Die Aargauer Zeitung (AZ) brachte in ihrer Ausgabe am 7. Januar einen Bericht, in dem die Kreationisten angegriffen wurden. In der als sda-Meldung unterzeichneten Meldung hiess es, dass nach dem Aufruhr um die Raël-Sekte Experten jetzt vor einer anderen Bewegung warnten, den so genannten Kreationisten. "Kreationisten glauben fest daran, dass sich die Schöpfung genau so zugetragen hatte, wie es wörtlich in der Bibel steht. Für die Experten ist unter diesen Vorzeichen klar: Die im Verein ProGenesis zusammengeschlossenen Kreationisten sind Fundamentalisten", so wörtlich in der AZ. Im Weiteren ist im Artikel vom Verein ProGenesis die Rede, wobei vor allem die wörtliche Bibelauslegung kritisiert wird. Der Artikel löste in der Leserschaft engagierte Reaktionen aus. Bei der AZ seien in Bezug auf diesen Bericht mehrere Reaktionen eingegangen, sagt der zuständiger Redaktor des Blattes. Das habe man aufgrund der Erfahrungen bei religiösen Themen allerdings auch erwartet. Mitglieder der Redaktion hätten auch persönlich an sie gerichtete Schreiben erhalten, teils mit beigelegten Büchern von Kreationisten zur anempfohlenen Lektüre. Die Redaktion wehrt sich gegen den Vorwurf, dass die Kreationisten im Artikel als Sektierer abgestempelt worden seien. Es sei ja auch in einem Zwischentitel darauf aufmerksam gemacht worden, dass diese keine Sekte seien. Die Beurteilung des Sektenexperten Georg Schmid enthalte aber durchaus "eine warnende Note", so der AZ-Redaktor. Beim von der Schweizerischen Depeschenagentur (sda) übernommenen Text handelt es sich um ein "Extra" zu einem längeren Hintergrundbericht. In diesem Hintergrund stellt die Autorin den Kreationisten-Verein ProGenesis und dessen Gründer, Gian Luca Carigiet, vor. Im "Extra" wird dieser Verein dann von den Sektenexperten Hugo Stamm und Georg Schmid kritisch kommentiert. Der Publizist Stamm kritisiert darin unter anderem die "Verblendung und Verbissenheit dieser fundamentalen – oder zumindest dogmatischen – Christen". Der Bezug zu den Raëlisten fehlt im Original der beiden sda-Meldungen. Es habe sich um eine gedanklich naheliegende Verbindung gehandelt, um das Aufzeigen eines ironischen Kontrastes: Bei den Raëlisten der Mensch mit dem Drang zur eigenen Schöpfungsgeschichte – auf der anderen Seite die absolut Bibeltreuen mit der Gottheits-Schöpfungsgeschichte, sagt das Redaktionsmitglied der AZ. Auch um ein mit dem Deutschen Schulbuchpreis 2002 ausgezeichnetes evolutionskritisches Lehrbuch ist eine heftige Kontroverse entbrannt. Der Verband Deutscher Biologen und biowissenschaftlicher Fachgesellschaften hat in einem Schreiben an alle Kultus- und Wissenschaftsministerien vor dem Buch gewarnt. Von dem im Giessener Lehrmittelverlag Ulrich Weyel erschienenen Werk „Evolution – ein kritisches Lehrbuch“ wurden bisher rund 36.000 Exemplare verkauft. Herausgeber ist die evangelikale Studiengemeinschaft Wort und Wissen (Baiersbronn/Schwarzwald), die die Schöpfungslehre vertritt. Der thüringische CDU-Landes- und Fraktionsvorsitzende, Dieter Althaus, hatte in seinem Festvortrag bei der Verleihung des Schulbuchpreises im November den beiden Hauptautoren, Prof. Siegfried Scherer (München) und Reinhard Junker (Baiersbronn), zu „diesem ausgezeichneten Lehrbuch“ gratuliert. Er hoffe, dass es nicht nur von Biologielehrern für den Unterricht verwendet werde, „sondern auf eine weit darüber hinausgehende Leserschaft trifft“, so der ehemalige thüringische Kultusminister. Der Präsident des Verbandes Deutscher Biologen und biowissenschaftlicher