Johannes

Einer von seinen Jüngern, den Jesus liebte, lag zu Tisch an der Brust Jesu. Johannes 13,23 Der Apostel Johannes ist uns deshalb so vertraut, weil er so viele neutestamentliche Bücher schrieb. Er verfasste ein Evangelium und drei Briefe, die seinen Namen tragen, sowie das Buch der Offenbarung. Abgesehen von Lukas und dem Apostel Paulus war Johannes mehr an der Entstehung des Neuen Testaments beteiligt als jeder andere menschliche Verfasser. Daher gibt die Schrift uns viele Einblicke in seine Persönlichkeit und seinen Charakter. Die meisten Informationen über ihn stammen aus seinen eigenen Schriften. Sein Evangelium vermittelt uns seine Sicht von Christus. Aus seinen Briefen erfahren wir etwas über seinen Umgang mit der Gemeinde. Und das Buch der Offenbarung gewährt uns durch die Visionen, die Gott ihm gab, einen Blick in die Zukunft. Sowohl die Schrift als auch die Geschichtsschreibung berichten, dass Johannes in der frühen Gemeinde eine wesentliche Rolle spielte. Natürlich gehörte auch er zum vertrautesten Kreis des Herrn, doch war er keineswegs ein dominierendes Mitglied dieser Gruppe. Er war der jüngere Bruder von Jakobus, und obwohl er in den ersten zwölf Kapiteln der Apostelgeschichte häufig mit Petrus unterwegs war, stand dieser stets im Vordergrund, während Johannes im Hintergrund blieb. Aber auch für Johannes sollte eine Zeit kommen, in der er eine Führungsposition übernahm. Da er alle anderen überlebte, kam ihm in der frühen Gemeinde eine einzigartige und patriarchalische Rolle zu, die fast bis zum Ende des ersten Jahrhunderts andauerte und weit nach Kleinasien hineinreichte. Daher drückte er der Urgemeinde seinen unauslöschlichen persönlichen Stempel auf – bis weit in die nachapostolische Zeit hinein. Nahezu alles, was wir über Jakobus’ Persönlichkeit und Charakter herausfanden, trifft auch auf Johannes zu, dem jüngeren der Boanerges-Brüder. Die beiden Männer besaßen ähnliche Veranlagungen, und wie wir im vorherigen Kapitel feststellten, waren sie in den Evangelien untrennbar miteinander verbunden. Genauso wie Jakobus wollte auch Johannes Feuer vom Himmel auf die Samariter herabfallen lassen. Er war mittendrin, als es um die Frage ging, wer von ihnen der Größte sei. Sein Eifer und Ehrgeiz spiegelte die Eigenschaften seines älteren Bruders wider.Deshalb ist es umso bemerkenswerter, dass Johannes oft als »Apostel der Liebe« bezeichnet wurde. Tatsächlich schrieb er mehr über die Bedeutung der Liebe als jeder andere neutestamentliche Verfasser. Insbesondere betonte er die Liebe der Gläubigen zu Christus, Christi Liebe zu seiner Gemeinde und die Liebe unter Christen, die das Kennzeichen echter Gläubiger sein sollte. Das Thema Liebe zieht sich wie ein roter Faden durch all seine Schriften.Liebe war ein Charakterzug, den er von Christus lernte, und nicht etwas, das er von Natur aus bekam. In jungen Jahren war er ebenso ein Sohn des Donners wie Jakobus. Vergessen Sie die Vorstellung von Johannes, wie er in der mittelalterlichen Kunst häufig dargestellt wird: als sanftmütige, blasshäutige, feminine Person, die sich an Jesu Schulter lehnt und mit zartem Blick zu ihm aufschaut. Nein, er war ein rauer und kantiger Typ, genauso wie die übrigen Fischer unter den Jüngern. Um es noch einmal zu betonen: Er war ebenso intolerant, ehrgeizig, eifernd und aufbrausend wie sein älterer Bruder. Bei der einzigen Begebenheit in den synoptischen Evangelien, in der Johannes allein spricht, zeigt er seine ihn kennzeichnende unverschämte Intoleranz. In den Evangelien von Matthäus, Markus und Lukas wird Johannes fast immer in Verbindung mit einer anderen Person genannt – mit Jesus, Petrus oder Jakobus. Nur einmal tritt Johannes allein auf und äußert sich. An dieser Stelle bekannte er dem Herrn, einen Mann zurechtgewiesen zu haben, der im Namen Jesu Dämonen austrieb, aber nicht zu den Jüngern gehörte (Mk 9,38). Wir wollen die Begebenheit einmal kurz untersuchen. Die Evangelien machen mit diesem Ereignis deutlich, dass Johannes zu einem äußerst sektiererischen, engstirnigen, unnachgiebigen und rücksichtslosen Verhalten fähig war. Er war impulsiv, dreist, ungestüm, leidenschaftlich und ehrgeizig – genauso wie sein Bruder Jakobus. Sie waren aus dem gleichen Holz geschnitzt.Aber mit der Zeit änderte sich Johannes und entwickelte sich unter dem Wirken des Heiligen Geistes zum Vorteil. Vergleicht man seine frühe Nachfolge mit dem Leben des betagten Patriarchen, so stellt man fest, dass aus seinen Schwachpunkten mit fortschreitender Reife seine Stärken wurden. Er ist ein erstaunliches Beispiel dafür, was aus uns werden soll, wenn wir in Christus wachsen – wie die Kraft des Herrn in Schwachheit zur Vollendung kommt. Wenn wir heutzutage an Johannes denken, haben wir für gewöhnlich einen gutherzigen, älteren Apostel vor Augen. Kurz vor Ende des ersten Jahrhunderts wurde er als erfahrener Apostel in der Gemeinde geliebt und für seine Hingabe an Christus und seine große Liebe für alle Heiligen respektiert. Genau aus diesem Grund verdiente er sich den Beinamen »Apostel der Liebe.« Wie wir noch sehen werden, hob seine Liebe nicht seine Leidenschaft für die Wahrheit auf. Vielmehr verschaffte sie ihm das Gleichgewicht, das er benötigte. Bis zum Lebensende bewahrte er sich eine tiefe und bleibende Liebe zu Gottes Wahrheit und verkündigte sie mutig bis zum Schluss. Johannes’ Eifer für die Wahrheit hat seinen Schreibstil geprägt. Von allen neutestamentlichen Verfassern kann sein Denken am ehesten als Schwarzweiß-Denken bezeichnet werden. Er denkt und schreibt in absoluten Begriffen. Er behandelt Gewissheiten. Bei ihm ist alles eindeutig. In seinen Lehren gibt es kaum Grauzonen, da er dazu neigt, die Dinge durch Gegensätze darzustellen. In seinem Evangelium setzt er z.B. Licht und Finsternis einander gegenüber, außerdem Leben und Tod, das Reich Gottes und das Reich des Bösen, die Kinder Gottes und die Kinder des Teufels, das Urteil über die Gerechten und das Urteil über die Ungerechten, die Auferstehung zum Leben und die Auferstehung zum Gericht, die Annahme Christi und die Ablehnung Christi, Frucht und Fruchtlosigkeit, Gehorsam und Ungehorsam, Liebe und Hass. Er liebt es, die Wahrheit mit absoluten und gegensätzlichen Begriffen zu beschreiben. Ihm ist die Notwendigkeit einer klaren Trennungslinie bewusst. Der gleiche Ansatz findet sich auch in seinen Briefen wieder. Johannes sagt