Georgiens Kirchen und der politische Umschwung
Die Kirchen des kulturell reichen, aber sonst völlig verarmten Landes haben dabei eine wichtige Rolle gespielt. Nicht nur die dominierende georgische Orthodoxie, sondern ebenso die an Mitgliedern kleinen, aber agilen evangelischen Gemeinden.
Jedenfalls haben sich Georgiens Kirchen in diesem Wahlkampf als konstruktive öffentliche Kräfte erwiesen. Das gilt besonders für die Georgische Orthodoxe Kirche. Ihr gehören 82 Prozent der rund 4,5 Millionen Georgierinnen und Georgier an. Kirchenführer Patriarch Ilia II. hat sich trotz seiner 79 Jahre energisch für einen fairen Wahlkampf und danach für die korrekte Auszählung der Stimmen eingesetzt. Vor allem ist es aber das Verdienst seiner Einflussnahme, dass sich Präsident Saakaschwili in die Niederlage gefügt und nicht dagegen geputscht hat.
Kleine Gemeinden, grosser Einfluss
Auch die kleinen Gemeinden evangelischer Christen in Georgien haben durch ihre starke Ausstrahlung weit kräftiger zu dem für eine ehemalige Sowjetrepublik einmaligen demokratischen Wandel beigetragen, als dies ihre geringe Zahl erwarten liess: So gehören zum «Bund der Evangeliumschristen-Baptisten» knapp 5'000 Mitglieder, bei der Evangelisch-Lutherischen Kirche sind es gar nur rund 1'000 an Kaukasusdeutschen, die Stalin und Breschnjew überlebt haben.
Hoffnung auf die Milliarden
Entscheidend für den überwältigenden Wahlerfolg der brandneuen – erst im Frühjahr gegründeten – Partei «Georgischer Traum» dürfte die Hoffnung der Georgier geworden sein, dass Ivanischvili seine Milliarden nun seinem Volk zukommen lässt. Seit dem Ende des Kommunismus befindet es sich in stetig wachsender Not: Viele georgische Familien leben nur mehr vom Verkauf ihrer Wertsachen und Möbel. Sind diese zu Ende, drohen Hunger und bitterste Not. Folterexzesse in georgischen Gefängnissen, die kurz vor den Wahlen bekannt wurden, haben auch zur Niederlage der bisherigen Regierungspartei beigetragen.
Ein Mann des Westens?
Die westliche Welt begrüsst den Wahlausgang in Tbilissi und seine Akzeptierung durch den bisherigen Machthaber Saakaschwili als «grossen Sieg der Demokratie am Kaukasus». Doch hat Ivanischwili, der sich damals noch «Boris» nannte, sein enormes Vermögen in Moskau als echter russischer Oligarch erworben. So hat sich die georgische Mafia im nachkommunistischen Russland den gesamten Obst- und Gemüsehandel sowie wichtige Finanzinstitute, wie die Adler- und Orenburg-Bank, einverleibt. Ivanisschwili muss daher eher als Mann des Kremls als der Europäer und Amerikaner gelten. Daher ist zu früher Jubel über eine baldige Hinwendung von Tiflis zu EU und NATO nicht angezeigt.
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Datum: 04.10.2012
Autor: Heinz Gstrein
Quelle: Livenet