Fachgesellschaften, Prof. Hans-Jörg Jacobsen (Hannover), reagierte in einem Brief an den jetzigen Thüringer Kultusminister Michael Krapp (CDU) mit „grosser Bestürzung“ auf die Preisverleihung. Nach seiner Ansicht wäre es für den Wissenschaftsstandort Deutschland „geradezu verheerend, wenn ein derart ideologisch motiviertes Buch in der Schule Grundlage für die Ausbildung im Fach Biologie/Evolution werden würde“. Jacobsen verwies in diesem Zusammenhang auf Aktivitäten „christlich-fundamentalistischer Sekten“ in den USA gegen die Evolutionstheorie. Verleger Weyel und Autor Scherer wiesen die Kritik zurück. Weyel hat nach eigenen Angaben noch nie einen „derartig unqualifizierten Kommentar“ zu dem Buch gelesen. Scherer erklärte, das Lehrbuch stelle die christliche Schöpfungslehre keineswegs in den Mittelpunkt. Von über 300 Seiten seien etwa 30 der Diskussion von alternativen, christlich motivierten Denkansätzen gewidmet. Der Leser erfahre unmissverständlich, wo der Geltungsbereich der Naturwissenschaft verlassen werde, so Scherer, der Direktor des Mikrobiologischen Instituts der Universität München ist. Nach seinen Angaben distanzieren sich die Autoren des Lehrbuches von einer bestimmten Ausprägung des amerikanischen Kreationismus, die die Evolutionslehre aus den Schulen entfernen wolle und nicht immer mit wissenschaftlichen Argumenten arbeite. Eigentlich sollte es wirklich um wissenschaftliche Argumenten gehen. Das Magazin "factum", welches sich mit den Themen Mensch, Natur und Glaube befasst, führte mit zwei Exponeten ein Interview zum Thema www.factum-magazin.ch/ . Ulrich Kutschera ist Professor für Pflanzenphysiologie/Evolutionsbiologie. Siegfried Scherer ist Professor für Mikrobielle Ökologie, Direktor eines Instituts für Mikrobiologie und Mitautor des Buches „Evolution – ein kritisches Lehrbuch. Das Interview führte Rolf Höneisen. Ulrich Kutschera: Der Begriff “Schöpfung” entstammt dem Bereich des religiösen Glaubens. Im Verlauf der Menschheitsgeschichte wurden von unseren Vorfahren mehr als 100 verschiedene, sich teils widersprechende Schöpfungsgeschichten verfasst. Der bekannteste Mythos ist im Buch Genesis der Bibel nachlesbar. Die dort niedergeschriebenen Allegorien sind durch die Erkenntnisse der Naturwissenschaften seit langem widerlegt. Ein bekannter Physiker soll einmal gesagt haben: Man kann die Bibel wörtlich oder ernst nehmen. Dieser Ansicht schliesse ich mich an. Da Schöpfungsmythen auf übernatürlichen Glaubensinhalten basieren, die Naturwissenschaften jedoch nur real vorhandene Dinge erforschen können, ist der Begriff “Schöpfungstheorie” widersprüchlich. Schöpfungsmythen sind Sache des nicht überprüfbaren, subjektiven Glaubens, Theorien die Resultate naturwissenschaftlicher Erkenntnisse, die auf objektiven Daten basieren. Das Lehrbuch “Evolution” von Scherer und Junker belegt, dass Ursprung und Geschichte des Lebens nicht ohne weltanschauliche Grenzüberschreitungen erforscht werden können. Nun wurde dieser Titel mit dem Schulbuchpreis 2002 ausgezeichnet. Hat die Jury richtig entschieden? Dieses auf biblischen Dogmen basierende “Schöpfungsmodell” wird von den Autoren wie folgt umrissen: Die heute lebenden Organismen sollen auf getrennt erschaffene “Grundtypen” zurückgehen. Die erschaffenen Arten waren von Anfang an perfekt organisiert und zu beschränkter Variation befähigt. Der Schöpfungsakt ist “naturwissenschaftlich nicht nachvollziehbar”. In einer Abbildungslegende findet sich die bemerkenswerte Aussage: Aus der Schöpfung folgt die