Der höchste Zürcher - als Christ und Mensch
Gerhard Fischer – des Präsidenten des Kantonsrates – zu Ende. Der Biobauer und EVP-Politiker im Gespräch über Herausforderungen, Höhepunkte und neue Ziele.
Livenet: Herr Fischer, wie ist es möglich geworden, dass die Nichtregierungspartei EVP den Sitz des Kantonsratspräsidenten erhielt?
Gerhard Fischer: Im Kanton Zürich wird das Präsidium gemäss dem Wahlproporz, also im Verhältnis der Wählerstimmen, vergeben. Somit kommen auch die kleinen Parteien zum Zuge, die EVP zur Zeit alle 20 Jahre. Der letzte Präsident der EVP war der damalige Kantonsrat Fritz Jauch.
Wie viel Zeit haben Sie für das Präsidium eingesetzt – und wie haben Sie sich diese Zeit beschafft?
Es handelt sich praktisch um ein 100%-Pensum, wenn man alle Gelegenheiten, die das Amt mit sich bringt, wahrnehmen will. Ich konnte gleich vor dem Beginn des Präsidialjahres meinen Bauernhof an meine Söhne übertragen und mir so den nötigen Freiraum verschaffen.
Erinnern Sie sich an ein markantes Erlebnis in Ihrem Präsidialjahr?
Ich denke an Begegnungen, die ich ohne dieses Amt nie hätte machen können. Da war zum Beispiel eine überraschende und kurzfristige Einladung zum Empfang des deutschen Bundespräsidenten. Ich kam zur Hintertüre herein und sass dann plötzlich neben der Gattin des Bundespräsidenten. Solche Verantwortungsträger in einem persönlichen Gespräch ganz als Mensch kennenzulernen, die einfach echt ernst genommen werden möchten, war für mich eindrücklich und bewegend. Ich wurde in meinem Vorsatz bestätigt, auf Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens ganz persönlich zuzugehen. Auch in der Politik zählen vor allem die menschlichen Qualitäten.
Welche Vorteile hat ein Kantonsratspräsident, der aus einer Nicht-regierungspartei kommt? Was sind die Nachteile?
Der Vorteil ist, dass ich als EVP-Mitglied keinen parteipolitischen und wirtschaftlichen Interessen verpflichtet bin. Als einer, der nicht aus einer Regierungspartei kommt, bin ich neutral. Man kann auch allen begegnen ohne den Makel, eine mächtige Partei zu vertreten. Ich nahm in Kauf, dass die eigene Partei manchmal eher zu kurz kam. Andererseits wollte ich Brückenbauer zwischen dem Parlament und der Regierung sein, denn beide Seiten fühlen sich dann und wann missverstanden. Ich durfte zwischen beiden zu einem guten Gesprächsklima beitragen.
Der Nachteil war, dass ich mich nicht auf eine Machtbasis und ein starkes Beziehungsnetz abstützen konnte. Aber ich empfand das eigentlich nicht als Nachteil, auch wenn ich zuweilen weniger informiert war als Mitglieder einer Regierungspartei. Ich hatte einen guten Zugang zu den Informationen, die ich brauchte.
Wie sind Sie mit den Macht- und Ränkespielen umgegangen?
Das war nicht immer einfach. Ich bin ein Mensch, der sehr auf Korrektheit bedacht ist und einen vielleicht übersteigerten Gerechtigkeitssinn hat. Ich hatte als Ratspräsident dafür zu sorgen, dass die Sitzungen mit Anstand und Würde abgewickelt wurden. Somit stoppte ich wenige Male auch Redner, welche polemisch und unsachlich andere angriffen. Mir war es wichtig einzugreifen, wenn in der Debatte gewisse Grenzen überschritten wurden. Das führte dazu, dass ich gelegentlich zu rasch eingriff und mich anschliessend dafür entschuldigen musste. Als Christ verliert man nicht das Gesicht, wenn man sich entschuldigt.
Was war für Sie das Kriterium?
Sobald es nicht mehr um die Sache geht, sondern nur noch auf die Person gespielt wird, habe ich interveniert. Besonders wenn dann auch noch ungebührliche Ausdrücke fielen. Das kam zum Glück relativ selten vor. Ich war mir aber auch bewusst, dass die Ratsmitglieder Menschen sind, die öffentlich in Erscheinung treten wollen. Ich wehrte mich dennoch, wenn jemand aus diesem Grunde Sonderrechte beanspruchen wollte. Ich musste dabei neu lernen Position zu beziehen und mich durchzusetzen – als einer, der es gerne allen Recht machen möchte. In heiklen Situationen war ich aber meistens – mit Hilfe des Parlamentsdienstes und des Rechtsdienstes – gut vorbereitet.
