Das zukünftige Heil schon heute schmecken!
Wenn ich «Power Evangelism» höre, denk ich zuerst an Wunder wie Heilungen, die auf der Bühne eines vollmächtigen Evangelisten gefeiert werden: Die weggeworfenen Krücken der geheilten Gelähmten türmen sich zu einem Denkmal der besiegten Not auf – und Hunderte und Tausende, die zum Glauben an Jesus finden, strömen nach vorne zur Bühne.
Wunder sind mehr
Heute werden Wunder – vorab Heilungen – oft nur noch in ihrer körperlichen Dimension verstanden. Aussatz war aber zur biblischen Zeit beispielsweise nicht nur eine Hautkrankheit. Vielmehr isolierte Lepra den Kranken und machte es ihm unmöglich, weiterhin Gemeinschaft zu pflegen – mit Menschen und im kultischen Sinne auch mit Gott: Er war «unrein».
Ein Verkrüppelter oder Blinder erhielt damals keine IV, sondern wurde als Bettler seiner Würde und Fähigkeit beraubt, seinen Teil zum Gelingen des gemeinschaftlichen Lebens beizutragen. Heilung war hier die Hoffnung auf ein würdevolles Leben.
Die Austreibung des Dämons bewirkte, dass der besessene Gerasener (siehe Bibel, Markus, Kapitel 5, Verse 1-19) wieder in sein Dorf und zu seiner Familie zurückkehren konnte: Die dämonische Nacht der Einsamkeit hat ein Ende – und Gemeinschaft ist wieder möglich. Wenn Ausgegrenzte zur Gemeinschaft mit Menschen und Gott finden, dann ist das Reich Gottes wahrhaft wunderbar und zeichenhaft unter uns.
Wunder der anderen Art
«Wunder und Zeichen» lassen uns das zukünftige Heil heute schon schmecken. Interessant ist nun, dass die Bibel ein sehr viel ganzheitlicheres Bild des kommenden Heils zeichnet: Nicht nur unsere Körper und Seelen brauchen Heilung, sondern auch unsere Wirtschafts- und Gesellschaftssysteme. Das Reich Gottes ist uns nahe, wenn
- Menschen ein eigenes Dach über dem Kopf haben (Die Bibel, Jesaja 65, Vers 21: Sie werden Häuser bauen und selbst darin wohnen)
- Wirtschaftliche Ausbeutung bekämpft wird (Jesaja 65, Vers 22: Sie pflanzen nicht, damit ein anderer die Früchte geniesst.)
- Faire Löhne bezahlt werden(Jesaja 65, Vers 23: Sie arbeiten nicht mehr vergebens.)
Wir dürfen für körperlich und seelisch Kranke beten, aber lasst uns das Heil Gottes in einem noch umfassenderen Sinn entdecken. Wenn der Hunger in der Welt und die Säuglingssterblichkeit bekämpft werden, hat dies etwas mit den Heilsgedanken Gottes zu tun.
Wenn wir mithelfen, dass es fairer in dieser Welt zu- und hergeht, dann entspricht dies Gottes Sehnsucht. Ja, wir sind uns in unserer freikirchlichen Tradition nicht so gewohnt, diese sozial-politischen Aspekte ebenfalls als Heilszeichen Gottes zu verstehen. Aber schon die Urgemeinde setzte ein Zeichen, als sie ihr Geld und ihre Vermögenswerte teilten, um Not zu lindern (vgl. Apostelgeschichte 4, Vers 34ff).
Wunder sind noch keine Erfolgsgarantie
Wenn Kranke gesund werden, wenn Menschen am Rande ihren Platz in der Gemeinschaft und damit auch ihre Würde wiederfinden, wenn faire Löhne bezahlt werden, wenn wirtschaftliche und soziale Ungerechtigkeit überwunden werden – dann sind dies Zeichen auf die Gegenwart des Reiches Gottes hin. Aber weder Heilungen noch sozial-politische Wunder sind Garantie dafür, dass Menschen wirklich auch zu Jesus finden.
Von den zehn geheilten Aussätzigen hat nur der eine das Wunder als Zeichen verstanden und ist zu Jesus zurückgekehrt (vgl. Lukas 17, Vers 11ff). Wenn Wunder nicht zu Jesus führen, ist das eigentliche noch nicht geschehen. Unsere Gesellschaft respektiert unseren sozial-diakonischen Einsatz – aber das darf uns noch nicht genügen.
Wir beten gerne für Heilungen, was uns heute etwas leichter gemacht wird, weil Wunder in unserer esoterisch durchdrungenen Zeit willkommene Attraktionen sind. Aber sie sind nicht das entscheidende: «Ihr sucht mich nicht, weil ihr Zeichen gesehen habt, sondern weil ihr von den Broten gegessen habt und satt geworden seid» (Johannes 6, Vers 26).
Wir dürfen nicht zufrieden sein, wenn Menschen gesund und satt werden – sie aber nicht zum Glauben an Jesus finden. Lasst uns für Wunder und Zeichen beten und uns dafür einsetzen, damit die Welt in Jesus möglichst den Christus erkennt: Den Herrn und Retter der Welt!
Der Autor Meinrad Schicker ist Pastor der BewegungPlus in Thun und Vorstandsmitglied der BewegungPlus Schweiz, als freikirchlicher Vertreter sind seine Predigten regelmässig auch auf Radio DRS II zu hören.
Datum: 28.10.2011
Autor: Meinrad Schicker
Quelle: Bplus online