«Ich gab mein Bestes»
Stephan Pestalozzi, Sippenhaftung zählt in der Schweiz nicht. Wenn man nun aber Pestalozzi heisst, besteht Klärungsbedarf: Sind Sie verwandt mit ihm?
Stephan Pestalozzi: Johann Heinrich Pestalozzi, der von 1746 bis 1827 lebte, ist tatsächlich ein verwandter Artgenosse von mir. Allerdings stamme ich nicht direkt von ihm ab, denn Johann Heinrich hatte nur einen Sohn, und dieser wiederum hatte keine weiteren Kinder mehr. Als Pädagoge fühle ich mich allerdings nach wie vor sehr mit seinem Gedankengut verbunden. Sein Grundsatz, junge Menschen mit «Kopf, Herz und Hand» zu erziehen und dadurch nachhaltig zu prägen, ist heute immer noch aktuell. Auch seine Ideen und Überzeugungen – welche auf einer tiefgründig, christlichen Ethik basieren – wie zum Beispiel ein Staat und dessen Gesellschaft in gegenseitiger Verantwortung funktionieren sollen, sind sehr wertvoll und prägen die Schweiz «Gott sei Dank!» noch immer in vielen Bereichen.
Ihr neues Album heisst «Coming home», was muss man darüber wissen?
Das Album «Coming Home» ist ein wichtiger Meilenstein in meinem jetzigen Lebensabschnitt und auch auf meinem Weg als Musiker. Seit ich 14 Jahre alt bin, habe ich in ganz verschiedenen Bands und Ensembles musiziert – zuerst in Europa und später auch in den Vereinigten Staaten. Die Lieder auf dieser Musikproduktion sind eine Zusammenstellung von vier wichtigen Stationen in meinem Leben, wo ich in Worship Teams aktiv war: Greater Boston Vineyard Church (Massachusetts, USA), Vineyard Laguna Niguel (Kalifornien, USA), Stiftung Schleife (Winterthur) und von der Regiopraisenight (Basel).
Während ich diese Musik immer wieder mit ganz verschiedenen Formationen spielte, ist bei mir die Vorstellung immer klarer geworden, wie die Songs beziehungsweise deren Arrangements wirklich klingen sollten. Ich habe mir schliesslich vorgenommen, das genau so zu realisieren und zusammen mit top Musikern einzuspielen; ohne Abstriche, das heisst, inklusive live Big Band, live Streicher Arrangements, Holzbläser, richtiger Hammond B3 Organ, aufwendigen Backing Vocal Arrangements und so weiter. Anstatt ein Jahr – wie ursprünglich geplant – haben wir am Ende mehr als dreieinhalb Jahre an dieser Produktion gearbeitet und das Ganze hat mich ein Vermögen gekostet. Aber das ist für mich auch ein Ausdruck von Anbetung. Die CD ist aus meiner Sicht ein Kunstwerk, für das ich Gott alles, beziehungsweise wirklich mein Bestes, gegeben habe.
«Coming home», also «heimkehren» - wo sind Sie eigentlich daheim? Sie graduierten am Berklee College of Music in Boston, wo weitere Studien auf der Harvard-Universität folgten. Die Musiker auf Ihrer CD stammen zu einem beachtlichen Teil aus Deutschland, und selbst wohnen Sie in der Schweiz ...
Ich fühle mich in der Schweiz sehr zu Hause. Während meiner Studienzeit in den USA bin ich einmal im Februar zurück in die Schweiz gereist und am Morgenstreich in Basel gewesen. Als um Punkt 4.00 Uhr die Lichter ausgingen und die Trommeln und Pfeifen begannen, musizierend durch die Strassen zu marschierten, habe ich gezittert und geweint zugleich. Da wurde mir bewusst, dass meine Wurzeln in Basel sind, weil diese einheimische Musik mich so tief berührt. Sehr ähnlich empfand ich eine Situation, als ein Männerchor im Toggenburg einen Alpsegen sang. Für mich als Musiker waren das Schüsselerlebnisse, dass Musik, für die ich mich vorher nie wirklich interessiert hatte, mich in einem bestimmten Moment gefühlsmässig dermassen überwältigte, weil ich dabei ein so starkes Heimatgefühl empfand. Ich glaube, das hat damit zu tun, dass ich eben so lange im Ausland gelebt habe.
