Entspannt leben

«Das Staunen im Alltag neu entdecken»

Ich kannte einmal einen alten Bauern. Während seines langen Lebens musste er viele Verluste hinnehmen: Den Tod zweier Söhne, den Tod seiner Frau und auch den Verkauf seines Hofs, der sich seit Generationen im Familienbesitz befand. Und doch gab es etwas, das er bis zuletzt nicht verlor: seine kindliche Art, staunen zu können. Als ich ihn einige Wochen vor seinem Tod besuchte, lag eine Bibel auf seinem Schoss, die im 3. Buch Mose aufgeschlagen war. «Warum in aller Welt liest du Texte über Priestervorschriften und Opferrituale?», fragte ich ihn. Bedächtig antwortete er: «Nun, ich bin einfach so von der ehrfurchtsvollen Schönheit Gottes ergriffen! Darum lese ich meine Bibel komplett. Ich schaue mir auch so viele Naturfilme wie möglich an. Denn ich habe ja noch so viel über Gott zu lernen!» Seine Worte trafen mich: Trotz seiner 91 Jahre Lebenserfahrung hatte er immer noch nicht aufgehört, über Gott zu staunen. Trendforscher gehen davon aus, dass diese kindliche Art des Staunens in unserer Gesellschaft immer mehr ausstirbt. Der jüdische Theologe Abraham Heschel sagte einmal: „Wir lehren unsere Kinder Mass zu nehmen, abzuwägen. Wir lehren sie aber nicht zu verehren oder einen Sinn für Ehrfurcht und Bewunderung zu haben.» Meines Erachtens ist dies eine grosse Tragödie im Allgemeinen, ganz besonders aber für Christen. Denn sollten sie nicht diejenigen sein, die am meisten mit Bewunderung erfüllt sind? Gott fordert uns im Buch Habakuk auf: «Seht und verwundert euch!» (Kap. 1,5) Warum? – Weil Gott auf der ganzen Erde Wunder tut (2. Mose 15,11; Psalm 107, 8), weil Gottes Wort wunderbar ist (Psalm 119,129) und weil wir Menschen, Sie und ich, «wunderbar» geschaffen wurden (Psalm 139,14). Der Prophet Jesaja bezeichnet Christus als «wunderbaren Ratgeber». Und Menschen reagierten infolge der Wunder Jesu oft begeistert und mit grossem Erstaunen (vgl. Matthäus 15,31). Auch das Wirken des Heiligen Geistes in der frühen Gemeinde rief Staunen und Verwunderung hervor (Apostelgeschichte 2,7). Die Bibel ist voll an Bewundernswertem. Kennen sie schon? Ein Lexikon beschreibt Bewunderung als «das Gefühl von Überraschung und Ehrfurcht, verursacht durch etwas Seltsames oder Unerwartetes». Ein anderes erklärt: «Bewunderung bezieht sich auf aussergewöhnliche Sachen oder Geschehnisse, die Staunen hervorrufen.» Doch heute hegen viele Menschen eine Einstellung, die genau das Gegenteil von Bewunderung ausdrückt. «Kenne ich schon ...»  – das ist die Aussage müder Menschen, die emotional und auch geistig abgestumpft sind durch Analysen, Erklärungen und Erfahrungen und denen es an Bewundernswertem mangelt. Kinder hingegen sind da ganz anders. Sie finden fast alles seltsam, unerwartet und, aussergewöhnlich. Vielleicht ist das einer der Gründe, warum Jesus sagte, wir sollten das Reich Gottes wie die Kinder empfangen (Bibel, Lukasevangelium, Kapitel 18, Vers 17). Können wir als Erwachsene noch kindlich staunen? Ein Ort der Bewunderung Je älter ich wurde, desto mehr begann meine kindliche Bewunderung zu verschwinden. Mein anfänglich begeisterter Glaube beschränkte sich mehr und mehr auf Pflichten und Bemühungen. Ich merkte, wie das Gespür zu Staunen langsam aus mir verschwand. Und ich bin mir sicher, dass es nicht nur mir so geht. Wie gehen wir also gegen diesen Zustand an? Wie schaffen wir es wieder zu staunen? Die Bibel sagt, dass Staunen in der Gegenwart Gottes beginnt. Die Geschichte von Jakob ist ein perfektes Beispiel dafür: Jakob, der sich auf seinem Weg nach Haran zu seinem späteren Schwiegervater befindet, entdeckt unterwegs einen geeigneten Ort zum Schlafen. Wörtlich sagt die Bibel sogar, dass es «der» Platz war (1. Mose 28,11). Und das, obwohl es ein entlegener und wüster Ort war und bei weitem nicht den Komfort eines Hotels bot. Jakob benutzte einen Stein als Kissen. Aber er träumte von Engeln: Sie gingen auf einer Leiter herunter und herauf, während Gott oben am Ende der Leiter stand und Jakob aussergewöhnliche Dinge versprach. Als Jakob erwachte, rief er: «Der Herr wohnt an diesem Ort und ich wusste es nicht! Man muss sich diesem Platz in Ehrfurcht nähern. Hier ist wahrhaftig das Haus Gottes» (V. 16–17). Jakob hatte damit den Schlüssel zu einem Leben des Staunens gefunden. Denn inmitten der Einöde begegnete ihm Gottes herrliche Gegenwart. Genauso findet Staunen auch den Weg in unser Leben:
Wolkenherz
seht und verwundert euch
Bewunderung
Staunen in Gegenwart Gottes
Staunen
Staunen
ins Staunen bringen
staunen