uns, dass wir entweder im Licht oder in der Finsternis wandeln. Wenn wir aus Gott geboren sind, sündigen wir nicht – ja, wir können nicht sündigen (1Jo 3,9). Entweder sind wir »aus Gott« oder »aus der Welt« (1Jo 4,4-5). Wenn wir lieben, sind wir aus Gott geboren; lieben wir aber nicht, sind wir auch nicht aus Gott geboren (V. 7-8). Johannes schreibt: »Jeder, der in ihm bleibt, sündigt nicht; jeder, der sündigt, hat ihn nicht gesehen noch ihn erkannt« (1Jo 3,6). All das sagt er ohne Einschränkung und ohne die klaren Abgrenzungen aufzuweichen. In seinem zweiten Brief ruft er zur vollständigen Trennung von allen falschen Lehren auf: »Jeder, der weitergeht und nicht in der Lehre des Christus bleibt, hat Gott nicht; wer in der Lehre bleibt, der hat sowohl den Vater als auch den Sohn. Wenn jemand zu euch kommt und diese Lehre nicht bringt, so nehmt ihn nicht ins Haus auf und grüßt ihn nicht! Denn wer ihn grüßt, nimmt teil an seinen bösen Werken« (V. 9-11). Seinen dritten Brief beendet er in Vers 11 mit folgenden Worten: »Wer Gutes tut, ist aus Gott; wer Böses tut, hat Gott nicht gesehen.« Johannes denkt immer nur schwarz-weiß. Auch wenn er solche Dinge schreibt, weiß Johannes natürlich sehr wohl, dass Gläubige sündigen (vgl. 1Jo 2,1; 1,8.10), aber er geht nicht näher auf dieses Thema ein. In erster Linie beschäftigt er sich mit dem allgemeinen Lebensmuster eines Menschen. Er möchte die Tatsache unterstreichen, dass Gerechtigkeit und nicht Sünde das vorherrschende Prinzip im Leben eines wahren Gläubi-gen ist. Liest man Johannes gedankenlos oder oberflächlich, so könnte man denken, dass er sagt, es gäbe keine Ausnahmen. Paulus ist der Apostel der Ausnahmen. Er nahm sich Zeit, um die Kämpfe zu erklären, die jeder Gläubige mit der Sünde in seinem Leben hat (Röm 7). Während auch Paulus angibt, dass die aus Gott Geborenen nicht an der Sünde als Lebensmuster festhalten würden (Röm 6,6-7), so erkennt er dennoch an, dass wir noch gegen die Überreste der Sünde in unseren Gliedern zu kämpfen haben, unseren fleischlichen Neigungen widerstehen müssen und den alten Menschen ausziehen sowie den neuen anziehen sollten. Bei Johannes könnte man denken, Gerechtigkeit käme auf eine so einfache und natürliche Weise zu einem Christen, dass jedes Versagen ausreichen würde, um unsere Zuversicht vollständig zu vernichten. Aus diesem Grund muss ich manchmal zu den Paulusbriefen greifen, wenn ich vorher längere Zeit Johannes gelesen habe. Natürlich sind sowohl die Briefe von Paulus als auch die von Johannes das inspirierte Wort Gottes und somit gleichermaßen wichtig. Die Ausnahmen in den Paulusbriefen heben somit die von Johannes so deutlich dargestellten Wahrheiten nicht auf. Und ebenso wenig erklären Johannes’ unnachgiebige und eindeutige Feststellungen die vorsichtigen Einschränkungen von Paulus nicht für ungültig. Beides sind notwendige Aspekte von Gottes geoffenbarter Wahrheit. Johannes’ Schreibstil reflektiert seine Persönlichkeit. Die Wahrheit war seine Leidenschaft, und er schien alles zu tun, um sie nicht verschwommen darzustellen. Er schilderte sie in schwarz-weißen und absoluten Begriffen, ohne Tinte für Grauzonen zu verschwenden. Er lieferte Faustregeln, ohne alle Ausnahmen aufzuführen. Auch Jesus sprach oft in absoluten Dimensionen, und ohne jeden Zweifel hatte Johannes seinen Lehrstil vom Herrn. Obgleich Johannes immer in einem warmen, persönlichen Ton eines Hirten geschrieben hat, sind seine Inhalte nicht immer zum entspannenden Lesen geeignet. Sie geben jedoch stets seine tiefsten Überzeugungen und seine absolute Hingabe an die Wahrheit wieder. Wahrscheinlich können wir durchaus mit Recht behaupten, dass ein Mann mit Johannes’ Persönlichkeit zu der Gefahr neigt, Dinge bis ins Extrem zu überziehen. Und tatsächlich scheint es, als ob Johannes in jüngeren Jahren etwas von einem Extremisten an sich hatte. Ihm schien es an geistlichem Gleichgewicht zu fehlen. Sein Eifer, sein Hang zum Sektierertum, seine Intoleranz und sein egoistischer Ehrgeiz sind Sünden, die auf dieses Ungleichgewicht zurückzuführen sind. Es waren alles potenzielle Tugenden, die ins sündige Extrem überzogen wurden. Daher verursachten seine größten Charakterstärken gelegentlich seine offensichtlichsten Fehler. Petrus und Jakobus zeigten eine ähnliche Neigung, ihre größten Stärken in Schwächen zu verwandeln. Häufig wurden ihnen ihre besten Eigenschaften zum Fallstrick. Von Zeit zu Zeit sind wir alle Opfer dieses Prinzips. Dies ist eine der Folgen der menschlichen Verderbtheit. Durch die Sünde verdorben, geben uns selbst unsere besten Eigenschaften manchmal Anlass zum Straucheln. Es ist eine wunderbare Sache, der Wahrheit mit Achtung zu begegnen, doch muss der Eifer für sie im Gleichgewicht mit der Liebe zu den Menschen stehen, ansonsten besteht die Gefahr von selbstgerechtem Richten, von Härte und von mangelnder Barmherzigkeit. Hart zu arbeiten und ehrgeizig zu sein, ist gut, aber wenn dies nicht durch Demut ausgewogen wird, entsteht daraus ein sündiger Stolz – ein Weiterkommen auf Kosten anderer. Auch Vertrauen ist eine wunderbare Tugend, aber wenn es zu sündigem Selbstvertrauen wird, werden wir selbstgefällig und geistlich nachlässig.Natürlich ist am Eifer für die Wahrheit an sich nichts Falsches, ebenso wenig wie am Wunsch nach Erfolg oder einem Gefühl von Sicherheit. All das hat seine Berechtigung. Aber selbst eine aus dem Gleichgewicht geratene Tugend kann geistlicher Gesundheit abträglich sein – so wie eine unausgewogene Wahrheit zu ernsten Irrtümern führen kann. Ein unausgeglichener Mensch ist unbeständig. Ein charakterliches Ungleichgewicht ist eine Form von Unmäßigkeit – ein Mangel an Selbstbeherrschung – und somit Sünde. Daher ist es gefährlich, einen einzelnen Aspekt der Wahrheit oder eine einzige Charaktereigenschaft bis ins Extrem zu treiben. Das sehen wir im Leben des jungen Johannes. Manchmal war sein Verhalten extrem, eifernd, hart und rücksichtslos, und er war in seiner eigenen egoistischen Wahrnehmung der Wahrheit gefangen. In seinen jungen Jahren war er wohl kaum ein Kandidat für den Beinamen »Apostel der Liebe.