischen Männer Deutschlands (GKMD) sowie der Männerarbeit der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).

"Männer in Bewegung" kann per E-Mail bestellt werden (zu bezahlen sind bloss die Portokosten): info@maennerarbeit-ekd.de

Autor: Josef Bossart

Datum: 01.10.2009
Quelle: Kipa

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