Voraussage, dass Zwischenformen zwischen Grundtypen niemals existierten und auch künftig nicht gefunden werden. Diese Bauplan-Mischtypen sind jedoch fossil und rezent im Tier- und Pflanzenreich dokumentiert und in meinem Lehrbuch beschrieben. Würden perfekt erschaffene Arten existieren, so gäbe es keine C3-Pflanzen (90 Prozent aller Gewächse mit fehlerhafter Photosynthese); wir kennen C3-/C4-Übergangsformen: Hier wird ein Photosyntheseapparat Schritt für Schritt umgebaut (Makroevolution); der perfekt erschaffene Mensch würde keine Bandscheibenprobleme bekommen und nicht an Krebs sterben; die Dinosaurier wären nicht ausgestorben. Die Jury war offensichtlich überwiegend mit biologischen Laien besetzt und hat daher so entschieden. Aus meiner Sicht ist das Werk als gelungenes Propagandastück des deutschen Neo-Kreationismus zu bewerten und als “Lehrbuch” völlig ungeeignet, da ein verzerrtes Bild der Evolution vermittelt wird. So sind zum Beispiel die “Grundtypen” als “geschaffene Arten” eine freie Erfindung der Autoren. Diese Begriffe existieren in der Evolutionsbiologie nicht und disqualifizieren daher das Buch. Evolutionskritiker geben vor, die Evolution sei unbewiesen. Bis heute fehle der experimentelle Beweis. Sind Sie anderer Meinung? Wer oder was hat den Evolutionsmechanismus bewiesen? Die 1839 formulierte Zellentheorie sagt aus, dass alle Lebewesen aus Zellen bestehen (aus heutiger Sicht eine dokumentierte Tatsache). Wir sind trotz jahrzehntelanger Forschung noch immer weit davon entfernt, alle zellulären Vorgänge auf molekularem Niveau im Detail zu verstehen. Kein sachkundiger Biologe zweifelt jedoch mehr daran, dass das klassische Postulat (Lebewesen sind aus Zellen aufgebaut) korrekt ist. In diesem Sinne sollte der Begriff Evolutionstheorie verstanden werden. Sie bezeichnen den Kreationismus als “Extremposition einiger Aussenseiter”. Wozu dann der Aufwand, einigen Exoten ein ganzes Kapitel in Ihrem Lehrbuch zu widmen? Mit Erstaunen musste ich nach meiner Rückkehr nach Deutschland feststellen, dass sich auch hier eine Kreationisten-Szene etabliert hatte, deren Ziel es ist, die Vor-Darwinsche, auf biblischen Offenbarungen basierende “Schöpfungstheorie” unter Verdrehung und Ignorierung biologischer Fakten der Jugend näher zu bringen. Im Buch von Junker und Scherer habe ich dann unter anderem die folgenden Fehlinformationen gefunden: Das dokumentierte Erdalter von etwa 4,6 Milliarden Jahren sei eine “verbreitete Annahme”; die Endosymbiontentheorie sei hochgradig unwahrscheinlich; fossile Übergangsformen seien nicht nachweisbar. Wenn derartige Behauptungen in einem Schulbuch stehen, kann der in Forschung und Lehre aktive Evolutionsbiologe nicht länger schweigen. Nach dem Motto “wehret den Anfängen” habe ich dann in Kapitel 11 meines Buches die Haupteinwände gegen die Evolutionstheorie und die entsprechenden Gegenargumente dargelegt. Würden Sie ein Mathematikbuch empfehlen, in dem steht, dass nach “verbreiteter Annahme” 2 mal 2 gleich 4 ist? Ist denn Otto Normalverbraucher, der an Gott und seine Schöpfung glaubt, ein bemitleidenswerter Tor? Ich kenne bedeutende Biologen, die vom Konzept Evolution überzeugt sind und dennoch als gläubige Christen regelmässig in die Kirche gehen. Eine wörtliche Interpretation biblischer Schöpfungsmythen passt allerdings nicht mehr in unsere Zeit, da die Geologie und die Biowissenschaften enorme Fortschritte gemacht haben, die nicht einfach ignoriert werden können. Eine Aufwertung der Jahrhundertwissenschaft Biologie, der wir u. a. unsere