Glaube, Hoffnung, Liebe – wieso soll die Liebe „die grösste unter ihnen“ sein?

Kaum eine Trauung kommt ohne diesem Vers aus, einem der bekanntesten der ganzen Bibel: "So bleiben Glaube, Liebe, Hoffnung; diese drei. Am grössten davon aber ist die Liebe." (1) Denn in ihr fliessen Glaube und Hoffnung zusammen.
Glaube
Croire

Von Glauben ist viel in der Bibel die Rede; ebenso von Hoffnung. Der "rechte" Glauben gilt sogar als entscheidend dafür, dass jemand das ewige Leben erhält. (2) Unwichtig ist er also nicht. Dasselbe gilt für die Hoffnung. Die Gläubigen sollten unbedingt an ihr festhalten und sich nicht beirren lassen, weder von Menschen noch von Umständen. (3) Trotzdem gibt es anscheinend noch etwas Grösseres: die Liebe.

Liebe ist Gegenwart pur

Warum zählt sie mehr als die anderen beiden Haltungen? Kurz gesagt: weil Liebe Gegenwart pur ist. In der Liebe ist der Mensch am freiesten. Er ist am meisten bei sich selbst, aber auch dem andern am nähsten.

"Du schaust ihr in die Augen, und deine Seele öffnet sich." Mit diesen Worten umschrieb ein Psychotherapeut seinem Klienten die Erfahrung von Liebe. Es zählt nur noch die Gegenwart des andern. Das Zeitgefühl geht verloren. Ein einziges Wochenende mit dem geliebten Menschen kann ein Monat der Trennung überbrücken helfen. Denn in jenen Augenblicken war die Zeit stillgestanden. Davor und Danach hatten ihre Kraft verloren.

Hoffnung ist belebte Vergangenheit

Aber die beiden haben ja die Hoffnung, einander wiederzusehen. Sie hatten sich bereits getroffen, und dasselbe er-hoffen sie sich auch für die Zukunft. Denn das ist das Merkwürdige an der Hoffnung: Sie richtet sich immer nach hinten. Wer hofft, hat bereits ein Bild von seiner Zukunft, eine ganz bestimmte Erwartung. So, wie es schon einmal gewesen ist (bei einem selber oder jemand anderem), so soll es wieder bzw. auch bei einem selber werden.

Wer hofft, dessen Vergangenheit ist in Ordnung, denn sie haucht ihm Leben ein, macht ihm Mut, spornt ihn an. Natürlich gibt es auch ein seichtes Hoffen. "Hast du genug gelernt vor der Prüfung?" - "Ich hoffe ...." Aber daneben das kräftige: "Auf diese Erfindung setzt die Firma ihre Hoffnungen." Sie kennt die Sache bereits aus der Vergangenheit (das Ding ist ja schon erfunden) und folgert für die Zukunft.

Glaube ist der freie Blick nach vorn

Ganz ähnlich, nur in umgekehrter Richtung, verhält es sich mit Glauben. Was genau jene Erfindung für die Firma austragen wird, weiss im voraus niemand. Die Manager glauben an diese Neuerung und vertrauen ihr Wohl und Wehe des Betriebs an. Der Ausgang ist offen. Auch das Liebespaar "glaubt" an seine gemeinsame Zukunft und wagt darum einen Bund, der weit über das Blickfeld der beiden hinausreicht.

Wer hofft, der hat den Rücken frei und steht auf festem Grund. Wer glaubt, der hat den Blick frei und schaut ins Helle. Erlebt wird es in der Gegenwart - in der Liebe. Dem anderen Wohlwollen, Zutrauen und Anerkennung aussprechen heisst bereits ihn lieben. (4)

Eine Firma lebt von Liebe

Dass "die Liebe die grösste unter ihnen" ist, kann also bereits der Angestellte oder Arbeiter in seinem Alltag erfahren: in einer Firma, die ihre Hoffnungen auf ein gutes Konzept, eine gefragte Idee, setzt und tapfer in den zukünftigen Erfolg investiert, d.h. an ihn glaubt. Sie hat ein liebevolleres "Betriebsklima" als eine, deren Patente am Auslaufen sind (schwindende Hoffnung) oder der die Kunden nurmehr wenig zutrauen (sprich: Glauben entgegenbringen). Sie muss um ihre Existenz bangen; ihr Klima ist geprägt von Furcht, dem Gegenteil von Liebe. (5) Das andere Beispiel vom Liebespaar ist umso leichter durchzuspielen ....