«Doch die drei Jahre mit Jesus verwandelten einen egozentrischen Fanatiker in einen reifen, ausgewogenen Mann. Für diesen Sohn des Donners bedeutete die Zeit mit Jesus den Anfang des Prozesses, um zum Apostel der Liebe zu werden. Christus glich seine Schwachpunkte aus, und Johannes verwandelte sich von einem eifernden Hitzkopf zu einem liebevollen und gottesfürchtigen Ältesten und erfahrenen Ratgeber der frühen Gemeinde. Er lernte das Gleichgewicht zwischen Liebe und WahrheitJohannes schien sich schon früh in seinem Leben der Wahrheit verpflichtet zu haben. Von Anfang an sehen wir ihn als geistlich interessierten Mann, der nach Wahrheit suchte und ihr folgte. Bei seinem ersten Auftreten (Joh 1,35-37) sind er und Andreas Jünger von Johannes dem Täufer. Wie Andreas folgte auch Johannes sofort Jesus nach, als Johannes der Täufer diesen als den wahren Messias vorstellte. Sie waren weder unbeständig noch dem Täufer untreu. Selbst Johannes der Täufer sagte über Jesus: »Er muss wachsen, ich aber abnehmen« (Joh 3,30). Der Jünger Johannes war an der Wahrheit interessiert; er war nicht aus einem Personenkult heraus dem Täufer gefolgt. Deshalb verließ er Johannes, um Jesus nachzufolgen, sobald der Täufer ihn deutlich als das Lamm Gottes auswies. Johannes’ Liebe zur Wahrheit zeigt sich in all seinen Schriften. 25-mal benutzt er das griechische Wort für Wahrheit in seinen Evangelien und weitere 20-mal in seinen Briefen. Er schrieb: »Eine größere Freude habe ich nicht als dies, dass ich höre, dass meine Kinder in der Wahrheit wandeln« (3Jo 4). Jemanden, der behauptete, ein Gläubiger zu sein, aber dies nicht durch sein Leben bewies, bezeichnete er als »Lügner, und in dem ist nicht die Wahrheit« (1Jo 2,4; vgl. 1,6.8). Außer dem Herrn sprach in der Schrift sonst niemand so viel über Wahrheit.In seinen jüngeren Jahren mangelte es Johannes in seinem Eifer für die Wahrheit manchmal an Liebe und Barmherzigkeit für andere. Er musste Ausgewogenheit lernen. Die Begebenheit in Markus 9, als Johannes einem Mann verwehrte, im Namen Jesu Dämonen auszutreiben, ist ein gutes Beispiel dafür. In den synoptischen Evangelien ist das die einzige Stelle, wo Johannes allein handelt und spricht. Da er hier ohne Jakobus und Petrus auftritt, erhalten wir einen wichtigen und seltenen Einblick in seinen Charakter. Das ist der wirkliche Johannes. Auch Lukas 9 berichtet von dieser Begebenheit, unmittelbar bevor er den Vorfall in Samaria beschreibt, als Jakobus und Johannes Feuer vom Himmel herabfallen lassen wollten. Diese beiden Situationen sind auffallend ähnlich. In beiden Fällen zeigt Johannes Intoleranz, elitäres Denken und mangelnde Menschenliebe. Gegenüber den Samaritern bewiesen Jakobus und Johannes fehlende Liebe zu Ungläubigen. Und hier macht sich Johannes einer ähnlich lieblosen Einstellung gegenüber Mitchristen schuldig. Er hinderte den Mann daran, in Jesu Namen zu dienen, »weil er uns nicht nachfolgt« (Mk 9,38) – weil er nicht offiziell zur Gruppe gehörte.Diese Begebenheit ereignete sich kurz nach Jesu Verklärung. Diese wunderbare Erfahrung auf dem Berg, die nur die Drei des inneren Kreises (Petrus, Jakobus und Johannes) machten, bildet den Kontext für die nachfolgenden Ereignisse dieses Kapitels. Wie immer ist es wichtig, den Zusammenhang zu verstehen. In Markus 9,1 spricht Jesus zu seinen Jüngern: »Wahrlich, ich sage euch: Es sind einige von denen, die hier stehen, die den Tod nicht schmecken werden, bis sie das Reich Gottes in Kraft haben kommen sehen.« Natürlich klang das für die Jünger wie eine Verheißung, dass das Tausendjährige Reich noch zu ihren Lebzeiten anbrechen würde. Doch selbst heute, mehr als eintausendneunhundert Jahre nach dem Tod des letzten Jüngers, warten wir immer noch auf den Beginn des irdischen Tausendjährigen Reiches. Worauf bezog sich diese Verheißung also?Die Ereignisse, die unmittelbar danach geschahen, geben eine deutliche Antwort auf diese Frage. Jesus verhieß ihnen eine Vorausschau auf zukünftige Ereignisse. Drei von ihnen bekämen einen Vorgeschmack auf Gottes Herrlichkeit. Ihnen würde ein Blick auf die Herrlichkeit und Macht des zukünftigen Reiches gewährt werden. Weniger als eine Woche nach seiner Verheißung würden einige von ihnen die Macht des Reiches bezeugen können: »Und nach sechs Tagen nimmt Jesus Petrus und Jakobus und Johannes mit und führt sie für sich allein auf einen hohen Berg. Und er wurde vor ihnen umgestaltet« (V. 2). Christus nahm seine drei vertrautesten Freunde und Jünger auf einen Berg mit, wo er den Vorhang seines Menschseins beiseite zog und wo die Schechina-Herrlichkeit – das innerste Wesen des ewigen Gottes – in leuchtendem Glanz erstrahlte. »Seine Kleider wurden glänzend, sehr weiß, so wie kein Walker auf der Erde weiß machen kann« (V. 3). Matthäus schreibt, der Anblick wäre so Furcht einflößend gewesen, dass die Jünger auf ihr Angesicht fielen (Mt 17,6). Nicht im Entferntesten hatte ein Mensch etwas Vergleichbares erlebt, seit Mose, in einer Felsspalte versteckt, Gottes Herrlichkeit von hinten sah (2Mo 33,20-23). Es war eine überirdische Erfahrung, die sich die Jünger in einem solchen Ausmaß nicht einmal hätten träumen lassen.Um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, »erschien ihnen Elia mit Mose, und sie unterredeten sich mit Jesus« (Mk 9,4). Vers 6 erklärt, dass die Jünger sich so sehr fürchteten, dass sie nicht wussten, was sie sagen sollten. In seiner typischen Art sprach Petrus dennoch: »Rabbi, es ist gut, dass wir hier sind; und wir wollen drei Hütten machen, dir eine und Mose eine und Elia eine« (V. 5). Wahrscheinlich dachte Petrus, das Erscheinen von Elia und Mose bedeutete den Beginn des Reiches, und das wollte er festhalten. Irrtümlicherweise schien er die drei für eine Art gleichwertiges Triumvirat gehalten zu haben, anstatt zu erkennen, dass Mose und Elia auf Christus hingewiesen und ihn über sich gestellt hatten. Genau in diesem Augenblick (»Während er noch redete« – Mt 17,5) »kam eine Wolke, die sie überschattete; und eine Stimme kam aus der Wolke: Dieser ist mein geliebter Sohn, ihn hört!