Indem wir uns bewusst machen, dass Gott da ist und sich danach sehnt, uns zu segnen. Staunen ist nicht an Umstände oder Gefühle gebunden. Ähnlich wie bei Jakob kann Wunderbares ganz plötzlich passieren – besonders denen, deren Ruheplatz in einer öden Gegend liegt: dem unerwarteten Witwer, dem ziellosen Berufsanfänger, der erschöpften Mutter, dem genervten Fliessbandarbeiter, dem enttäuschten Ehepartner, dem Single, der sich nach einem Rendezvous sehnt. Wenn Christus mit uns ist – und das ist er –dann ist jeder Tag unseres Lebens eine Einladung zum Staunen!

Augen, die sehen

In einem Buch der Narnia-Chroniken veranschaulicht C. S. Lewis, dass es notwendig ist, sich dafür zu entscheiden, Gottes Wirken zu sehen. So begegnen am Ende der Geschichte die Kinder, die dem Löwen Aslan (er ist eine symbolische Figur für Jesus) folgen, mürrischen Zwergen. Die Zwerge drängen sich in einem engem Kreis zusammen und schauen einander an. Als sich die Kinder den Zwergen nähern, rufen sie: «Wo seid ihr?» – «Wir sind hier drin, du Dummkopf», antwortet einer der Zwerge, «in diesem stockdunklen, schäbigen, stinkenden kleinen Loch!» – «Aber es ist doch gar nicht dunkel, ihr armen Zwerge!», antwortet Lucy, «schaut euch doch nur um! Könnt ihr nicht den Himmel und die Blumen sehen? Könnt ihr mich nicht sehen?» Lucy bückt sich, pflückt einige Veilchen und sagt: «Vielleicht könnt ihr die riechen?» Angeekelt schreit der Zwerg: «Wie kannst du es wagen, dieses moderige Stück Stallmist in mein Gesicht zu werfen?»

Auf einmal bebt die Erde. Der Duft der Wiese wird süsser und ein grelles Licht blitzt hinter ihnen auf. Es ist der mächtige Aslan. Er überrascht die Zwerge mit einem üppigem Festmahl. Gierig verschlingen sie das Essen, beschweren sich aber, dass es nach Heu und vergammelten Steckrüben schmeckt. Selbst während Aslans prächtiger Festtafel streiten sich die Zwerge und schreien sich an.

Wie die Zwerge müssen auch wir eine Wahl treffen: Wollen wir Gottes Wunder sehen oder im Dunkeln leben? Dabei handelt es sich nicht um eine Anleitung zur Technik des «Positiven Denkens». Vielmehr ist es eine willentliche Entscheidung, dem Gott, der gegenwärtig ist und Wunder wirkt, mit Freude und Lobpreis zu begegnen. Es geht um die Entscheidung, unsere Augen zu öffnen – oder Gott zu bitten, unsere Augen zu öffnen –, um «aufmerksam die Wunder Gottes» im Hier und Jetzt wahrzunehmen (Hiob 37,14).

Pausen des Staunens

Dies bedeutet nicht, dass wir die Fähigkeit des Staunens durch unser Bemühen erzeugen können. Vielmehr wächst kindliches Staunen langsam. Es entwickelt sich in dem Moment, in dem wir unsere Herzen gegenüber Gottes Geschenken öffnen. Die Fähigkeit des Staunens muss also angenommen werden – nicht erarbeitet!

