„Die Evangelikalen tauchen wie Maulwürfe alle zwei bis drei Jahre einmal auf und geben sich bei ethischen Fragen plötzlich überaus engagiert. Sie sind dann meist auf der Kontra-Seite“, stellt Markus Baumgartner fest. Für Markus Häfliger treten die Evangelikalen aber auch jetzt kaum in Erscheinung: „Schengen ist in evangelikalen Kreisen praktisch kein Thema. Auch beim Partnerschaftsgesetz sind nur ein paar evangelikale Exponenten engagiert.“ Verena Birchler hat jedenfalls in der Diskussion um das Partnerschaftsgesetz oft ein ungutes Gefühl: „Es geht manchmal weniger um das Gesetz als um die grundsätzliche Ablehnung der Homosexualität.“ Die Argumentationslinie von Christen sei oft schwer nachvollziehbar. „Manchmal hätte ich es ehrlicher empfunden“, folgert die ERF-Frau, „wenn klare Aussagen gemacht worden wären. So zum Beispiel: Ich bin gegen Homosexualität, deshalb lehne ich alles ab, was eine solche Lebensform unterstützt.“ So wünschte sich Verena Birchler die Evangelikalen in der politischen Diskussion: „Differenziert, sattelfest und nicht nur Bibelverse zitierend. Ich würde gerne auch mehr Liebe spüren als theologische Richtigkeit.“ Markus Baumgartner sähe Christen grundsätzlich lieber auf der Pro-Seite: „Die Evangelikalen setzen sich für Ehe und Familie ein – für höhere Kinderzulagen, für mehr Betreuungsplätze, für Steuererleichterungen für Familien, machen diakonische Angebote wie Frauenhäuser oder Mittagstische ...“ Anton H. leitet aus der Bibel überhaupt die Forderung ab, sich für die Gesellschaft und den Staat zu engagieren: „Dazu gehört in einer Demokratie, sich in politische Ämter wählen zu lassen und sich in Abstimmungsfragen zu engagieren.“ Das politische Bewusstsein habe unter Evangelikalen zwar zugenommen, doch es bleibe bescheiden. Auch Markus Baumgartner gibt sich keinen Illusionen hin: „Das politische Interesse der Evangelikalen ist durchschnittlich.“ Ernüchtert zeigt sich Verena Birchler: „Evangelikale Christen sind oft erschreckend schlecht informiert und daher auch leicht beeinflussbar.“ Wie könnte die evangelikale Stimme öffentlich mehr Gehör finden? „Me liefere als lafere!“, sagt Markus Baumgartner spontan. Wenn Kirchenvertreter wie Pfarrer Sieber nicht mit leeren Händen kommen, sondern mit Taten und gelebter Liebe, könnten sie Respekt und auch vermehrt Einfluss gewinnen. Markus Häfliger bricht eine Lanze für die Evangelische Allianz: Sie sei der einzige einigermassen repräsentative Verband der freikirchlichen Christen. Solange er mit wenigen hunderttausend Franken Jahresbudget auskommen müsse, bleibe ein kraftvoller politischer Auftritt Illusion. „Das Bewusstsein für den gemeinsamen Auftritt der Schweizer Christen ist in vielen Gemeinden miserabel“, betont Häfliger, „speziell zum Beispiel im ICF.“ Gefordert seien auf lokaler Ebene vor allem Pfarrer und Pastoren: „Sie sollen ihre Gemeindeglieder zwar nicht politisch indoktrinieren, aber vermehrt zu politischem Engagement anhalten.“ Auch Verena Birchler wünscht sich eine vermehrte politische Einmischung der Evangelikalen: „Aber bitte nicht nur dort, wo es um Sünden wie Abtreibung und Homosexualität geht, sondern auch dort, wo es sich um wirtschafts-, sozial- und umweltpolitische Fragen handelt. Ich würde Evangelikale gerne auch zu Themen wie den hohen Managerlöhnen, der ungenügenden Unterstützung für Familien oder der Zerstörung der Umwelt hören.“ Für Markus Baumgartner ist offensichtlich, was ein stärkeres öffentliches Engagement der Evangelikalen bewirken könnte: „Sie würden für eine grosse Mehrheit der Leute, die nicht mehr in die Kirche geht, nachvollziehbar. Und vielleicht würde gar der Traum aus Apostelgeschichte 2,47 wahr: ‚Sie hatten Gunst beim ganzen Volk. Der Herr aber tat täglich hinzu, die gerettet werden sollten.‘“ Markus Baumgartner meint: „Das Argumentieren auf der Basis der Bibel wird in einer säkularen Welt als rückständig und fundamentalistisch verstanden. Auch Evangelikale müssen immer wieder neu das Interesse der Menschen wecken. Sinnvolles Kommunizieren fordert den Sender heraus, sich in den Empfänger hineinzudenken. Anton H. wünscht sich ein verstärktes Bewusstsein dafür, „dass vor allem im Kleinen, auf Gemeindeebene, schon ein einziger Politiker viel verändern und beeinflussen kann. Ich wünschte mir auch, dass sozialpolitische oder ökologische Postulate, die sich sehr wohl biblisch begründen lassen, unter evangelikalen Christen mehr zum Thema werden.“ Anmerkung: Anton H: Name geändert„Leicht beeinflussbar“
Pastoren gefordert
Gunst beim Volk
Was bringt Wirkung?
Datum: 01.06.2005
Autor: Andrea Vonlanthen
Quelle: ideaSpektrum Schweiz