« (Mk 9,7). Es waren fast dieselben Worte, die bei Jesu Taufe aus dem Himmel kamen (Mk 1,11).Für Petrus, Jakobus und Johannes war es ein erstaunliches Erlebnis. Ihnen wurde ein einmaliges Privileg zuteil, das in der ganzen Heilsgeschichte beispiellos ist. Doch in Markus 9,9 lesen wir: »Und als sie von dem Berg herabstiegen, gebot er [Jesus] ihnen, dass sie niemand erzählen sollten, was sie gesehen hatten, ehe nicht der Sohn des Menschen aus den Toten auferstanden sei« (Mk 9,9). Können Sie sich vorstellen, wie schwer das gewesen sein musste? Gerade noch waren sie Zeugen der unglaublichsten Sache gewesen, die je ein Mensch gesehen hatte, und nun sollten sie niemandem davon erzählen. Von ihnen wurde eine ungeheure Beherrschung verlangt.Und schließlich stritten sich die Jünger ständig – und diese drei ganz besonders –, wer der Größte unter ihnen sei. Dieses Thema schien ihnen nicht aus dem Sinn zu gehen (und nur einige Verse später im Markus-Evangelium bewiesen sie das). So muss es für sie überaus schwer gewesen sein, diese Erfahrung nicht als Argument für ihre Zwecke zu gebrauchen. Sie hätten vom Berg herabkommen und zu den übrigen Jüngern sagen können: »Leute, was glaubt ihr, wo wir waren? Wir waren auf dem Berg dort und was glaubt ihr, wer vorbei kam? Elia und Mose!« Ihnen war ein Blick ins Reich gestattet worden. Sie hatten Dinge gesehen, die sonst niemand hätte sehen oder wissen können. Sie bekamen eine Vorschau auf die kommende Herrlichkeit. Wie schwer muss es doch gewesen sein, diese Erfahrung für sich zu behalten! Sie schien der Debatte, wer der Größte sei, noch Auftrieb gegeben zu haben. Einige Verse später schreibt Markus, dass sie nach Kapernaum kamen. »Und als er im Hause war, fragte er sie: Was habt ihr unterwegs besprochen?« (Mk 9,33). Jesus fragte sie nicht, weil ihm die Information fehlte; vielmehr wollte er von ihnen ein Bekenntnis. Er wusste genau, worüber sie gesprochen hatten.Doch sie waren beschämt, »denn sie hatten sich auf dem Weg untereinander besprochen, wer der Größte sei« (V. 34). Man kann sich leicht vorstellen, wie die Diskussion begann. Petrus, Jakobus und Johannes, die nach ihrem Gipfelerlebnis nur so strotzten vor Selbstsicherheit, glaubten nun erst recht, einen Vorsprung vor den anderen zu haben. Sie hatten so wunderbare Dinge gesehen, dass sie nicht einmal darüber reden durften. Und jeder von ihnen hielt wahrscheinlich nach einem Zeichen Ausschau, das ihm mitteilte, dass er der Größte von den dreien sei. Möglicherweise stritten sie untereinander darüber, wer Jesus bei der Verklärung am nächsten stand; oder Petrus wurde von den anderen beiden daran erinnert, dass ihn eine Stimme aus dem Himmel zurechtgewiesen hatte – und so weiter. Aber als Jesus sie fragte, worüber sie redeten, wurden sie sofort still. Sie erkannten, dass es falsch war, über diese Dinge zu diskutieren. Offenbar traf es ihr Gewissen. Deshalb konnten sie nicht zugeben, weshalb sie so viel Aufhebens machten. Jesus wusste es natürlich. Und er ergriff die Gelegenheit, um sie ein weiteres Mal zu belehren. »Er setzte sich, rief die Zwölf, und er spricht zu ihnen: Wenn jemand der Erste sein will, soll er der Letzte von allen und aller Diener sein. Und er nahm ein Kind und stellte es in ihre Mitte; und er nahm es in seine Arme und sprach zu ihnen: Wer eins von solchen Kindern aufnehmen wird in meinem Namen, nimmt mich auf; und wer mich aufnehmen wird, nimmt nicht mich auf, sondern den, der mich gesandt hat« (V. 35-37). Sie hatten es sich genau andersherum gedacht! Wollten sie also die Ersten im Reich Gottes sein, so mussten sie zu Dienern werden. Wenn sie wirklich groß sein wollten, mussten sie einem Kind ähnlicher werden. Anstatt miteinander zu streiten, sich gegenseitig zu bekämpfen, den anderen zu erniedrigen und sich selbst zu erhöhen, mussten sie die Rolle eines Dieners einnehmen.Es war eine Lektion über Liebe. »Die Liebe tut nicht groß, sie bläht sich nicht auf, sie benimmt sich nicht unanständig, sie sucht nicht das Ihre« (1Kor 13,4-5). Liebe zeigt sich im Dienst an anderen – und nicht, indem sie über andere herrscht. Das hat Johannes anscheinend ins Herz geschnitten. Es war ein ernster Tadel, und Johannes hatte ihn offensichtlich verstanden. Und genau hier folgt die einzige Stelle in den synoptischen Evangelien, wo Johannes allein spricht: »Johannes sagte zu ihm: Lehrer, wir sahen jemand Dämonen austreiben in deinem Namen; und wir wehrten ihm, weil er uns nicht nachfolgt« (Mk 9,38). Es war Sektiererei, einen Mann im Dienst für den Herrn zurechtzuweisen, nur weil er nicht der Jüngergruppe angehörte. Es zeigt die Intoleranz von Johannes, dem Sohn des Donners. Dadurch bewies er Engstirnigkeit, Ehrgeiz und den Wunsch, seinen Status ganz für sich allein zu haben und ihn mit niemandem teilen zu wollen – all das charakterisierte den jungen Johannes nur allzu oft.Hier sehen wir deutlich, dass Johannes kein passiver Mensch war. Er war dynamisch und konkurrenzfähig. Er verurteilte einen Mann, der im Namen Jesu diente, nur weil dieser nicht zur Gruppe der Jünger zählte. Aus keinem anderen Grund hatte sich Johannes eingemischt und versucht, den Dienst dieses Mannes aufzuhalten. Ich schätze, dass Johannes von seinem falschen Handeln überführt war und es deshalb Jesus erzählte. Anscheinend fühlte er die Schärfe von Jesu Tadel und bereute sein Tun. In Johannes begann sich etwas zu verändern, und langsam betrachtete er seinen Mangel an Liebe als etwas Unwünschenswertes. Dass Johannes dieses Bekenntnis ablegte, zeigt die Veränderung, die sich in ihm abspielte. Sein Gewissen beunruhigte ihn. Er wurde empfindsamer. Für die Wahrheit hatte er schon immer Eifer und Leidenschaft, aber jetzt brachte der Herr ihm Liebe bei. Das war ein wichtiger Wendepunkt in seinem Leben und Denken. Er begann, das notwendige Gleichgewicht zwischen Liebe und Wahrheit zu verstehen.Das Reich Gottes benötigt Männer, die Mut, Ehrgeiz, Elan, Leidenschaft, Kühnheit und Eifer für die Wahrheit mitbringen. Mit Sicherheit besaß Johannes all diese Dinge. Doch um sein ganzes Potenzial auszuschöpfen, musste er ein Gleichgewicht zwischen diesen Eigenschaften und der Liebe herstellen. Ich glaube, dass diese Begebenheit eine entscheidende Zurechtweisung darstellte, die ihn langsam zu dem Apostel der Liebe formte, zu dem er letzten Endes wurde. Johannes war immer der Wahrheit verpflichtet. Daran ist sicherlich nichts Falsches, aber es reicht nicht aus. Eifer für die Wahrheit muss mit der Liebe zu den Menschen im Gleichgewicht stehen. Wahrheit ohne Liebe fehlt der Anstand – sie ist nichts anderes als brutal. Liebe ohne Wahrheit besitzt hingegen keinen Charakter – sie ist Heuchelei.Viele Menschen sind genauso unausgeglichen, wie Johannes es war, allerdings in der entgegengesetzten Richtung. Sie betonen die Liebe zu stark. Einige sind einfach nur unwissend, andere wurden getäuscht, wiederum andere scheren sich einfach nicht um die Wahrheit. In jedem Fall mangelt es an Wahrheit – und alles, was