Wie wurden Sie von den Medien wahrgenommen und behandelt?
Fast immer positiv. Ich hatte beim Antritt meiner Amtszeit den Medienleuten gegenüber meine Wertschätzung über ihre Arbeit zugunsten der Politik ausgedrückt. Nur ein Mal wurde ich von einem Journalisten bissig kommentiert. Der Anlass war die traditionelle jährliche Einladung der Medien durch den Kantonsratspräsidenten. Weil ich die Medienleute nicht nach Bäretstwil einladen wollte, lud ich ins Zürcher Vegi-Restaurant Hiltl ein. Dies trug mir von einem NZZ-Redaktor einen unfreundlichen Kommentar ein. Der Biobauer Fischer habe die Medien «im Sündenpfuhl Zürich« zu einem «Bruder in Christo« eingeladen, schrieb er mit beissender Ironie. – Wir hatten anschliessend ein gutes Gespräch. Im übrigen wurde ich zuvorkommend und korrekt behandelt.
Brauchten Sie manchmal besondere Kommunikationsfähigkeiten?
Ein Kantonsrat ärgerte sich bei meiner ersten Sitzung, dass die von ihm gestartete Volksinitiative nicht mehr beraten wurde. Als ich nach dem dritten Traktandum die Sitzung wegen des traditionellen Apéros zum Start des Amtsjahres beendete warf er mir vor, ich hätte an diesem Morgen nur den Apéro im Kopf gehabt. Als ich von einem Lokalsender darauf angesprochen wurde, konnte ich die Äusserung humoristisch einordnen.
Gab es auch heikle Momente in Ihrem Präsidialjahr?
Die Budgetdebatte ist immer etwas vom Schwierigsten für den Präsidenten, sie ist wie eine Reifeprüfung. Es gibt meistens viele Abänderungsanträge, die alles umwerfen können. Es gab auch in der Eintretensdebatte 2010 einen Ordnungsantrag, der auf die Rückweisung des Budgets zielte. Ich erklärte sachlich, weshalb wir über den materiellen Antrag nicht abstimmen können. Der Ordnungsantrag wurde dann hoch abgelehnt.
Auch der traditionelle gesellschaftliche Anlass des Präsidenten, der seine Ratskollegen in seine Heimatgemeinde einlädt, forderte mich heraus. Am Abend war ein Anlass mit verschiedenen Darbietungen vorgesehen. Ich lud dazu auch den Singkreis Bäretswil-Bauma ein, der einen Ausschnitt aus der Messe mit dem Schweizerpsalm sang. Der EVP-Kantonsrat Markus Schaf führte durch den Abend. Er erläuterte die Geschichte der Landeshymne (Schweizer Psalm), die das Resultat der Aussöhnung nach einem langen Kulturkampf war. Das kam erstaunlich gut an – bis in die linken Kreise.
Die beiden Zürcher Volksinitiativen zur Suizidhilfe, die Ihnen wichtig sind, wurden vom Kantonsrat während Ihrer Amtszeit abgelehnt. Wie sind Sie damit als Parlamentspräsident umgegangen?
Ich musst mich in der Tat als Präsident zurückhalten, wurde aber oft zu Referaten zum Thema eingeladen. Ich werde mich auch in Zukunft für die Initiativen einsetzen.
Welche speziellen Aufgaben haben Sie als Kantonsratspräsident auch noch wahrgenommen?
Neben den gegebenen Aufgaben sowie den vielen Repräsentationsaufgaben bleibt nicht mehr sehr viel Zeit. Die verbliebene nutzte ich dazu, möglichst viele landes- und freikirchliche Gemeinden zu besuchen. Ich hielt Predigten, gab Interviews, sprach an Altersnachmittagen und Männertreffs. Ich sprach dabei oft zum Thema «Christ und Politik« oder über christliche Werte in der Politik. Oft wurde ich auch über meine persönliche Familiengeschichte befragt. Wie ich zum Beispiel mit meiner frühen Verwittwung umgegangen bin.
Haben Sie auch darüber gesprochen, wie Sie persönlich als Christ politisieren?
Natürlich. Das war immer wieder ein wichtiges Thema. Gemeindeglieder sagten mir oft sie seien froh, von einem christlichen Politiker zu hören, wie Politik gemacht werden könne. Sie waren dankbar, dass der christliche Beitrag in der Politik zum Tragen kommt und bekundeten mir gegenüber, persönlich für eine solche Politik einstehen zu wollen.
Was sagten Sie, wenn Sie gefragt wurden, was Christen speziell in die Politik einbringen?
