Gratwanderung

Imame für die Schweiz

Moscheegemeinden in der Schweiz sollen Vorbeter und ReligionslehrerInnen bekommen, die mit den hiesigen Verhältnissen vertraut sind. So verständlich der Wunsch ist, so schwierig scheint es, eine Ausbildung in islamischer Theologie aufzubauen.
Wille zur Integration, Warten auf Initiative: Antonio Loprieno (rechts) und Reinhard Schulze an der Tagung in Bern.

Dies zeigte eine Tagung am 14. März in Bern, an der Vertreter von Bund, Universitäten und Muslim-Gemeinschaften bisherige Dialog-Erfahrungen und Perspektiven darlegten. Worin gründen die Schwierigkeiten? Zum einen gibt es teils ähnliche, aber unterschiedlich motivierte Erwartungen an diese Leiter, in denen sich die Mühe der demokratischen, säkular gestylten Schweiz mit der Vielfalt islamischer Gemeinschaften spiegelt. Imame (Vorbeter und Gemeindeleiter) und islamische ReligionslehrerInnen sollen die Muslime betreuen, lehren und vertreten können. Sie sollen die Landessprache sprechen, integrationsfördernd wirken und Argwohn abbauen.

«Authentischer Islam» gewünscht

Zugleich sollen sie – ein verbreiteter Wunsch in ihrer Gemeinschaft – einen «authentischen» Islam im Schweizer Kontext schaffen helfen. Staat und Mehrheitsgesellschaft hegen die Erwartung, dass fähige Imame junge Muslime eher von islamistischer Radikalisierung abhalten können – in Deutschland steht man vor dem Phänomen der «doppelten kulturellen Entwurzelung», einer gefährlichen Haltlosigkeit von Muslimen der dritten Generation.

Islam – akademisch?

Zum anderen ist da der tiefe Graben zwischen dem aus der Aufklärung stammenden Wissenschaftsverständnis, das Religion insgesamt der Kritik aussetzt, und der islamischen Treue zur Tradition. Es ist verpönt und gefährlich, Mohammeds Anspruch auf die letztgültige Offenbarung zu hinterfragen. Liberale Denker des Islam haben es schwer, manche wurden geächtet. Besonders tief ist der Graben in der Westschweiz, wo Akademiker sogar der etablierten christlichen Theologie den Platz an der Universität streitig machen.

Die Rolle des Bundes

Trotz alledem ist der Wille da, an (Deutsch-)Schweizer Hochschulen neben der Islamwissenschaft auch islamischer Theologie Raum zu geben. Die Tagung zeigte, dass ein Studienangebot für «muslimische Betreuungspersonen» vorerst am ehesten auf Weiterbildungsstufe infrage kommt. Das weitere Vorgehen ist offen. Wie der Staatssekretär für Bildung Mauro Dell’Ambrogio deutlich machte, kann der Bund nicht selbst aktiv werden, weil die Kantone in religiösen und Bildungsfragen das Sagen haben. Er will aber vermittelnd und unterstützend mitwirken.

Wenigstens ein Lehrstuhl

Der Basler Uni-Rektor Antonio Loprieno vertrat die Arbeitsgruppe, welche der Bund 2010 in Absprache mit der Rektorenkonferenz eingesetzt hat. Er hielt fest, der Staat müsse geeignete Ausbildungsgänge entwickeln. Anderseits erwarte man von muslimischen Gemeinschaften, dass sie mit Hochschulen beim Zustandekommen zusammenarbeiteten. Muslime wollten «einen authentischen Islam leben, der ihnen erlaubt, die Herausforderungen in der Schweiz zu meistern».