bleibt, ist Irrtum, gekleidet in oberflächliche, tolerante Sentimentalität. Das ist ein armseliger Ersatz für echte Liebe. Sie reden viel von Liebe und Toleranz, aber es fehlt ihnen jegliches Interesse an der Wahrheit. Daher ist selbst die »Liebe«, von der sie sprechen, keine echte Liebe. Wirkliche Liebe »freut sich nicht über die Ungerechtigkeit, sondern sie freut sich mit der Wahrheit« (1Kor 13,6).Auf der anderen Seite gibt es viele Menschen, die eine Menge theologisches Wissen besitzen und die Lehre sogar auswendig kennen, aber lieblos und selbstdarstellerisch sind. Für sie besteht die Wahrheit aus kalten Fakten, die erdrückend und unattraktiv sind. Ihr Mangel an Liebe nimmt der Wahrheit, zu deren Verehrung sie sich bekennen, die Kraft. Ein wirklich gottesfürchtiger Mensch muss beide Tugenden in gleichem Maße pflegen. Wenn Sie sich in Ihrer Heiligung etwas wünschen, dann sollte es in erster Linie dieses Gleichgewicht sein. Wenn Sie im geistlichen Bereich nach etwas streben, dann sollten Sie vor allem nach einem vollkommenen Gleichgewicht zwischen Wahrheit und Liebe streben. Sie sollten die Wahrheit kennen – und sie in Liebe bewahren.In Epheser 4 beschreibt der Apostel Paulus dieses Gleichgewicht zwischen Wahrheit und Liebe als den Höhepunkt geistlicher Reife: Er schreibt von der »vollen Mannesreife, zum Vollmaß des Wuchses der Fülle Christi« (V. 13). Er spricht von voller Reife und vollkommener Christus-Ähnlichkeit. So schildert er das Ziel, das wir anstreben sollten: »Lasst uns aber die Wahrheit reden in Liebe und in allem hinwachsen zu ihm, der das Haupt ist, Christus« (V. 15). Das bedeutet Christus-Ähnlichkeit. Christus ist der vollkommene Ausdruck von Wahrheit und Liebe. Er ist unser Vorbild. Nur der reife Gläubige, der »zum Vollmaß des Wuchses der Fülle Christi« gelangt ist, kann sowohl Wahrheit als auch Liebe zeigen. So ist wahre geistliche Reife definiert. Der christus-ähn-liche Mensch kennt die Wahrheit und gibt sie in Liebe weiter. Er kennt die Wahrheit, wie Christus sie geoffenbart hat, und er liebt wie Christus.Als reifer Apostel lernte Johannes diese Lektion. Sein kurzer zweiter Brief beweist, wie gut er es schaffte, Wahrheit und Liebe ins Gleichgewicht zu bekommen. Im ganzen Brief verbindet Johannes wiederholt die beiden Begriffe Wahrheit und Liebe. Er schreibt »der auserwählten Herrin und ihren Kindern, die ich liebe in der Wahrheit« (V. 1) und sagt: »Ich habe mich sehr gefreut, dass ich von deinen Kindern einige gefunden habe, die in der Wahrheit wandeln« (V. 4). Anschließend bittet er sie alle in der ersten Hälfte des Briefs inständig, auch in der Liebe zu leben. Er erinnert sie an das neue Gebot, das natürlich nicht wirklich neu ist, sondern nur noch einmal das Gebot betont, das wir von Anfang an gehört haben: »dass wir einander lieben« (V. 5). Somit handelt die erste Hälfte dieses kurzen Briefs von der Liebe. Er bittet diese Frau und ihre Kinder nicht nur, weiter in Wahrheit zu wandeln, sondern sich auch daran zu erinnern, dass Gottes Gesetz im Wesentlichen Liebe ist. Daher gibt es keine größere Wahrheit als die Liebe. Die beiden sind untrennbar miteinander verbunden. Schließlich lautet das erste und größte Gebot: »Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit deinem ganzen Herzen und mit deiner ganzen Seele und mit deinem ganzen Verstand« (Mt 22,37). Und das zweite ist ihm gleich: »Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst« (V. 39). Mit anderen Worten: Echte Wahrheit handelt letzten Endes von der Liebe.In der zweiten Hälfte des Briefs setzt Johannes ein Gegengewicht zur Liebe, indem er die Frau bittet, in ihrer Liebe keine Kompromisse einzugehen und keine falschen Lehrer, die die Wahrheit angreifen, aufzunehmen oder zu grüßen. Echte Liebe ist kein zuckersüßes Gefühl, das die Wahrheit missachtet und alles toleriert: Denn viele Verführer sind in die Welt hinausgegangen, die nicht Jesus Christus, im Fleisch gekommen, bekennen; dies ist der Verführer und der Antichrist. Seht auf euch selbst, damit ihr nicht verliert, was wir erarbeitet haben, sondern vollen Lohn empfangt! Jeder, der weitergeht und nicht in der Lehre des Christus bleibt, hat Gott nicht; wer in der Lehre bleibt, der hat sowohl den Vater als auch den Sohn. Wenn jemand zu euch kommt und diese Lehre nicht bringt, so nehmt ihn nicht ins Haus auf und grüßt ihn nicht! Denn wer ihn grüßt, nimmt teil an seinen bösen Werken. (V. 7-11)Johannes will nicht länger Feuer vom Himmel auf die Feinde der Wahrheit herabrufen, sondern warnt diese Dame davor, nicht ins andere Extrem zu verfallen. Menschen, die ihren Lebensunterhalt damit verdienen, die Wahrheit zu verdrehen und ihr zu trotzen, soll sie weder bei sich aufnehmen noch grüßen. Natürlich drängt der Apostel diese Frau nicht dazu, unfreundlich zu sein. Wir sollen unseren Verfolgern Gutes tun, zu denen freundlich sein, die uns hassen, jene segnen, die uns ablehnen, und für die beten, die uns beleidigen (Lk 6,27-28). Doch darf unsere Feindesliebe nicht so weit gehen, dass wir falsche Lehrer, die das Evangelium verdrehen, ermutigen oder unterstützen.Liebe und Wahrheit müssen in einem vollkommenen Gleichgewicht zueinander gehalten werden. Die Wahrheit darf niemals im Namen der Liebe aufgegeben werden. Und Liebe darf nicht um der Wahrheit willen vernachlässigt werden. Johannes lernte das von Christus, und dies gab ihm die Ausgewogenheit, die er so dringend brauchte. Er lernte das Gleichgewicht zwischen Ehrgeiz und Demut In jungen Jahren hatte Johannes ehrgeizige Pläne für sich selbst. Es ist an sich ja nicht schlecht oder falsch, sich Einfluss oder Erfolg zu wünschen. Schlecht sind solch egoistische Motive, wie Johannes sie hatte. Und besonders schlecht ist Ehrgeiz ohne Demut.Hier finden wir ein weiteres Gleichgewicht, das erreicht werden muss, damit nicht aus einer Tugend eine Untugend wird. Ehrgeiz ohne Demut wird zu Ichbezogenheit oder gar Größenwahn. Kurz nachdem Johannes einen Mann tadelte, weil er im Namen Jesu diente, beschreibt Markus im zehnten Kapitel, wie Jakobus und Johannes mit der Bitte an Jesus herantraten, in seinem Reich zur Rechten und zur Linken Jesu sitzen zu dürfen. Gerade noch hatte Jesus über die Wichtigkeit von Demut gesprochen. In Markus 10,31 erzählte er ihnen: »Aber viele Erste werden Letzte und Letzte Erste sein.