Am wichtigsten ist wohl, dass sich Christen zuerst mit ihrem Menschsein einbringen. Sie können zeigen, dass sie sich um diese Gesellschaft und ihre Probleme kümmern und die Menschen lieb haben. Sie können deutlich machen, dass sie die biblische Herausforderung angenommen haben, für die Menschen in dieser Welt Verantwortung zu tragen.
Welche Rolle spielte Ihr christlicher Glauben in diesem Präsidialjahr?
Man kennt mich bereits seit langem als bekennender Christ. Nach einer Sendung des «Fenster zum Sonntag« erhielt ich unerwartet viele anerkennende Kommentare von namhaften Persönlichkeiten auch aus der Politik. Im Kantonsrat gibt es Menschen, die durch schwierige Zeiten und Krankheiten gehen. Mit ihnen komme ich ins Gespräch und kann Sie dann auch aus meinem Glauben heraus ermutigen. Ich versuche ihnen zu vermitteln, dass der Glaube trägt. Ein transparenter und mitfühlender Glaube erlaubt es, auf Menschen zuzugehen und ihnen zu zeigen, dass man sie wertschätzt und liebt. Das ist unser Auftrag, der gelebte Glaube bewirkt vieles.
Welche Erfahrungswerte haben Sie in diesem Amtsjahr für Ihre weitere politische Tätigkeit gewonnen?
Wichtig war für mich, auf die andern zuzugehen und das Gespräch zu suchen und gleichzeitig für die eigenen Anliegen einzutreten und andere davon zu überzeugen. Wir brauchen eine gesamtgesellschaftliche Sicht, zu der wir stehen und sie zielorientiert verfolgen. Ich traf auf Leute, vor denen ich eher Hemmungen hatte, das ist meine Natur. Ich merkte dabei, dass ich ihnen etwas zu sagen hatte. Ich möchte auch in Zukunft mutig zu meinen Überzeugungen stehen.
Was würden Sie im Rückblick anders machen?
Ich würde vieles gelassener nehmen und noch mehr auf Gott vertrauen. Oft war ich beschämt, wie Gott es schenkte, dass mir vieles gelingen durfte und auch Menschen von meinen Ausführungen angesprochen wurden. Wichtig war mir, dass mich die Zürcher als Menschen kennenlernten. Darauf würde ich noch mehr setzen.
Wo und wie konnten Sie auch mal auftanken?
Ich habe in diesem Jahr viel gegeben. Und ich kam in diesem Jahr auch an Grenzen wie noch nie in meinem Leben. Am Sonntag besuchte ich daher wenn immer möglich den Gottesdienst der eigenen Gemeinde. Zuhause nahm ich mir Zeit und ging oft auch nach draussen in die Stille. Das tägliche Losungswort begleitete mich – auch auf dem Weg an Sitzungen und Veranstaltungen. Beim Arbeiten auf dem Bauernhof bewegte mich oft ein Wort oder ein Gedanke. Wichtig ist mir meine (Gross)Familie, die mich begleitet und trägt.
Die Zürcher EVP hat in den Wahlen, die in Ihr Präsidialjahr fielen, Sitze verloren. Welches sind Ihre Folgerungen daraus für die EVP und für die christliche Politik?
Christliche Politik muss sich weiterhin einbringen, denn eine differenzierte Politik aus christlicher Sicht ist enorm wichtig. Sie muss verständlich machen können, weshalb Christen in der Politik wichtig und nötig sind. Wir müssen uns auch bewusst sein, dass wir nicht allein die Christen gewinnen sollen, sondern Menschen, denen Werte für eine gemeinsame Zukunft wichtig sind. Wir dürfen das Evangelium selbst nicht bedeckt halten. Mir fällt auf, dass EVP-Leute in den Gemeindewahlen in meiner Region überall Spitzenplätze belegten, weil sie als Menschen überzeugen. In Parlamentswahlen ist es schwieriger, davon zu profitieren. Wir müssen noch deutlicher machen, dass es uns nicht um den eigenen Bestand geht, sondern um Menschen und zukunftsfähige Werte.
Wie wird Ihre politische und berufliche Zukunft aussehen?
Als Kantonsrat bin ich wieder gewählt worden. Bei den kommenden Nationalratswahlen werde ich nochmals kandidieren. Inzwischen habe ich viele neue Leute kennengelernt und bin nun gespannt, was daraus wird. Beruflich stehe ich vor der Herausforderung, das Präsidium der Vereinigung «Pro Zürcher Berggebiete» zu übernehmen, welche die Interessen der Berggemeinden - und unter anderem auch die Regionalen Milch- und Käsespezialitätenverabeitung durch die Aktiengesellschaft «Natürli Zürcher Berggebiet« vertritt. Ich habe mich noch nicht entschieden.
Webseite:
Website von Gerhard Fischer
Datum: 12.05.2011
Autor: Fritz Imhof
Quelle: Livenet.ch