gute Ernährung und Gesundheit verdanken, wäre wünschenswert, um dem Bildungsmangel zum Thema Evolution entgegenzuwirken. Auf welche Begriffe könnten Sie am ehesten verzichten, ohne Ihre Weltanschauung zu beschneiden: “Natur”, “Zufall”, “Liebe”, “Tod”, “Gott”, “Planung”, “Selektion”, “Wunder”? Dieser Zweistufencharakter des Evolutionsmechanismus wird häufig nicht verstanden, so dass sich das Unwort von der “Darwinschen Zufallstheorie” ausbreiten konnte. Die Begriffe Gott, Planung (im Sinne von Schöpfungsplan), Wunder und Liebe (bezogen auf zwischenmenschliche Beziehungen) haben in der Naturwissenschaft Biologie keinen Raum, da nur reale Dinge erforschbar sind und Bausteine von Theorien werden können. Sie spielen allerdings im Privatleben vieler Menschen (auch einiger Biologen) eine grosse Rolle und sollten daher dem persönlichen Glaubens- und Gefühlsbereich vorbehalten bleiben. Im letzten Kapitel meines Buches (Naturwissenschaft und Glaube) habe ich eine evolutionäre Ethik umrissen. Zum Interviewten: Ulrich Kutschera ist Professor für Pflanzenphysiologie/ Evolutionsbiologie und Verfasser des Lehrbuchs “Evolutionsbiologie. Eine allgemeine Einführung”, Parey Buchverlag, Berlin 2001, 284 S., ISBN 3-8263-3348-9 Rolf Höneisen: Was verbinden Sie mit dem Wort Evolution? Die Evolutionsforschung gliedert sich in verschiedene Teildisziplinen aus Biologie, Chemie, Geologie und Physik. Teile der Evolutionsforschung gehören in den Bereich der empirischen Wissenschaften, beispielsweise die Untersuchung von Variations-, Selektions- und Artbildungsprozessen (Mikroevolution). Ich habe viele evolutionsbiologisch orientierte Kollegen, die auf diesen Gebieten ausgezeichnete wissenschaftliche Arbeit leisten. Übrigens bin ich der Meinung, dass Charles Darwin ein hervorragender Biologe war; viele seiner Erkenntnisse haben auch heute noch Gültigkeit. Andere wichtige Bereiche der Evolutionsforschung sind der experimentellen Methode der Naturwissenschaften grundsätzlich nicht zugänglich, beispielsweise die Entstehung der Tierstämme oder der vermutete Übergang zwischen verschiedenen Tier- und Pflanzengruppen (Makroevolution). Diese Teildisziplinen interpretieren naturwissenschaftliche Fakten, arbeiten dabei jedoch mit Verfahren, die viele Ähnlichkeiten zu geisteswissenschaftlichen (z. B. historischen) Methoden aufweisen. Auch wenn sie ihre Aussagen anders begründen als empirische Wissenschaften und mit Mutmassungen arbeiten müssen, sind sie deshalb nicht “weniger wissenschaftlich”. Schliesslich stelle ich immer wieder fest, dass die Evolutionslehre als Ganzes mit persönlichen Glaubensentscheidungen verbunden ist, was ich achte. Das erklärt m. E. den Absolutheitsanspruch, mit dem diese Lehre ausdrücklich auftritt. Absolutheitsansprüche sind immer ein Kennzeichen der Religion, niemals der Wissenschaft. Das von Ihnen und Dr. Junker herausgegebene Lehrbuch “Evolution” belegt, dass Ursprung und Geschichte des Lebens nicht ohne weltanschauliche Grenzüberschreitungen erforscht werden können. Nun wurde dieser Titel mit dem Schulbuchpreis 2002 ausgezeichnet. Hat die Jury das an den Schulen nicht akzeptierte Buch überhaupt gelesen? Die Jury hat nach meiner Meinung sehr genau verstanden, was das Anliegen unseres Buches war, auch wenn ich nicht davon ausgehe, dass alle Mitglieder das gesamte Werk in allen Einzelheiten gelesen haben. Die Würdigung bezog sich auf unseren Versuch, der einseitigen, weltanschaulich bedingten Festlegung der öffentlichen Diskussion über den Ursprung der Lebewesen mit