Die Wohltäterin der Ärmsten von Kairo

Unermüdlich: Rebecca Atallah
Frauen im Zebalin-Slum an der Arbeit
Kinder sammeln Abfall mit dem Eselkarren.
Zebalin-Kinder
Anfang 2003 wurden Hunderte von Schwarzafrikanern in Kairo in Polizeirazzien aufgegriffen.

Vielleicht leben drei oder vier Millionen Menschen aus dem Südsudan in Ägypten – die Schätzungen entziehen sich der Überprüfung. Auch Rebecca Atallah scheinen diese Zahlen sehr hoch, „doch wohin man geht, sieht man sie auf den Strassen“. In der von Menschen überquellenden Hauptstadt Kairo (Bevölkerung: 17-18 Millionen Menschen) geht die Zahl der sudanesischen Flüchtlinge in die Hunderttausende.

Seit zehn Jahren befasst sich Atallah, deren Mann die ägyptische Bibelgesellschaft leitet, mit den Bürgerkriegsopfern. „Die Menschen haben keine Arbeitsbewilligung; sie zu erlangen, ist in Ägypten fast unmöglich. Am ehesten werden die Flüchtlinge als Putzkräfte, für die dreckigsten Jobs oder für einfache Dienstleistungen beigezogen; da und dort bereiten sie in Büros Kaffee zu.

Unter den Sudanesen sind sehr viele Frauen. Die Tradition der südsudanesischen Völker steht zwar dem Reisen der Frau ohne Mann als Beschützer entgegen, sagt Rebecca Atallah. „Aber Männer wurden in grosser Zahl entweder getötet, versklavt oder von ihren Familien getrennt. So sehen wir sehr viele Frauen mit vielen Kindern nach Ägypten kommen. In vielen Fällen weiss die Frau nicht, wo ihr Mann ist, ob er noch lebt. Denn wenn ein Dorf von Nordsudanesen überfallen wird, flüchten die Bewohner in alle Richtungen.“

Allein sechs Kinder hochziehen – im Ausland

So bleibt die Frau ohne Mann. Rebecca Atallah hat viele hundert solche Frauen kennengelernt. „Manche versuchen allein, fünf, sechs oder sieben Kinder grosszuziehen.“ Die gebürtige Kanadierin hat allerdings auch einige Männer mit Kindern getroffen, die nicht um den Verbleib ihrer Frau wissen.

Atallah gehört der unabhängigen englischsprachigen Gemeinde an. „Da haben wir ein weitverzweigtes Hilfenetz für Sudanesen. „Weitherum weiss man, dass wir Putzjobs vermitteln. Daneben sind wir vielfältig tätig: Wir bieten Seelsorge und psychologische Beratung an, geben Leintücher und Essen und Kleider ab.“

Kehrichtsammler – Königskinder

Damit ist der Aktionsradius von Rebecca Atallah allerdings nicht annähernd umschrieben. Denn sie hat sich seit über 20 Jahren auch für eine der verachtetsten Minderheiten Kairos engagiert. 3000 ‚Zebalin’, Kehrichtsammler, lebten vor 25 Jahren in einem Slum ohne Strom und Wasser, ohne Schule und medizinische Station, mitten im Abfall.

Aber dabei blieb es nicht, erzählt Rebecca Atallah: „Eines Tages kam ein Mann zu ihnen und erklärte ihnen das Evangelium: dass Gott für sie gestorben und auferstanden war. Sie begriffen, wie wertvoll sie, die Verachteten, in seinen Augen waren. Gott begann, sie tief innen umzugestalten. Der Mann gründete eine Gemeinde und betreute sie. Bald wollten sie eine Schule für ihre Kinder. Heute pulsiert das Quartier – es stinkt immer noch – von Leben! Denn die Menschen wissen: Sie sind Kinder des höchsten Königs.“

Rebecca Atallah hat nach ihren Möglichkeiten mitgeholfen, das Los der Zebalin zu verbessern. Jedes Jahr führt sie weit weg vom Slum kirchliche Freizeiten für behinderte Kinder und Erwachsene durch.

Bei der Auswanderung helfen

In der letzten Zeit hat Rebecca Atallah jenen Sudanesen in Ägypten geholfen, denen Australien die Einwanderung erlaubt hat. Die Regierung in Canberra beschloss letztes Jahr die Aufnahme von 1500 Personen; dieses Jahr soll die Zahl erhöht werden. Canberra zahlt das Flugbillett nicht. „So haben wir Geld gesammelt, um einen Teil der Flugkosten zu bezahlen – weil die Menschen dann in Australien auf Dauer gut aufgehoben sind.“

Friedensprozess: von Skepsis durchzogene Hoffnung

In Kenia haben die Unterhändler von der Regierung in Khartum und der südsudanesischen SPLA in den letzten Wochen eine weitere Übereinkunft erzielt. Welche Chancen gibt Rebecca Atallah dem sudanesischen Befriedungsprozess?

„Wir haben alle grosse Hoffnungen, aber nach 20 Jahren Bürgerkrieg finden sich die Parteien nicht so rasch. Und: „Die arabischen Staaten wollen ein Auseinanderbrechen des Sudans – das erklärte Ziel der Südsudanesen – nicht zulassen. Denn dadurch entstünde eine neue christlich geprägte Nation an ihren Grenzen.“

Datum: 09.06.2004
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet.ch

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