Lutherischer Weltbund bekennt Schuld

Versöhnung mit Mennoniten

In einem historischen Bussgottesdienst haben am 22. Juli der Lutherische Weltbund (LWB) und die Mennonitische Weltkonferenz Versöhnung gefeiert. Vorausgegangen war ein einstimmig gefasstes Schuldbekenntnis der in Stuttgart tagenden LWB-Vollversammlung gegenüber den Täufern.
Historischer Tag: Danisa Ndlovu (rechts) und LWB-Präsident Mark S. Hanson mit dem hölzernen Wascheimer zur Fusswaschung (Foto: LWB/Erick Coll)

Der Erzbischof der nigerianischen Lutheraner Nemuel Babba sagte, ihm seien bei der Lesung des Schuldbekenntnisses die Tränen zuvorderst gewesen. «Das Wort ‚Vergebung‘ kommt uns nicht leicht über die Lippen», sagte Babba. «Der heutige Tag stellt einen Meilenstein dar für zwei Gruppen, die zusammenkommen wegen des Worts ‚Vergebung‘.» Der LWB-Präsident Mark S. Hanson sprach von einem «beispiellosen Schritt». Er bat die Delegierten der Mitgliedkirchen, ihre Annahme der Erklärung schweigend entweder durch Aufstehen oder Niederknien zu bezeugen.

Bitte um Vergebung - für Verfolgung und Vergessen

In der Erklärung heisst es, der LWB empfinde «tiefes Bedauern und Schmerz über die Verfolgung der Täufer durch lutherische Obrigkeiten und besonders darüber, dass lutherische Reformatoren diese Verfolgung theologisch unterstützt haben». Der Lutherische Weltbund fährt fort: «Im Vertrauen auf Gott, der in Jesus Christus die Welt mit sich versöhnte, bitten wir deshalb Gott und unsere mennonitischen Schwestern und Brüder um Vergebung für das Leiden, das unsere Vorfahren im 16. Jahrhundert den Täufern zugefügt haben, für das Vergessen oder Ignorieren dieser Verfolgung in den folgenden Jahrhunderten und für alle unzutreffenden, irreführenden und verletzenden Darstellungen der Täufer und Mennoniten, die lutherische AutorenInnen bis heute in wissenschaftlicher oder nichtwissenschaftlicher Form verbreitet haben.»
Keine Gewalt in Religionssachen

Das Schuldbekenntnis enthält auch eine Selbstverpflichtung, wonach der LWB dafür Sorge tragen will, «die lutherischen Bekenntnisschriften im Licht der gemeinsam beschriebenen Geschichte von Lutheranern und Mennoniten zu interpretieren» und dementsprechend zu lehren. Der Weltbund will «bisher ungelöste Fragen zwischen unseren beiden Traditionen im Geist wechselseitiger Offenheit und Lernbereitschaft» weiter besprechen, «vor allem was die Taufe und das Verhältnis von Christen und Kirche zum Staat betrifft». Die Lutheraner bekräftigen, «dass der Gebrauch der Staatsgewalt zum Ausschliessen oder Aufzwingen bestimmter religiöser Überzeugungen zu verwerfen ist», und wollen sich für Religions- und Gewissensfreiheit einsetzen. Lutherische Gemeinden sollen Beziehungen zu Täufern vertiefen «durch gemeinsame Gottesdienste und Bibelstudien, durch gemeinsames humanitäres Engagement und durch gemeinsame Arbeit für den Frieden».

Theologische Unterschiede bleiben

Mithilfe theologischer Argumente, wie etwa von Martin Luther und Philip Melanchthon, wurden im 16. Jahrhundert Täufer brutal verfolgt und im Einzelfall auch hingerichtet. Eine internationale gemischte Studienkommission arbeitete 2005-2008 die Geschichte auf. Darauf aufbauend bestätigte der Rat des LWB im Oktober 2009 einstimmig die Bitte um Vergebung. Auch wenn weiterhin bedeutende theologische Unterschiede bestünden, könnten diese nun im Rahmen der Auseinandersetzung mit dem Erbe der Verfolgung in einem neuen Klima untersucht werden.