Sachargumenten zu begegnen. Die Jury hat auch unsere Bemühungen gesehen, konträre Positionen zu respektieren und den Schüler zu einer kritischen, ausgewogenen und sachlichen Auseinandersetzung mit verschiedenen Standpunkten zu führen. Evolutionsvertreter geben vor, die Evolution sei bewiesen, während die Kritik an der Evolutionsbiologie durch Fakten widerlegt werden könne. Wie begegnen Sie dieser Meinung? Leider werden auch offene Fragen der Schöpfungslehre, auf die wir in unserem Buch ausdrücklich hinweisen, von manchen Anhängern der Schöpfungslehre geleugnet oder mit Hilfe von wissenschaftlich unhaltbaren Scheinargumenten verteidigt. Es gibt darüber hinaus Kritik von Christen an der Evolutionslehre, die wissenschaftlich nicht vertretbar ist. In diesen Fällen ist es möglich und auch schon geschehen, dass die Kritiker der Evolutionslehre durch Fakten widerlegt wurden. Die Schöpfungstheorie wird von Kritikern oft als “Extremposition einiger Aussenseiter” bezeichnet. Fühlen Sie sich als einer dieser Exoten? Sie stellen richtig fest, dass unser Buch an staatlichen Schulen nur wenig vertreten ist. Ich kann die Weigerung der Schulen und Schulbehörden, die Schöpfungslehre in den Unterricht der öffentlichen Schulen einzuführen, gut verstehen. Offiziell kann nur gelehrt werden, was die grosse Mehrheit der Wissenschaftler für richtig hält – welchen anderen Massstab sollten die Schulbehörden denn sonst anlegen? Ich kann allerdings weder verstehen noch akzeptieren, dass sachliche Kritik an der Evolutionslehre sowie der vielfach geführte Nachweis der weltanschaulichen Bindung aller Ursprungslehren beharrlich verschwiegen wird. Unser Buch wurde geschrieben, um sowohl Lehrern als auch Eltern und Schülern eine angemessene Informationsmöglichkeit zu geben. Ist Otto Normalverbraucher, der an Gott und seine Schöpfung glaubt, ein bemitleidenswerter Tor, dem das nötige Schulwissen fehlt? Oder anders gefragt: Treiben die Hochschulen unseren Kindern den Glauben aus? Zuweilen werden unsere Kinder in der Schule materialistisch geprägt – das geschieht jedoch keineswegs nur im Biologieunterricht und hängt nach meiner Erfahrung ohnehin stark von den individuellen Lehrern ab. Auch Eltern haben die Möglichkeit, diesbezüglich erheblichen Einfluss auszuüben, wissen das aber meist nicht. Ich persönlich hätte zwar gerne eine christliche Prägung unserer Schulen. Allerdings leben wir auch in Mitteleuropa in einer nachchristlichen Ära. Mit welchem Recht und mit welchen Mitteln soll die kleine, christlich aktive Minderheit unseres Landes für alle Bürger verbindlich eine christlich orientierte Erziehung durchsetzen? Was aber eingefordert werden muss, ist die weltanschauliche Neutralität des Biologieunterrichtes an unseren staatlichen Schulen – und davon sind wir meines Erachtens inzwischen weit entfernt. Auf welche Begriffe könnten Sie am ehesten verzichten, ohne Ihre Weltanschauung zu tangieren: “Natur”, “Zufall”, “Liebe”, “Tod”, “Gott”, “Planung”, “Selektion”, “Wunder”? Zum Interviewten: Siegfried Scherer ist Professor für Mikrobielle Ökologie und Direktor eines Instituts für Mikrobiologie. Er ist Mitautor des Buches “Evolution – ein kritisches Lehrbuch”, 5. Aufl. 2001, Giessen, ISBN 3-921046-10-6 Quelle. idea schweiz/idea.de/factum"Verblendung"
Biologen-Verband kritisiert evolutionskritisches Lehrbuch
Vorwurf: Das Lehrbuch ist „ideologisch motiviert“
Verleger: Kommentar ist unqualifiziert
Kutschera: “Evolution ist eine Tatsache ...”
Rolf Höneisen: Was verbinden Sie mit dem Wort Schöpfung?
