Kino – auch eine Religion

Kino

Wer ist nicht schon gerührt oder gar tief bewegt aus einem Kinosaal in den Abend hinaus getreten? Für viele ist das Kino ein Ort, wo sie grundlegende Erlebnisse machen – ein Ort gleichsam religiöser Erfahrung.

Wie der Hamburger Theologe und Journalist Jörg Herrmann in der Neuen Zürcher Zeitung vom Samstag schreibt, kann „das Kino verzaubern, erleuchten, erheben und verwandeln“. Die Zuschauer würden in eine andere Welt versetzt und danach, so Herrmann, „als Wiedergeborene aus dem Dunkel des Kinosaals in den Alltag entlassen. Gereinigt und mit geschärften Sinnen.“

Dies trifft für sehr viele Filme, die mit viel Gewalt und Menschenverachtung einfahren, nicht zu. Aber es gibt, da ist Herrmann zuzustimmen, durchaus Filme, die das Publikum tief anrühren und in eine „erbauliche“ Stimmung versetzen. Etwa weil ein Mensch sich aufrafft, sich auf seine ersten Aufgaben besinnt hat und durch eine Heldentat die Seinen aus dem Elend reisst. Immer wieder stehen Helden und Rettergestalten im Zentrum von Filmen.

Ersatz für Kirche?

Herrmann zitiert den US-amerikanischen Autor John Updike, der bekannte, das Kino habe „mehr für mein spirituelles Leben getan als die Kirche. Meine Vorstellungen von Ruhm, Erfolg und Schönheit stammen alle von der Leinwand. (…) Film war für mich während einer bestimmten Phase meines Lebens eine Ersatzreligion.“ Es gibt sogar Filmkritiker, die kühn vermuten, das Kino werde die Kirche beerben! Nun vermitteln heute Filme ohne Zweifel Millionen von Menschen Orientierung – sie deuten die Welt, stellen Vorbilder vor, skizzieren, wie man gut leben kann.

‚Kinotempel’

Laut Herrmann erinnern „besonders einige der frühen amerikanischen Kinos an Kirchenbauten“. Interessant ist, dass Filme in vielen Fällen christlichen Erzählstrukturen folgen. Beim Kinogang wie beim Kirchenbesuch gehe man auf Distanz zum Alltag und unterbreche seine Routine. Die Leinwand sei der Kanzel zu vergleichen. „An beiden Orten ist die Darbietung rituell gerahmt: in der Kirche mit Lied und Liturgie, im Kino mittels Vorhang und der obligaten Kinowerbung. In diesen immer gleichen Ablauf sind die Deutungen des Lebens durch Film oder Predigt eingebettet.“

Herrmann betont, dass das Kino vor allem unterhalten wolle. Gleichwohl setze es sich „mit letzten Fragen auseinander. Manchmal greift es sogar religiöse Themen und Traditionen auf. Diese Bezüge haben allerdings gegenüber den Zeiten von Pasolini und Fellini, von Bergman und Tarkowski deutlich abgenommen. Explizite Verarbeitungen christlicher Traditionen finden sich zwar immer wieder, aber auch immer seltener.“ (Mel Gibsons „The Passion“ findet im NZZ-Artikel keine Erwähnung.)

Rätsel des Daseins bewegend ins Bild gesetzt

Das neuere Kino greift Sinnfragen auf, meist ohne von Gott zu sprechen. Herrmann begreift Kino trotzdem als Ort der Offenbarung: „Versteht man Religionen als symbolische Antworten auf die grossen Fragen des Lebens, als poetische Auseinandersetzungen mit der Rätselhaftigkeit des Daseins, dann wird das Kino allerdings zu einem exponierten Ort der Offenbarung, dann zeigt sich, dass der Film Funktionen der Sinndeutung von der traditionellen Religionskultur übernommen hat.“ Immer wieder geht es um die Frage, wie ein Ausweg aus Schuld und kaputten Beziehungen gefunden, wie Versöhnung und Wiederherstellung erreicht werden kann.

Einen besonderen Platz haben Science-Fiction-Filme, die sich mit Schöpfung, Zerstörung und Neuschöpfung befassen. Auch in ‚Terminator 3’ und den Matrix-Filmen geht es um die Bedrohung des Menschen durch seine eigenen Geschöpfe: „Ein Erlöser muss in einem schmerzhaften Prozess mit seiner Mission vertraut werden, muss sterben und wieder auferstehen, um die von Computern beherrschte Menschheit zu befreien. Oder er muss von einer guten Maschine beschützt werden, um die Menschheit vor der drohenden Apokalypse, dem ‚Judgment Day’, bewahren zu können.“

Wenn das Schöne Sinn macht

Gemäss Herrmann hat sich „das Feld des Religiösen erweitert… Religiöse Kommunikation findet nicht nur innerhalb von Kirchenmauern statt. Sie geschieht auch im Kino, vielleicht heute sogar mehr im Kino. Sicher unbestimmter oft, fragender und vieldeutiger als in der Kirche. Aber darum zumeist auch erfahrungsnäher. Denn die Kinobilder sind Ausdruck von Gegenwartserfahrungen. Sie spiegeln die Träume und Albträume ihrer Zeit.“

Gegenüber dem traditionellen Christentum rückt das Kino die Schönheit ins Zentrum. Herrmann verweist auf ‚American Beauty’ von Sam Mendes (1999) als Paradebeispiel und meint kirchenkritisch: „Das Kino bringt die Schönheit als vergessenes religiöses Thema wieder in Erinnerung.“ Im erwähnten Film suchten die Hauptpersonen Ricky und Lester nach der Schönheit und fänden „darin zugleich Gott“, schreibt der Hamburger Theologe.

Lenkt Kino ab?

Laut dem Neuen Testament ist Gott auf einem Weg zu finden: durch die persönliche Begegnung mit Christus, dem Auferstandenen, und das Bleiben in ihm. In der einen Person von Jesus hat Gott sich endgültig offenbart. Das Leben des Mannes aus Nazareth, das seinem Tod und der Auferstehung vorausging, hat eine einzigartige Schönheit.

Es ist diese Schönheit, die wirklich Sinn macht, die wert-voll ist und so fürs Leben trägt – und die Künstler über die Jahrhunderte, von den Ikonenmalern bis zu Rembrandt, zu Meisterwerken anspornte. Lenkt Kino durch seine sinnlich einnehmenden Bilder ab von der Schönheit und Wahrhaftigkeit, die den Mann aus Nazareth auszeichnete – oder weckt es ein Sehnen nach ihr?

Datum: 06.01.2004
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet.ch

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