In den USA habe ich viele gute Musiker und auch sehr gute Freunde kennengelernt. Dadurch habe ich dieses Land sehr lieb gewonnen. Vineyard Gemeinden sind für mich immer ein Zuhause. Und natürlich auch meine Familie, Deborah und meine beiden Söhne, so wie es Reinhard Mey in einem seiner Lieder besingt: «Ein richtiges zu Hause ist erst, wenn eine Krippe darin steht...»
Welche Einflüsse sind alle auf Ihrem Album? Mir scheint sowohl Klassik vorhanden, wie in einem Song ein Country-Rhythums samt wehmütiger Geige ...
... also wehmütig finde ich die Geige jetzt nicht gerade. Im Song «Calling my name» ist eine Fiddle zu hören, die Bluegrass Melodien als Begleitung zum Gesang einspielt. Die Einflüsse, die dieses Album prägen, sind aber im wahrsten Sinne des Wortes sehr reichhaltig: Meine erste Klavierlehrerin kam aus der Tschechoslowakei; da war hartes Training und Klassik angesagt. Berklee ist eine Jazzschule; dort überlebt man nur mit dem «Real Book» unter dem Kopfkissen. Meine Hauptfächer waren Film Scoring, Songwriting und Musikgeschichte. Meine Songwriting-Lehrer kamen allesamt aus Nashville, Tennessee. Das färbt natürlich schon ein bisschen ab. Die Stile, die da zusammenfliessen, sind: Soul, R&B, Country, Pop, Jazz und Joachim Neanders «Lobe den Herren» aus dem Jahre 1680. Ich finde aber, es ist meinem Produzenten, Andi Müller, ausserordentlich gut gelungen, die ganze Musikproduktion – trotz dieser Vielfallt – einheitlich wirken zu lassen.
Stellen Sie doch einen oder zwei Ihrer Songs etwas näher vor ...
«Shepherd in times of trouble» ist einer meiner Lieblingssongs. Der Text ist einem Psalm von David nachempfunden, bei dem er sich am Anfang bedrückt und unwürdig fühlt. Diese Situation wird in einem Moll-Teil rubato zum Ausdruck gebracht. Während der Singende aber seinen Blickbewusst auf Gott richtet und beginnt anzubeten, öffnet sich der Himmel und am Ende besingt er, was für ein Fest im Himmel stattfindet, wenn wir unsere Herzen bewusst nach dem Vater ausrichten.
Die Variationen – bestehend aus Marsch, Jazz und Klassik – über «Lobe den Herren» waren mir ebenfalls wichtig, um bewusst auch eine Brücke zu traditionellerem Liedgut zu schlagen.
Was ist Ihnen wichtig, zu transportieren?
JESUS.
Sie produzieren auch Musik für Film und Fernsehen, was sind Ihre aktuellen Projekte?
Im Herbst 2011 habe ich Musik für einen Werbespot von «Axanova» geschrieben. Für das christliche Hilfswerk «JAM Schweiz» habe ich einen kurzen Dokumentarfilm vertont.
Was begeistert Sie am meisten an Gott?
Dass er unendlich, ewig, beziehungsweise unsterblich ist. Das meiste, was mir sonst im Leben begegnet, ist letztlich irgendwo begrenzt – aber nicht Gott: Das ist für mich sehr begeisternd!
Wie sind Sie Christ geworden?
Ich bin in einem Pfarrhaus aufgewachsen. Meine Eltern waren mehr als zehn Jahre lang Teil der Don Camillo Kommunität. Aus der Arbeit des CVJM haben mich wichtige Leiter als Vorbilder während meiner Jugendjahre stark geprägt. Mit 14 habe ich mich dann taufen lassen.
Warum sind Sie Christ?