Ulrich Kutschera: Ihre Frage enthält eine unzutreffende Behauptung. Die Geschichte des Lebens wurde unter Verwendung von Dokumenten (Fossilien) rekonstruiert. Weltanschauliche Betrachtungen haben bei den betreffenden Paläobiologen und Geologen keine Rolle gespielt. Das Schulbuch von Junker und Scherer – ich beziehe mich auf die 3. Auflage 1992 und 4. Auflage 1998 – ist didaktisch gut aufgemacht und zu einem Preis zu erwerben, den kaum ein anderer Verlag ohne Sponsoren halten könnte. Die Autoren haben es sich zum Ziel gesetzt, der Evolution eine auf der Schöpfungslehre beruhende Gegenposition beiseite zu setzen.
Ulrich Kutschera: Junker und Scherer liefern eine populäre Fehldefinition der Naturwissenschaft Biologie: Diese basiert nicht ausschliesslich auf Experimenten, wie die Autoren vorgeben, sondern auch auf historischen Dokumenten. In den USA wurde vor einigen Jahren das teuerste Dokument der Paläobiologie, ein 65 Millionen Jahre altes Tyrannosaurus Rex-Skelett für 8,36 Millionen Dollar verkauft. Evolution – das Andersartigwerden der Organismen im Verlauf unzähliger Generationsabfolgen – ist eine durch mehr als 250 000 fossile Arten dokumentierte Tatsache; dieses Faktum wird durch ein System von Aussagen (die Erweiterte Synthetische Theorie) beschrieben und erklärt. Es gibt zahlreiche Experimente zur Überprüfung der derzeit akzeptierten Evolutionsmechanismen, die ich in Kapitel 9 meines Buches beschrieben habe. Allerdings ist unser Bild von den Antriebskräften des evolutiven Artenwandels noch lückenhaft. Dies gilt aber auch für andere Teilgebiete der Biologie.
Ulrich Kutschera: Während eines mehrjährigen Forschungsaufenthaltes in den USA (Stanford University, Michigan State University) habe ich miterlebt, welchen Schaden die fundamentalistischen Anhänger des biblischen Schöpfungsglaubens (Kreationisten) der Naturwissenschaft Biologie zufügen können. Evolution ist als dokumentierte Tatsache zur Über-Disziplin und Fundament der Biowissenschaften geworden. Ohne eine evolutionäre Sicht sind die Organismen nicht naturwissenschaftlich analysierbar, da der in der DNA niedergelegte historische Charakter ausgeblendet wird.
Ulrich Kutschera: Es ist ein bedauernswerter Missstand, dass die Biologie an deutschen Schulen nur eine Nebenrolle spielt. Ich bin dennoch davon überzeugt, dass die Mehrheit der aufgeklärten Bürger eine naturalistische Weltsicht vertritt. Glaube und Wissen sollten nicht vermengt werden, wie es die Verkünder der “Schöpfungstheorie” tun, sondern getrennte Ebenen einnehmen.
Ulrich Kutschera: Die Begriffe Natur, Liebe (im Sinne von Fortpflanzung), Tod und Selektion haben direkten Bezug zur Evolutionsbiologie, da diese eine echte Natur-Wissenschaft ist: Populationen bestehen aus sich fortpflanzenden sterblichen Individuen, die in ihren Nachkommen weiterleben; durch Aussterben der nicht an die Umwelt angepassten Varietäten (natürliche Selektion) kommt es zum Andersartigwerden dieser Fortpflanzungsgemeinschaften im Verlauf tausender von Generationen. Diese Evolution kann u.U. zu einer Komplexitätszunahme (“Höherentwicklung”) führen, muss es aber nicht (z.B. Höhlentiere, die von Freilichtpopulationen abstammen). Der Zufall (Schaffung genetischer Variabilität) spielt im Evolutionsgeschehen die primäre Rolle; die Selektion ist dann der richtungsgebende Prozess.Die Gegenposition nimmt Siegfried Scherer ein.
Scherer: “Evolutionslehre braucht Glaubensentscheidungen ...”