Jesus ist Vergangenheit und Zukunft, Hoffnung und Glauben

Der Grund für die christliche Hoffnung ist die Auferweckung von Jesus Christus: Einmal war die neue Welt, waren Gottes neue Möglichkeiten, bereits durchgebrochen. (6) Sie sind nun freigesetzt und jeder, der sie in der Vergangenheit, also bei jener Auferstehung von Jesus, wahrnimmt, kann sie weiter erfahren. (7) Die eigene Schuld hatte er mit ans Kreuz genommen und damit jedem, der das gelten lässt, den Rücken freigemacht. - Man hat eine eigene Hoffnung. (8)

Der christliche Glaube weist nach vorn, denn er wagt es mit diesem Jesus. Ängste dürfen die Zukunft nicht länger schwarzmalen. Ein Stärkerer steht einem an der Seite und erwartet einen da vorne. Man weiss nicht unbedingt, wie es in einem Engpass weitergeht, aber man weiss, dass es weitergeht.

Frei zur Begegnung

Nach hinten der freie Rücken, nach vorne der freie Blick - und mitten drin die Freiheit zur Liebe. Wo weder das eigene Versagen mehr drückt noch diffuse Ängste das Leben dämpfen, da ist der Mensch frei für den andern. Das Liebespaar erlebt es aneinander; denn diese Freiheit war ihm zugefallen. Der Christ erlebt es an seinem Gegenüber; er ist ihm zugewiesen.

Die Liebe ist die gemeinsame Frucht von Hoffnung, jener Freiheit im Rücken, und Glauben, diesem freien Blick. Sie ereignet sich zwischen einer motivierenden Vergangenheit und einer inspirierten Zukunft. Darum ist sie "die grösste unter ihnen".

(1) Er findet sich am Ende des 13. Kapitels im 1. Korintherbrief.
(2) "Wer mein Wort hört und dem glaubt, der mich gesandt hat, der hat ewiges Leben und kommt nicht ins Gericht. Sondern er ist vom Tod zum Leben hindurchgedrungen", sagt Jesus nach Johannes 5, Vers 24.
(3) "Diese Hoffnung halten wir fest als einen sicheren und festen Anker der Seele", ermutigt der Schreiber des Hebräerbriefs die labil gewordenen Christen in Jerusalem (Hebräer 6,19).
(4) "Die Vergebung setzt die Gegenwart wieder ein in ihre Rechte über Vergangenheit und Zukunft." - "Anerkennung ist die freiste Form der Nächstenliebe."
Zitate von Eugen Rosenstock-Huessy aus dem Buch "Der Atem des Geistes".
(5) "Furcht ist nicht in der Liebe, sondern die vollkommene Liebe vertreibt die Furcht"; 1. Johannesbrief 4,18.
(6) Ein interessantes Detail: In den Evangelien, den Lebensberichten von Jesus, fehlt das Wort Hoffnung vollständig. Denn sie wird durch die Auferstehung von Jesus erst geschaffen!
(7) In einer öffentlichen Predigt weist der frühere Jesus-Jünger Petrus auf einen eben noch gelähmten Mann hin, der nun durch die Kraft von Jesus wieder gehen kann: "Ihn [Jesus] hat Gott von den Toten auferweckt; dafür sind wir Zeugen. Und auf den Glauben an seinen Namen hin hat sein Name [Jesus] diesen hier stark gemacht"; Apostelgeschichte 3,15.16. Diesen Namen anzuwenden, heisst das Evangelium leben.
(8) "Er [Jesus] hat die gegen uns gerichtete Schuldschrift ausgelöscht, .... indem er sie ans Kreuz heftete"; Kolosserbrief 2,14.
"Gelobt sei Gott, der Vater unseren Herrn Jesus Christus, der uns in seiner grossen Barmherzigkeit wiedergeboren hat zu einer lebendigen Hoffnung durch die Auferstehung von Jesus Christus von den Toten"; 1. Petrus 1,3.

Weiterführende Links:
Kommt es wirklich drauf an, was ich glaube?
"Der Glaube an den lieben Gott macht gesund"

Datum: 13.07.2005
Quelle: Livenet.ch

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