« (Das waren praktisch dieselben Worte, die Johannes zu seinem Bekenntnis in Markus 9 veranlasst haben. Jesus hatte ein Kind in ihre Mitte gestellt, um ihnen eine Lektion über Demut zu erteilen. Er sagte: »Wenn jemand der Erste sein will, soll er der Letzte von allen und aller Diener sein« [Mk 9,35].) Jesus wiederholte einfach nur dieselbe Lektion, die er ihnen immer und immer wieder über Demut erteilte.Trotzdem berichtet Markus ein paar Verse später (10,35-37), dass Jakobus und Johannes zu Jesus kamen, um ihn um die wichtigsten Throne zu bitten. Im Kapitel über den Apostel Jakobus haben wir uns Matthäus’ Schilderung der Begebenheit angeschaut. Dort erfuhren wir, dass Jakobus und Johannes ihre Mutter veranlassten, für sie zu bitten. Hier sehen wir, dass sie diese Gunst im Geheimen erbaten, denn die anderen Jünger hörten erst später davon (V. 41). Dass sie ihre Bitte fast direkt im Anschluss an wiederholte Belehrungen des Herrn über Demut vortrugen, offenbart eine erstaunliche Unverfrorenheit. Es zeigt, wie sehr es ihnen an wahrer Demut fehlte.Um es noch einmal zu betonen: Ehrgeiz ist nicht falsch. An sich war es völlig in Ordnung, dass sie im Reich Gottes neben Jesus sitzen wollten. Wer würde sich das nicht wünschen? Die anderen Jünger wollten das mit Sicherheit auch, denn genau das war der Grund, weshalb sie über Jakobus und Johannes verärgert waren. Jesus tadelte sie nicht wegen ihres Wunsches. Ihr Fehler bestand darin, dass sie sich mehr wünschten, diese Position zu bekommen, als einer solchen Position würdig zu sein. Ihr Ehrgeiz war unverhältnismäßig größer als ihre Demut. Und Jesus hatte wiederholt deutlich gemacht, dass die höchsten Positionen im Reich Gottes für die demütigsten Heiligen auf Erden reserviert sind. In den Versen 42-45 finden wir seine Reaktion:Und Jesus rief sie zu sich und spricht zu ihnen: Ihr wisst, dass die, welche als Regenten der Nationen gelten, sie beherrschen und ihre Großen Gewalt gegen sie üben. So aber ist es nicht unter euch; sondern wer unter euch groß werden will, soll euer Diener sein; und wer von euch der Erste sein will, soll aller Sklave sein. Denn auch der Sohn des Menschen ist nicht gekommen, um bedient zu werden, sondern um zu dienen und sein Leben zu geben als Lösegeld für viele. Wer groß sein will, muss zuerst Demut lernen. Christus selbst verkörperte wahre Demut in Vollendung. Außerdem breitet sich sein Reich durch demütiges Dienen aus, nicht durch Politik, Prestige, Macht oder Herrschaft. Das wollte Jesus deutlich machen, als er das Kind in ihre Mitte stellte und ihnen sagte, der wahre Gläubige müsse wie ein Kind werden. An einer anderen Stelle sagt er: »Jeder, der sich selbst erhöht, wird erniedrigt werden; wer aber sich selbst erniedrigt, wird erhöht werden« (Lk 18,14). Schon früher hatte er gesagt:Wenn du von jemandem zur Hochzeit eingeladen wirst, so lege dich nicht auf den ersten Platz, damit nicht etwa ein Geehrterer als du von ihm geladen sei und der, welcher dich und ihn eingeladen hat, komme und zu dir spreche: Mach diesem Platz! Und dann wirst du anfangen, mit Schande den letzten Platz einzunehmen. Sondern wenn du eingeladen bist, so geh hin und lege dich auf den letzten Platz, damit, wenn der, welcher dich eingeladen hat, kommt, er zu dir spricht: Freund, rücke höher hinauf! Dann wirst du Ehre haben vor allen, die mit dir zu Tisch liegen. Denn jeder, der sich selbst erhöht, wird erniedrigt werden, und wer sich selbst erniedrigt, wird erhöht werden. (Lk 14,8-11) Ein ums andere Mal hatte Christus diese Wahrheit hervorgehoben: Wer im Reich Gottes groß sein will, muss ein Diener von allen werden.Es ist erstaunlich, wie wenig diese Wahrheit in den drei Jahren mit Jesus in das Bewusstsein der Jünger eingedrungen war. Doch in der letzten Nacht seines irdischen Wirkens war kein Einziger so demütig, Handtuch und Schüssel zu nehmen, um die Aufgabe eines Dieners zu erfüllen (Joh 13,1-17). Deshalb tat der Herr das selbst. Johannes lernte schließlich eine Ausgewogenheit zwischen Ehrgeiz und Demut. Demut ist eine der großen Tugenden, die in seinen Schriften durchscheint.Im ganzen Johannes-Evangelium erwähnt er kein einziges Mal seinen eigenen Namen. (Der einzige »Johannes«, der in seinem Evangelium mit Namen genannt wird, ist Johannes der Täufer.) Der Apostel Johannes vermeidet es, sich auf sich selbst zu beziehen. Vielmehr erwähnt er sich in Bezug auf Jesus. Nir-gendwo spielt er sich als Held in den Vordergrund, sondern erwähnt seine Person nur, um Christus zu ehren. Anstatt seinen Namen zu benutzen, was die Aufmerksamkeit auf ihn lenken könnte, spricht er von sich als dem »Jünger, den Jesus lieb hatte« (Joh 13,23; 20,2; 21,7.20). Dadurch gibt er dem Herrn die Ehre, der einen solchen Mann liebte. In der Tat scheint ihn das Wunder, dass Christus ihn liebte, mit ehrfürchtigem Staunen erfüllt zu haben. Natürlich liebte Jesus alle seine Apostel mit vollkommener Liebe (vgl. Joh 13,1-2). Doch Johannes schien diese Realität auf eine einzigartige Weise ergriffen zu haben, und das machte ihn demütig. Nur das Johannes-Evangelium schildert detailliert, wie Jesus seinen Jüngern die Füße wusch. Dadurch wird deutlich, dass Jesu Demut in der Nacht seines Verrats bei Johannes einen bleibenden Eindruck hinterlassen hatte.Johannes’ Demut zeigt sich auch in der zarten Art und Weise, wie er den Leser in jedem seiner Briefe anspricht. Er nennt sie »Kinder« und »Geliebte« – gleichzeitig schließt er sich selbst als Bruder und Kind Gottes mit ein (vgl. 1Jo 3,2). In diesen Ausdrücken schwingt eine Zartheit und Barmherzigkeit mit, die seine Demut erkennen lassen. Sein letzter Beitrag zum Kanon war das Buch der Offenbarung. Dort bezeichnet er sich als »euer Bruder und Mitgenosse in der Bedrängnis und dem Königtum und dem Ausharren in Jesus« (Offb 1,9). Obwohl er der letzte verbliebene Apostel und der Patriarch der Gemeinde war, finden wir nirgendwo, dass er über andere herrschen wollte. Auf seinem Weg mit Jesus wurde sein Ehrgeiz durch Demut ausgeglichen. Johannes war gereift – und blieb dennoch mutig, zuversichtlich, kühn und leidenschaftlich. Er lernte das Gleichgewicht zwischen Leiden und Herrlichkeit Wie bereits erwähnt, strebte der Apostel Johannes in jungen Jahren nach Herrlichkeit und wollte Leiden vermeiden. Sein Verlangen nach Herrlichkeit ist in seinem Wunsch zu erkennen, auf dem bedeutendsten Thron sitzen zu dürfen. Seine Abneigung gegen Leiden sehen wir in der Tatsache, dass er und die anderen