Bitte und Verpflichtung

Für die Mennonitische Weltkonferenz nahm ihr Vorsitzender Danisa Ndlovu, ein Simbabwer, das Schuldeingeständnis des LWB an: «Wir sind tief bewegt von Ihrem Geist der Busse und von Ihrer Bitte um Vergebung.» betonte er in einer bewegenden Antwort auf die Erklärung des LWB. «Wir glauben, dass Gott heute Ihr Bekenntnis gehört hat und Ihrer Bitte um Vergebung entsprochen hat. Wir schliessen uns Gott freudig und demütig an, Ihnen zu vergeben.» Die Mennoniten könnten nicht an diesen Punkt kommen, ohne die eigene Sündhaftigkeit zu sehen, sagte Ndlovu. «Im Vertrauen auf Gott, der durch Jesus die Welt mit sich selbst versöhnt hat, haben Sie nicht nur um Vergebung für vergangenes Handeln gebeten, sondern haben in Ihrer Initiative Integrität bewiesen, indem Sie konkrete Verpflichtungen für weiteres Handeln eingegangen sind. Wir sind dankbar für diese Verpflichtungen.»

Umarmung - und ein Eimer

Im Gegenzug wollen die Mennoniten, so Ndlovu, gemeinsame Sichtweisen der konfliktreichen Geschichte fördern, und dafür sorgen, dass die Versöhnungsinitiative «in den anabaptistisch-mennonitischen Lehren über Lutheraner bekannt und anerkannt wird». Ungelöste Fragen sollen «in einem Geist gegenseitiger Verwundbarkeit und Offenheit für das Werk des Heiligen Geistes» angegangen und täuferische Kirchen, Gemeinden und Werke ermutigt werden, vermehrt mit Lutheranern zusammenzuarbeiten.

Im Namen der Mennoniten überreichte Ndlovu verbunden mit einer freundschaftlichen Umarmung als Gegengabe zum Bussakt der LutheranerInnen einen Holzeimer, wie er in der täuferischen Tradition zur Fusswaschung verwendet wird. Im Anschluss daran gingen die Teilnehmenden der Vollversammlung und die mennonitischen Gäste in einer von Gesang untermalten Prozession zur sogenannten Reithalle, um gemeinsam einen Bussgottesdienst zu feiern. In sechs persönlichen und bewegenden Zeugnissen beschrieben mennonitische und lutherische Teilnehmende die Verfolgung und die heutigen Zeichen von Vergebung und Hoffnung. Durch das gegenseitige Zeichnen von Kreuzen mit Olivenöl auf die Hand des Nachbarn/der Nachbarin vergegenwärtigten sich die Teilnehmenden Heilung und Frieden als Symbol der Versöhnung.

Rund 1.000 Delegierte, Gäste, BeraterInnen, Mitarbeitende und Interessierte aus den LWB-Mitgliedskirchen in 79 Ländern nehmen an der Elften Vollversammlung in Stuttgart teil, die vom 20. bis 27. Juli unter dem Thema «Unser tägliches Brot gib uns heute» stattfindet.

Reformierte Schritte zur Versöhnung

Reformierterseits hatte der Zürcher Kirchenratspräsident Ruedi Reich, Amtsnachfolger Zwinglis, am 26. Juni 2004 an einem Tag der Begegnung mit den Täufern ein Bekenntnis abgegeben, das das Eingeständnis von Schuld mit der Absicht verbindet, die Beziehungen zu täuferischen Kirchen zu verstärken und von ihnen zu lernen. Der Schweizerische Evangelische Kirchenbund SEK und die Konferenz der Mennoniten der Schweiz haben die Arbeit einer gemeinsamen Studiengruppe im November 2009 mit der Veröffentlichung der Broschüre „Christus ist unser Friede" und einem Gottesdienst abgeschlossen.

Zum Thema:
Der LWB zur Versöhnungsfeier
Das Zürcher reformierte Bekenntnis von 2004
Dialog zwischen Kirchenbund und Schweizer Mennoniten
Livenet-Täufer-Dossier

Datum: 23.07.2010
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet.ch

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