Religiösen Lehr- und Betreuungspersonen kommt eine wichtige Brückenfunktion zu. Laut Loprieno hat eine Ausbildung sowohl theologische Kompetenzen zu fördern als auch ihre Anwendung zu ermöglichen. Der Gelehrte verwies auf Qualifikationen in Pädagogik, Sozialer Arbeit, Pflege und Betriebswirtschaft, welche Schweizer (Fach-)Hochschulen bereits anbieten. Für die islamisch-theologischen Fächer müssten die Anforderungen erst formuliert werden. Antonio Loprieno hofft, dass eine Universität die Initiative ergreift und «eine Instanz Geld investiert», um wenigstens einen Lehrstuhl für islamische Theologie einzurichten. «Wir müssen warten, bis dieser Tag kommt.»

Freiheit der Forschung

Bernd Engler, Rektor der Uni Tübingen, schilderte die Erfahrungen in Deutschland, wo der konfessionelle Religionsunterricht eine «vornehme staatliche Aufgabe» bleibt. Bisher haben vier Universitäten Lehrstühle eingerichtet. Dabei ging es nicht in erster Linie um Imam-Ausbildung, sondern darum, islamische Studien als akademische Disziplin zu etablieren und ihren Austausch mit anderen Wissenschaften zu sichern. Zur Sicherung der Freiheit von Forschung und Lehre sei der Einfluss der muslimischen Verbände klar zu begrenzen, sagte Engler. Der Aufbau des Studienbereichs werde Generationen dauern.

Grundlagen zuerst

Einblicke in die Spannungsfelder islamischer Theologie im Westen bot in Bern der gebürtige Libanese Mouhanad Khorchide, seit 2010 Professor für islamische Religionspädagogik an der Universität Münster. Um sie akademisch zu etablieren, müsse in einem ersten Schritt eine «theoretisch-theologische Grundlage» gebildet werden. Er konstatierte bei vielen Migranten eine «ausgehöhlte religiöse Identität», eine Schale ohne Kern: den Wunsch, sich als Muslime zu verstehen, bei spärlichem Wissen über den Islam. Laut Khorchide muss die islamische Theologie kontextualisiert werden. Vorbilder dafür gebe es im frühen Islam. «Theologie ist ein Prozess mit Antworten, die immer neu interpretiert werden müssen.» Der Islam-Professor riet, die islamische Tradition nicht zu übergehen: Die Fächer sollten auch hier entsprechend dem traditionellen Fächerkanon konzipiert werden, damit Muslime sich damit identifizieren könnten. Ein einziger Lehrstuhl werde nicht viel ausrichten.

Koransuren auswendig lernen

In der Diskussion äusserte ein Imam, dass die Ausbildung auch hier das Auswendiglernen wichtiger Teile des Korans und der Sunna einschliessen müsse. Gegen Khorchide hielt er fest, die Grundlage und der Kern des Islam dürften nicht kritisiert werden. «Der Weg ist vorgegeben; der Prophet begleitet uns, Gott erwartet uns.» Khorchide antwortete, der Islam solle wie andere Religionen auf akademischem Niveau erforscht und reflektiert werden. Islamische Theologie habe im Westen viel mehr Freiraum als in theokratischen Staaten. Authentisch sei der Islam, «der Vielfalt nicht nur aushält, sondern fördert».

Uni für die Gesellschaft

Der Berner Professor für Islamwissenschaft Reinhard Schulze stellte sich auf den Standpunkt, die Uni sei stärker, wenn sie die sozialen Wirklichkeiten reflektiere. Die Integration islamischer Theologie sei ein Abenteuer; zu zeigen sei, «dass der Islam nicht ausserhalb der Wissenswelten der Schweiz steht, sondern innerhalb». Die Frage, wie die schweizerische Ausbildung von massgebenden Schulen im islamischen Raum anerkannt werden könnte, ohne unter ihren Einfluss zu geraten, blieb in Bern ohne Antwort. Unliebsame Erfahrungen mit Sponsoren vom Golf und der Arabischen Halbinsel will man an Rhein und Rhone vermeiden.

Datum: 19.03.2013
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet

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