Apostel in der Nacht von Jesu Festnahme ihren Herrn verließen und flohen (Mk 14,50). Beides ist durchaus verständlich. Auf dem Berg der Verklärung hatte Johannes Jesu Herrlichkeit schließlich aus nächster Nähe gesehen, und er schätzte seine Verheißung, diese Herrlichkeit mit ihm zu teilen, sehr (Mt 19,28-29). Wie sollte er sich auch nicht nach einem solchen Segen sehnen? Andererseits hat auch nur ein Verrückter an Leiden Gefallen. Am Wunsch, an der Herrlichkeit des ewigen Reiches teilzuhaben, war an sich nichts Sündiges. Christus hatte ihm einen Thron und ein Erbteil in der Herrlichkeit verheißen. Außerdem: Wenn wir erst einmal Christi Herrlichkeit in ihrer ganzen Fülle sehen werden, dann werden wir verstehen, weshalb sie die größte Belohnung in der Ewigkeit sein wird. Davon bin ich überzeugt! Ein Blick auf Jesus in seiner ganzen Herrlichkeit wird all die Schmerzen und Leiden wert sein, die wir hier auf Erden ertragen haben (vgl. Ps 17,15; 1Jo 3,2). An Christi Herrlichkeit teilzuhaben, ist daher für jedes Kind Gottes ein angemessener Wunsch.Doch wenn wir uns nach der himmlischen Herrlichkeit sehnen, müssen wir auch bereit sein, an den irdischen Leiden teilzuhaben. Das war der Wunsch des Apostels Paulus: »Um ihn und die Kraft seiner Auferstehung und die Gemeinschaft seiner Leiden zu erkennen, indem ich seinem Tod gleichgestaltet werde« (Phil 3,10). Paulus sagte nicht, er habe eine geradezu masochistische Lust auf Schmerzen, vielmehr erkannte er an, dass Herrlichkeit und Leiden nicht voneinander zu trennen sind. Ersehnt man sich den Lohn der Herrlichkeit, so muss man auch bereit sein, Leiden zu ertragen. Leiden sind der Preis der Herrlichkeit. Wir sind »Erben Gottes und Miterben Christi, wenn wir wirklich mitleiden, damit wir auch mitverherrlicht werden« (Röm 8,17). Immer wieder lehrte Jesus diesen Grundsatz. »Wenn jemand mir nachkommen will, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf und folge mir nach! Denn wenn jemand sein Leben erretten will, wird er es verlieren; wenn aber jemand sein Leben verliert um meinetwillen, wird er es finden« (Mt 16,24-25). »Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein; wenn es aber stirbt, bringt es viel Frucht. Wer sein Leben liebt, verliert es; und wer sein Leben in dieser Welt hasst, wird es zum ewigen Leben bewahren« (Joh 12,24-25).Leiden bilden den Auftakt zur Herrlichkeit. Das Leiden der Gläubigen ist die Zusicherung der zukünftigen Herrlichkeit (1Petr 1,6-7). Und »die Leiden der jetzigen Zeit fallen nicht ins Gewicht gegenüber der zukünftigen Herrlichkeit, die an uns geoffenbart werden soll« (Röm 8,18). Bis dahin müssen diejenigen, die sich nach Herrlichkeit sehnen, diesen Wunsch mit der Bereitschaft zum Leiden ins Gleichgewicht bringen. Alle Jünger mussten das lernen. Immerhin wollten sie alle die bedeutendsten Throne in der Herrlichkeit einnehmen. Doch Jesus sagte, dass diese ihren Preis hätten. Es ist nicht nur so, dass diese Throne für die Demütigen reserviert sind, sondern ihre Inhaber werden außerdem zuerst einmal auf diesen Ehrenplatz vorbereitet, indem sie Leiden demütig ertragen. Deshalb sagte Jesus zu Jakobus und Johannes, sie müssten vorher »den Kelch trinken, den ich trinke, oder mit der Taufe getauft werden, mit der ich getauft werde« (Mk 10,38).Voller Eifer und Naivität versicherten Jakobus und Johannes ihm, sie könnten seinen Kelch trinken und mit der Taufe seiner Leiden getauft werden! »Sie aber sprachen zu ihm: Wir können es« (V. 39). In diesem Augenblick hatten sie keine Vorstellung davon, wozu sie sich gerade freiwillig bereit erklärt hatten. Sie waren wie Petrus und rühmten sich, Jesus bis in den Tod zu folgen – doch als sich die Gelegenheit dazu bot, verließen sie ihn alle und flohen. Aber Jesus beließ es nicht bei ihrem Versagen. Alle elf Jünger flohen in der Nacht, als Jesus verraten und festgenommen wurde. Doch jeder von ihnen wurde wiederhergestellt und lernte letzten Endes, für Christus zu leiden.Außer Johannes litten und starben sie alle um ihres Glaubens willen. Einer nach dem anderen erlitt in der Blüte seines Lebens den Märtyrertod. Johannes war der einzige Jünger, der ein hohes Alter erreichte. Aber auch er musste leiden – obschon anders als die Übrigen. Lange nachdem die anderen Jünger in die Herrlichkeit eingegangen waren, musste er noch irdische Leiden und Verfolgung ertragen. Als Jesus in jener Nacht festgenommen wurde, begann Johannes wahrscheinlich die Bitterkeit des Kelchs zu verstehen, den er trinken müsste. Aus seinem Evangelium wissen wir, dass er und Petrus dem Herrn bis zum Haus des Hohenpriesters folgten (Joh 18,15). Dort sah er, wie Jesus gefesselt und geschlagen wurde. Soweit wir wissen, war Johannes der einzige Jünger, der Augenzeuge der Kreuzigung Jesu war. Er stand in der Nähe des Kreuzes, so dass Jesus ihn sehen konnte (Joh 19,26). Wahrscheinlich konnte er erkennen, wie die Soldaten die Nägel einschlugen. Er war dort, als ein Soldat die Seite des Herrn mit einem Speer durchbohrte. Und dabei erinnerte er sich vielleicht daran, dass er seine Zustimmung zu der gleichen Taufe gegeben hatte. Da erkannte er mit Sicherheit, wie furchtbar der Kelch war, den zu trinken er sich so leichtfertig bereit erklärt hatte!Als sein Bruder Jakobus zum ersten Märtyrer der Gemeinde wurde, war Johannes’ persönlicher Verlust größer als der der anderen Jünger. Als einer nach dem anderen den Märtyrertod starb, widerfuhr ihm zusätzliches Leid. Sie waren seine Freunde und Gefährten gewesen. Bald schon blieb nur noch er allein übrig. In gewisser Hinsicht mag dies das größte Leid gewesen sein. Praktisch alle verlässlichen Quellen der frühen Kirchengeschichte bezeugen die Tatsache, dass Johannes der Pastor der Gemeinde wurde, die der Apostel Paulus in Ephesus gründete. Während einer großen Verfolgung der Gemeinde unter dem römischen Kaiser Domitian (Bruder und Thronfolger von Titus, der Jerusalem zerstörte) wurde Johannes von dort nach Patmos verbannt, einer kleinen dodekanischen Insel in der Ägäis vor der Westküste der heutigen Türkei. Dort lebte er in einer Höhle und empfing die apokalyptischen Visionen, die im Buch der Offenbarung beschrieben sind (vgl. Offb 1,9). Ich war in der Höhle, von der man annimmt, dass er in ihr lebte, als er die Apokalypse schrieb. Eine raue Umgebung für einen älteren Mann. Abgeschnitten von den Menschen, die er liebte, wurde er schlecht behandelt