Siegfried Scherer: Unter Evolution verstehe ich diejenige Ursprungslehre, welche die Entstehung der ersten Zelle (chemische Evolution) und deren Entwicklung hin zu allen heute existierenden Lebewesen (biologische Evolution) vollständig und ausdrücklich ohne Zuhilfenahme übernatürlicher Faktoren zu erklären versucht.
Siegfried Scherer: In der Tat sind Ursprung und Geschichte des Lebens nicht ohne weltanschauliche Grenzüberschreitungen zu erforschen, doch ist es nicht unser Verdienst, darauf als Erste hingewiesen zu haben. Es handelt sich bei dieser Erkenntnis um eine vielfach belegte Einsicht, welche unter Wissenschaftsphilosophen und Erkenntnistheoretikern schon lange akzeptiert ist. Daten (z. B. Fossilien) sprechen eben nicht für sich selbst, sondern sie müssen interpretiert werden. Jede Interpretation von Daten beruht auf nicht beweisbaren, oft auch weltanschaulich motivierten Annahmen. Leider weigern sich einige Biologen immer noch nachhaltig, diesen Sachverhalt zur Kenntnis zu nehmen. Ich habe den Eindruck, dass diese Weigerung zuweilen mit einer agnostischen oder atheistischen weltanschaulichen Bindung zusammenhängt. Nur so kann ich mir die teilweise bemerkenswerte Verweigerung des sachlichen Gesprächs erklären, die mir nicht selten begegnet.
Siegfried Scherer: Wer behauptet, die Evolutionslehre sei bewiesen, hat erstens nicht verstanden, wie die wissenschaftliche Methode arbeitet: Selbst naturwissenschaftliche Theorien können niemals bewiesen (verifiziert), sondern im günstigsten Fall widerlegt (falsifiziert) werden. Noch viel mehr gilt dies für alle Ursprungslehren (damit auch für die Evolutions- und Schöpfungslehre), weil sie neben empirischen Bereichen grundsätzlich auch historische und weltanschauliche Elemente enthalten. Zweitens sind zentrale Probleme der Evolutionslehre nicht gelöst: Beispielsweise wissen wir nicht, wie die erste Zelle entstanden ist, und wir kennen bis heute keine evolutionären Mechanismen, die zu einer Höherentwicklung (Makroevolution) hätten führen können. Diese Tatsache wird durch manche Evolutionsanhänger entweder geleugnet und mit einem Diskussionsverbot belegt, oder die ungelösten Fragen werden als Randprobleme bagatellisiert.
Siegfried Scherer: Eine Schöpfungstheorie im naturwissenschaftlichen Sinne gibt es nicht und kann es auch nicht geben. Schöpfung muss, ebenso wie Makroevolution, letztendlich geglaubt werden. Deshalb sprechen wir grundsätzlich von Schöpfungslehre und Evolutionslehre. Allerdings können – ich hab das schon erwähnt – bestimmte Teilbereiche von Ursprungstheorien wissenschaftlich formuliert werden. Zu Ihrer Frage: Es kann überhaupt kein Zweifel daran bestehen, dass die in unserem Buch vertretene Meinung eine Aussenseiterposition ist. Nur eine sehr kleine Minderheit unter den Biologen vertritt meine Ansichten öffentlich – in diesem Sinne bin ich sicher ein Exot.
Siegfried Scherer: Durch die einseitige, evolutionsgebundene Ausrichtung der Medien ist es nicht verwunderlich, dass sich viele schöpfungsgläubige Menschen in der Defensive fühlen und verunsichert sind. Kein Mensch sollte sich jedoch als Tor fühlen, weil er an Schöpfung glaubt – genausowenig sollten evolutionsgläubige Menschen durch Christen diskriminiert werden.
Siegfried Scherer: Darf ich die Frage entgegengesetzt beantworten? Folgende Begriffe sind für mein persönliches Leben zentral: Gott – Liebe – Wunder. Ich sehe für diese Begriffe in einem evolutionär-materialistischen Weltbild keinen Raum. Werden sie dort dennoch benutzt, bleiben sie nach meiner Meinung letztlich inhaltsleer. So bin ich dankbar, dass ich in einer Welt leben darf, in der uns die Heilige Schrift eine über den Tod hinausreichende Hoffnung offenbart.
Datum: 05.02.2003