«Christlicher Nationalismus»

Christen sollen dienen - nicht dominieren

Bei der Podiumsdiskussion (v.l.n.r.): Andi Bachmann-Roth, Christian Scheidegger, Marc Jost, Samuel Kullmann, Kati Rechsteiner, Peter Schneeberger
«Ist es christlich, Christen in allen Gesellschaftsbereichen in Machtpositionen zu bringen?» Jeff Fountain vom Schuman Centre for European Studies forderte an der DV der SEA zum kritischen Hinterfragen des Phänomens «christlicher Nationalismus» auf.

Aus Anlass ihrer Delegiertenversammlung (DV) 2025 lud die Schweizerische Evangelische Allianz SEA zum Dialog über das Thema «Heilige Nation!? Eine kritische Auseinandersetzung mit nationalistischer Politik unter christlichem Deckmantel». Jeff Fountain, Direktor des Schuman Centre for European Studies in Amsterdam, legte mit grundsätzlichen Gedanken den Boden. «Christlicher Nationalismus ist die Vorstellung, dass die eigene Nation auf dem Christentum gegründet und nach christlichen Grundsätzen geregelt werden sollte.» 

Obwohl es gut klingen mag, auf diese Weise das jüdisch-christliche Erbe im säkularisierten Westen wiederherzustellen, warnte Fountain vor der gefährlichen Verbindung von Glauben und Macht. Diese Vermischung zeige sich derzeit bei verschiedenen Führungspersönlichkeiten, die christliche Rhetorik gezielt zur Stärkung ihrer Machtposition nutzten. Er riet, auf die Früchte solchen Gebarens zu achten: «Bringt es Nächstenliebe und Dienst am Mitmenschen hervor – oder setzt es andere herab, um sich selbst zu erhöhen?»

Christliche Werte im Wettbewerb der Ideen

Mit dem EVP-Nationalrat Marc Jost und dem Berner EDU-Grossrat Samuel Kullmann reagierten zwei hiesige Politiker mit unterschiedlichen Perspektiven auf Jeff Fountains Votum. Kullmann bejahte die Gefahr einer Vermischung des Glaubens mit Macht. Gleichwohl sollten christliche Politiker wo nötig gezielt christliche Werte in den gesetzgeberischen Prozess einbringen. Jost appellierte an die Demut: «Es ist eine Illusion, zu meinen, dass es gut kommt, wenn nur überall Christen an der Macht wären. Denn jeder Mensch ist fehlbar.» Vielmehr begrüsse er den Wettbewerb unterschiedlicher Ideen und Meinungen – ein Wettbewerb, in dem Christen mit ihren Werten nicht hinter dem Berg halten sollten.

Auch auf dem Podium, auf dem zusätzlich die Pfarrerin Kati Rechsteiner, der Historiker Christian Scheidegger und der Präsident des Dachverbands Freikirchen.ch Peter Schneeberger mitdiskutierten, sah niemand eine christliche Nation als erstrebenswertes Ziel an. Statt zu dominieren, sollten Christen – dem Vorbild von Jesus Christus folgend – dienen.

65 Jahre im Einsatz für die SEA

Die grössten Veränderungen, die Thema der anschliessenden Geschäftssitzung waren, sind personeller Natur. Susanna Rychiger hat sich nach vier Jahren im Vorstand nicht zur Wiederwahl zur Verfügung gestellt und wurde verabschiedet. Für sie und für Kati Rechsteiner, die ihren Rücktritt im kommenden Jahr bereits angekündigt hat, werden zwei neue Vorstandsmitglieder gesucht. In der Geschäftsstelle steht ein Generationenwechsel an, weil zwei langjährige tragende Stützen des Teams in Pension gehen: Christine Anliker beendet ihre Berufstätigkeit diesen Sommer nach 33 Jahren in der Administration, Susi Fankhauser im kommenden Winter nach 14 Jahren in der Buchhaltung. Für beide war es entsprechend die letzte DV in ihrer Funktion. Zusammen mit der ebenfalls zurücktretenden ehrenamtlichen Mitarbeiterin Dorothée Eisenhut kommen sie auf die beachtliche Zahl von 65 Jahren im Dienst der SEA.

Im Jahresrückblick berichteten unter anderen die Jugendbeauftragte Jaël Binggeli und der interkulturelle Beauftragte Egzon Shala von ermutigenden Anzeichen geistlichen Aufbruchs in ihren Arbeitsbereichen. Und auch in finanzieller Hinsicht sind leicht positive Signale zu vermelden: Nach dem belastenden Minus vom Vorjahr konnten die Delegierten eine positive Jahresrechnung 2024 genehmigen. Wesentlich zu dieser Entspannung beigetragen haben neben Sparmassnahmen auch die per 2024 erhöhten Mitgliederbeiträge. Der positive Abschluss ermöglicht eine kleine, aber dringend nötige Erhöhung des Organisationskapitals.

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