und besaß eine Steinplatte als Bett und ein Stück Fels als Kissen, während die Jahre nur langsam vorübergingen.Aber Johannes lernte, seine Leiden bereitwillig zu ertragen. In seinen Briefen und in der Offenbarung finden wir keine Klagen über seine Umstände. Sicher ist, dass er die Offenbarung unter extremsten Entbehrungen und Verlusten schrieb. Doch erwähnt er seine Schwierigkeiten kaum und spricht von sich nur als »euer Bruder und Mitgenosse in der Bedrängnis und dem Königtum und dem Ausharren in Jesus« (Offb 1,9). Im gleichen Atemzug wie »Bedrängnis« erwähnt er auch das Ausharren, das ihn seine Leiden bereitwillig ertragen lässt. Still freute er sich auf den Tag, an dem er an der verheißenen Herrlichkeit des Reiches teilhaben würde. Das ist das richtige Gleichgewicht und eine gesunde Perspektive. Er hatte gelernt, über die irdischen Leiden hinauszusehen und die himmlische Herrlichkeit zu erwarten. Johannes verstand die Botschaft. Er lernte die Lektionen. Indem er sich von Christus umformen ließ, wurde er zu einem menschlichen Vorbild eines gerechten, christus-ähnlichen Charakters.Bei der Kreuzigung zeigt sich das auf überzeugende Weise. Johannes war der einzige Apostel, der nach biblischen Berichten ein Augenzeuge der Kreuzigung war. Johannes selbst schrieb, wie Jesus vom Kreuz auf seine Mutter Maria, deren Schwester Maria (die Frau von Klopas), Maria Magdalena und Johannes herabblickte (Joh 19,25). Er schreibt: »Als nun Jesus die Mutter sah und den Jünger, den er liebte, dabeistehen, spricht er zu seiner Mutter: Frau, siehe, dein Sohn! Dann spricht er zu dem Jünger: Siehe, deine Mutter! Und von jener Stunde an nahm der Jünger sie zu sich« (V. 26-27). Offensichtlich hatte Johannes die nötigen Lektionen gelernt. Er wurde zu einem demütigen, liebevollen Diener. Anderenfalls hätte Jesus ihm nicht die Fürsorge für seine eigene Mutter anvertraut. Zu Petrus sagte Jesus: »Weide meine Schafe!« (Joh 21,17). Und zu Johannes: »Sorge für meine Mutter.« Mehrere Zeugen der frühen Kirchengeschichte berichten, dass Johannes bis zu Marias Tod Jerusalem nie verlassen und sich immer um sie gekümmert habe.Johannes erinnert mich an viele Absolventen des theologischen Seminars – darunter auch an mich selbst als jungen Mann. Nach meinem Abschluss war ich bis über beide Ohren mit Wahrheit gefüllt, besaß aber nur wenig Geduld. Es war eine starke Versuchung, in die Gemeinde hineinzustürmen, jeden mit der Wahrheit zu überschütten und eine unmittelbare Reaktion zu erwarten. Ich musste Geduld lernen, Toleranz, Gnade, Verge-bungsbereitschaft, Güte, Barmherzigkeit – ja, alle Merkmale der Liebe. Es ist wunderbar, mutig und dynamisch zu sein, aber Liebe verleiht diesen Eigenschaften den nötigen Ausgleich. Johannes ist ein ausgezeichnetes Vorbild für solche jungen Männer. Es mag erstaunen, dass Jesus einen Mann liebte, der die Samariter verbrennen wollte. Er liebte einen Menschen, der vom Gedanken an Status und Stellung besessen war; jemanden, der ihn im Stich ließ und die Flucht ergriff, anstatt für ihn zu leiden. Doch seine Liebe machte aus Johannes einen anderen Menschen – einen Mann, der ein Vorbild für die Liebe wurde, die Jesus ihm gab.Wir haben bereits festgestellt, dass Johannes in seinem Evangelium und in den Briefen das Wort Wahrheit etwa 45-mal gebrauchte. Interessanterweise benutzte er auch das Wort Liebe sehr häufig – über 80-mal. Er hatte das Gleichgewicht, das Jesus ihn lehrte, verstanden. Er lernte, andere so zu lieben, wie der Herr ihn geliebt hatte. Die Liebe wurde zum Mittelpunkt der Wahrheit, die ihm so wichtig war. Seine Theologie kann man am besten als die Lehre von der Liebe bezeichnen. Er lehrte, dass Gott ein Gott der Liebe ist, Gott seinen eigenen Sohn liebte, Gott die Welt liebte, Gott von Christus geliebt wird, Christus seine Jünger liebte, seine Jünger ihn liebten, alle Menschen Christus lieben sollen, wir einander lieben sollen und die Liebe die Erfüllung des Gesetzes ist. Liebe war ein entscheidender Bestandteil jeder seiner Lehren – das herausragende Thema seiner Theologie.Und trotzdem glitt seine Liebe niemals ins Sentimentale ab. Auch gegen Ende seines Lebens war Johannes noch immer ein kraftvoller Streiter für die Wahrheit. Er hatte nichts von seiner Intoleranz gegenüber der Lüge verloren. In seinen Briefen, die er gegen Ende seines Lebens schrieb, wandte er sich weiterhin gegen Irrlehren, antichristliche Täuschungen, Sünde und Unmoral. In dieser Hinsicht war er bis zum Ende ein Sohn des Donners. Ich denke, der Herr wusste genau, dass der stärkste Verfechter für die Liebe ein Mann sein musste, der keine Kompromisse hinsichtlich der Wahrheit einging.Ein weiteres Lieblingswort von Johannes war Zeugnis. Er gebrauchte es fast 70-mal. Er spricht vom Zeugnis Johannes’ des Täufers, vom Zeugnis der Schrift, vom Zeugnis des Vaters, vom Zeugnis Christi, vom Zeugnis der Wunder, vom Zeugnis des Heiligen Geistes und vom Zeugnis der Apostel. In allen Fällen waren es Zeugnisse der Wahrheit. Seine Liebe zur Wahrheit blieb unverändert. Ich bin davon überzeugt, dass Johannes nicht nur an Jesu Schulter lehnte (Joh 13,3), weil er die reine Liebe des Herrn genoss, sondern auch, um jedes Wort der Wahrheit hören zu können, das Christus redete.Die meisten frühkirchlichen Berichte geben an, Johannes sei während der Herrschaft des Kaisers Trajan um 98 n. Chr. gestorben. Hieronymus sagt in seinem Kommentar über den Galaterbrief, der betagte Apostel Johannes sei in seinen letzten Tagen in Ephesus so gebrechlich gewesen, dass er in die Gemeinde getragen werden musste. Eine Redewendung sei beständig auf seinen Lippen gewesen: »Meine Kinder, liebt einander.« Als man ihn fragte, wieso er dies immer sagen würde, antwortete er: »Es ist das Gebot des Herrn, und wenn ihr nur das befolgt, dann reicht das aus.« So wurden die galiläischen Fischer – Petrus, Andreas, Jakobus und Johannes – zu Menschenfischern im großen Stil und brachten Seelen für die Gemeinde ein. Durch ihr Zeugnis in den Evangelien und ihren Briefen werfen sie in gewisser Weise auch heute noch ihre Netze im Weltmeer aus. Noch immer führen sie die Menschen scharenweise zu Christus. Obwohl sie gewöhnliche Männer waren, hatten sie eine außergewöhnliche Berufung. Fortsetzung: Philippus - Der Beamte

Datum: 02.07.2007
Autor: John MacArthur
Quelle: 12 ganz normale Männer

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