Weil ich Jesus sehr lieb habe und ihn in meinem Herzen trage. Das ist für mich das Einzige, was auf die Dauer wirklich relevant und lebensentscheidend ist.
Was bringt der Glaube an Jesus? Was macht den Unterschied aus?
Es gibt hundert gute Gründe und verschiedene Arten, das Leben zu geniessen oder es auch zu verschwenden. Als ambitionierter Musiker läuft man zum Beispiel leicht Gefahr, zum Workaholic abzudriften, oder einfach dem eigenen Erfolg nachzujagen. Andere jagen Geld, Frauen, einer Karriere oder einem Lifestile nach. Letztendlich wird es aber immer zum Egotrip, wenn wir uns nicht bewusst entscheiden, etwas anderes zu tun, als einfach unsere eigenen Wünsche und Bedürfnisse zu befriedigen. Jesus hat aus Liebe sein Leben für Andere hingegeben – Er ist mein grösstes Vorbild. Ich möchte mein Leben deshalb aus Liebe in Andere investieren.
Beschreiben Sie ein besonderes Erlebnis, das Sie mit Gott gemacht haben.
Während meinem Musikstudium brauchte ich eine Wohnung in Boston, aber ich hatte nur wenig Geld. Da hab' ich eine Zeitung mit vielen Wohninseraten gekauft und einige angestrichen. Dann habe ich gebetet, dass, wenn es nicht der richtige Platz wäre, die Leute das Telefon einfach nicht abnehmen sollten. Beim dritten oder vierten Versuch, eine Nummer einzugeben, kam ich dann durch. Ich durfte bei dieser Familie umsonst wohnen – für ein paar Babysitter-Stunden pro Woche. Im Wohnzimmer stand ein Flügel, auf dem ich üben konnte. Das hat Gott ganz toll eingefädelt – Mike Shiva kann da echt nicht mithalten ...
Ein Tipp, wie man Gebet und Bibellesen interessant gestalten kann ...
Ich höre sehr viele Bibeltexte während dem Autofahren. Dann habe ich Zeit und ich bin für mich alleine. Ausserdem beeinflusst es mein Fahrverhalten, im Verkehr unglaublich nett und gentlemanlike zu agieren. Auf den Schweizer Strassen würde bestimmt viel entspannter gefahren, wenn das mehr Leute so tun würden.
Steckbrief
Zivilstand: verheiratet mit Deborah Pestalozzi-Frohriep; Kinder: Elisha Leonidas (2.75 Jahre) & Ruven Enea (0.75)
Beruf: Musiker, Lehrer
Wohnort: Winterthur, CH
Werdegang: Kohlenberg Gymnasium Basel, Lehrerseminar Sargans, Berklee Collego of Music Boston, Harvard University Cambridge, School of Supernatural Worship Redding, Zürcher Hochschule der Künste
Hobbys: Fussball, Segeln, Militärgeschichte, mit meinen Söhnen Zeit verbringen ... und Helge Schneider Konzerte besuchen.
Welche Gemeinde oder Kirche besuchen Sie? Wir sind Mitglied der FEG Winterthur.
Funktion oder Mitarbeit in Gemeinde? Ich bin verantwortlich für den Bereich Music & Worship. Ich coache die Worshipleiter und auch deren Bands an Proben. Zusätzlich leite ich das Multi Media Team, welches alle technischen Einrichtungen im neuen Gebäude, dem GATE 27 – nur drei Gehminuten vom Bahnhof Winterthur entfernt – plant. In diesem neuen Gebäude der FEG Winterthur entsteht ein State of the Art Konzertsaal und auch ein Tonstudio im 2. UG.
Lieblingsbibelstelle: «Es ist vollbracht!», Johannes 19,30.
Lieblingsmusik oder Musiker: Keith Jarret, Johann Sebastian Bach, Fréderic Chopin, Ray Charles, James Taylor, Reinhard Mey
Webseite:
Stephan Pestalozzi
Online-Store:
Shop Pestalozzi
Datum: 22.08.2012
Autor: Daniel Gerber
Quelle: Jesus.ch