Europäische Täuferkonferenz

Grenzen mit Gottvertrauen überschreiten

Wer tritt in Konflikten zwischen die Parteien und hebt Ausgrenzung auf? Mennoniten setzen auf Gewaltlosigkeit und dass der Andere seine Geschichte erzählen kann. Am Auffahrtswochenende liess sich die Europakonferenz der täuferischen Freikirche im Emmental von der Bibel und Mut machenden Erfahrungen inspirieren.
Ausweg aus einem verfahrenen Konflikt: Joji und Daniel Pantoja erzählten von Gesprächen mit den Rebellen auf der philippinischen Insel Mindanao.
Austausch über Grenzen hinweg: Elsbeth Zürcher aus Bern, der Holländer Renze Yetsenga und die Strassburger Pastorin Anne-Cathy Graber (von links) auf dem Podium in Sumiswald.

Das Motto der Konferenz «Hände reichen über Grenzen» nahm die Akzente auf, die die Freikirche mit ihrem Eintreten für Gewaltlosigkeit, mit Friedensarbeit und Nothilfe seit Generationen setzt. Das Motto wurde auch missional ausgedeutscht: «Gottes Geschichte mit den Menschen ist eine seines Händereichens über Grenzen hinweg», hiess es in der Einleitung zum Plenum am Freitagvormittag. «Gott bezieht uns ein. Durch uns will er den Menschen Hände reichen.»

Unmögliches Gespräch am Brunnen

Wie können die europäischen Mennoniten mit wenigen kleinen, teils schrumpfenden Gemeinden gesellschaftlich wirken und über Mauern und Grenzen hinweg Begegnung ermöglichen? Den Weg dazu wies die Strassburger Pastorin Anne-Cathy Graber, die das Gespräch von Jesus mit der samaritanischen Frau beziehungsreich auslegte (Die Bibel, Johannes-Evangelium, Kapitel 4). Jesus sei müde gewesen und habe sich wie ein Bedürftiger verhalten, sagte Graber – gegenüber einer Fremden, einer Heidin. «Er scheut sich nicht, sich von dieser Frau abhängig zu machen. Damit zeigt er uns, dass wir nicht warten sollen, bis die Bedingungen für eine Grenzüberschreitung ideal sind.»

Wahrheit, die Leben eröffnet

Auf die Frage der Frau, wie denn Jesus als Jude gerade sie um Wasser bitten könne, antwortete er offensiv. Graber: «Er will sich nicht vor Unreinheit schützen, indem er Grenzen und Mauern errichtet, sondern er vermittelt Leben.» Nicht die Unreinheit, sondern die Heiligkeit Gottes, die Kraft des Lebens in Christus, sei da ansteckend, betonte die Theologin. Jesus habe sich in der Folge auch der dunklen Seite der Existenz der Samaritanerin zugewandt. «Christus begegnen bedeutet, dass wir der Wahrheit über unser Leben begegnen – einer Wahrheit, die wiederherstellt und neue Beziehungen ermöglicht.»

Eine Gemeinde platzt aus allen Nähten

In einem Podium schilderten westeuropäische Gemeindeverantwortliche Schritte zum Brückenbau. Der Holländer zitierte den Spruch aus einer Gemeinde mit 50 Mitgliedern, jeder Mennonit habe drei Meinungen. Pierre-André Geiser erzählte von der 1989 gegründeten Gemeinde in Tavannes im Berner Jura. «Uns fehlen die Traditionen, die andere belasten.» Die Gemeinde platzt mit über 100 Kindern aus allen Nähten. 

Globale Kirche

Die Reformierten hierzulande haben sich in den letzten Jahren der Täuferverfolgung des 16.–18. Jahrhundert gestellt, bei der sie mitwirkten. Derweil gingen mennonitische Fachleute daran, die Geschichte des Täufertums seit 1850 aus globaler Perspektive darzustellen (1851 reiste der erste Mennonitenmissionar nach Indonesien). Fünf Kontinentalbände, von Historikerteams erstellt und mit zahlreichen Geschichten (oral history) angereichert, erscheinen auf Englisch und in Übersetzungen.

Vom Nebeneinander zum Miteinander

In Sumiswald erläuterten Hanspeter Jecker, Neal Blough und Alle Hoekeman einem Workshop, wie sie für den Europaband mit national(istisch) gefärbten Sichtweisen rangen. Eine deutliche Mehrheit der Mennoniten lebt heute ausserhalb der westlichen Länder; von dort migrieren manche nach Europa und beleben die alteingesessenen Gemeinschaften heraus (Neugründungen in Paris und Barcelona). Hanspeter Jecker vom Bienenberg bei Liestal bezog täuferische Identität auf Geschichte: «Wenn wir ein weltweiter Leib sind, gehört das Wissen über Geschichte in Afrika auch für europäische Mennoniten dazu.»

Bewegendes von den Philippinen

Die Spannungen zwischen verfolgten Berner Täufern und holländischen Mennoniten nach 1700 brachte Jecker am Freitagabend auf die grosse Bühne, indem er den damaligen Täuferlehrer Hans Bürki mimte. Die Holländer, in Freiheit lebend, wollten die Berner freikaufen, doch Bürki und andere, eingekerkert und verbannt, kehrten zurück und riskierten Kopf und Kragen, um den geistlich suchenden Menschen in ihrer Heimat weiter zu dienen. Den Höhepunkt des Abends bildete der Bericht von Daniel und Joji Pantoja. Das Paar aus den Philippinen, das in Nordamerika die mennonitische Friedenstheologie kennenlernte, hat nach jahrzehntelangem Konflikt mit muslimischen Rebellen auf Mindanao Gespräche ermöglicht und Verständigung angebahnt.

Vielsprachiger Dialog

Die Täufer pflegen den internationalen Charakter ihrer Bewegung, ein Ergebnis der Verfolgungen in der frühen Neuzeit, mit grossen, vielsprachigen Austausch-Foren. Zum dritten Mal waren die Mennoniten des Kontinents zu Gast in der Schweiz. Die 9. Mennonitische Europäische Regionalkonferenz (MERK 2012) in Sumiswald bei Bern besuchten am Himmelfahrtswochenende 640 Dauerteilnehmende, zwei Drittel von ihnen aus dem Ausland, vornehmlich Deutsche, Holländer und Franzosen.

 

Datum: 22.05.2012
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet

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