Letzten Sommer legte ich mich auf die Wiese und beobachtete während eines geschäftigen Nachmittags eine halbe Stunde lang Schäfchenwolken. Ich hatte soviel Spass dabei, dass ich meine Frau und Kinder zu mir rief. Auch sie sollten diese wunderbare Schöpfung Gottes in aller Ruhe bestaunen, obwohl ich glaube, dass meine beiden Teenager nicht so begeistert waren. Für mich jedenfalls war es eine «Pause des Staunens».

Ich empfehle jedem, sich öfter solche Pausen zu nehmen, die Gott ohnehin für uns vorgesehen hat, zum Beispiel am Sonntag. Dieser Ruhetag wurde uns unter anderem gegeben, damit wir uns immer wieder der Wunder Gottes bewusst werden.

Alltägliche Extravaganz

Falls es Ihnen an Dingen fehlen sollte, die Sie ins Staunen bringen, denken sie doch nur mal an die Schönheit der Schöpfung: Pfauen, Rehe, Sonnenuntergänge, Berge, Schneeflocken. Keins von diesen Dingen müsste existieren. Gott hätte das Universum auch weniger exotisch erschaffen können. Doch er tat es nicht. Ist das nicht Grund genug, darüber wie ein Kind zu staunen?

Dabei muss man sich nicht nur auf die aussergewöhnlichen Dinge beschränken. Wunder sind oft auch schon in einfachen und kleinen Dingen sichtbar. Der englische Schriftsteller G. K. Chesterton fordert uns dazu auf, es als eine «aufregende Beschäftigung anzusehen, Spannendes in der Langeweile zu entdecken».

So spürte ich letzte Woche ganz bewusst den warmen Atem meines Sohnes, als er neben mir schlief. Und gestern überraschte mich ein Freund mit einer Tasse Cappuccino. Dies sind ganz alltägliche Dinge, aber trotzdem waren sie für mich aussergewöhnlich und unerwartet. Oder machen Sie sich neu die Liebe Gottes bewusst: Trotz unserer Sünden, Mängel und Verletzungen verzehrt sich der Schöpfer des Universums nach Gemeinschaft mit uns. Dies sind nicht irgendwelche abgegriffenen, christlichen Ideale, sondern lebendige Wahrheiten, die unsere Herzen voller Bewunderung höher schlagen lassen sollten.

Wie alles andere im geistlichen Leben braucht aber auch das Staunen Zeit, um sich zu entwickeln. Gleichzeitig werden wir in diesem Wachstumsprozess dankbarer, weil wir Gottes Güte überall entdecken. Und noch mehr Wunderbares passiert: Wir gewinnen an Zuversicht, weil wir Gottes wunderbare Kraft erkennen. Wir wachsen in Demut, weil das Staunen die Perspektive unseres Lebens verändert. Und wir gewinnen an Selbstvertrauen, andere auf Jesus, den Retter, hinzuweisen, der wahrhaftig Wunder tut (Apostelgeschichte 8,13).

Autor: Mathew Woodley, verheiratet, zwei Kinder und ist Pastor.

Entdecken sie die Wunder Ihrer Welt

1. «Kenne ich schon», lautet die gelangweilte Aussage vieler Menschen. Wie heissen die Faktoren in Ihrem Leben, die es Ihnen schwer machen, die Welt mit staunenden Augen zu sehen?

2. Nehmen Sie sich Zeit herauszufinden, wie Gott sich Ihnen tagtäglich offenbart. Suchen Sie sich Orte, an denen sie in Ruhe Gottes Schöpfung geniessen können. Planen Sie mindestens eine halbe Stunde pro Tag ein, um an diesen Orten zur Ruhe und zum Staunen zu kommen.

3. Was hat Sie am meisten erstaunt, als Sie sich Zeit nahmen, Ihre wundervolle Welt zu betrachten? Schreiben Sie Ihre Erlebnisse in einem Tagebuch auf.

4. «Der Herr wohnte an diesem Ort und ich wusste es nicht!» (1. Mose 28,16) In unserer hektischen Welt vergessen wir schnell Gottes Gegenwart auch im Alltag. Zählen sie zehn Punkte auf, anhand derer Sie Gottes wunderbare Gegenwart augenblicklich wahrnehmen.

Datum: 27.02.2011
Autor: Mathew Woodley
Quelle: Neues Leben

Werbung
Livenet Service
Werbung