Die Zeit scheint stehen geblieben im 400 Jahre alten Handwerkerhaus mitten in der Altstadt von Diessenhofen. Das kleine, ebenerdige Atelier unweit des Rheins erinnert an Stradivari, Guarneri und andere grosse Geigenbauer. Auf der Werkbank mit Blick auf die Hintergasse liegen Holzteile, Werkzeuge, Leime, Lacke und Pläne des Meisters. Sie verbreiten einen angenehmen Duft. Und mitten über der Werkbank hängt sie: die in den USA ausgezeichnete Meistergeige. Martin Kuhns jüngstes Werk. Normalerweise braucht er 200 Stunden, um eine Geige zu bauen. Dazu gehört alles, von der Holzwahl bis zur Lackpolitur. Hier waren es 50 Stunden mehr. «Ich gab ihr zusätzliche Imitationen», erklärt der 51-jährige Instrumentenbauer. «Da bei Musikern auch das Auge mitspielt, sollte diese Geige so aussehen, als wäre sie schon 50 oder 60 Jahre alt.» Für die Geigendecke wählte er wie immer Fichtenholz, für die restlichen Teile einen speziell geflammten Ahorn. Das kleine Instrument scheint förmlich zu leben. Mit dem instrumentalen Kleinod reiste Martin Kuhn Anfang November wie 200 andere Geigenbauer aus aller Welt zum «Violin Society of Amerika» nach Portland. Eine hochrangige Jury bewertete dort Bau und Klang der Instrumente. Da die Geigen anonym eingereicht wurden, musste auch das «Soli DEO Gloria» auf Kuhns Instrument abgedeckt werden. Das änderte nichts am Ergebnis: Der Thurgauer Meister holte sich ein «Certificate of Merit for tone», die höchste Auszeichnung des Klanges für eine Geige. «Für einen Geigenbauer ist das fast wie ein Wimbledon-Sieg im Tennis», umschreibt Kuhn seine Gefühle. Gross ist seine Dankbarkeit: «Gott ist es, der mir die Fähigkeit verleiht, so kreativ zu sein. Darum schreibe ich das ‚Soli DEO Gloria’ aus voller Überzeugung als Bekenntnis auf meine Instrumente. Ich will ihm die Ehre geben. Wir sind uns viel zu wenig bewusst, dass selbst jedes Vogelkonzert ein genialer Ausdruck der Kreativität Gottes ist.» Kuhn wünschte sich in allen Bereichen des Lebens mehr von dieser Kreativität: «Wir brauchen nicht einfach Künstler, die Unsinn produzieren, sondern Menschen, die aus der Kreativität Gottes leben und über das Pflichtenheft hinaussehen.» Martin Kuhn hat für seine Geigen schon manche Ehrenmeldung bekommen. Dass in den USA gerade die Klangwertung als Königsdisziplin derart positiv ausfiel, erfüllt ihn mit Genugtuung. Leise hofft er natürlich, dass sich dieser Erfolg herumspricht. Auch ein Geigenbauer braucht Imagewerbung. Ein hartes Handwerk. Von den gegen 200 Geigenbauern in unserm Land ist kaum einer auf Rosen gebettet. Das stille Diessenhofen mit seinen 3300 Einwohnern ist angesichts der Konkurrenz in Winterthur oder Konstanz ein ungünstiger Standort. Zudem hält eine Qualitätsgeige «schampar lang», wie Kuhn vorrechnet. Stradivari lebte von 1644 bis 1738, und seine Geigen werden noch immer gespielt. Kuhns ältestes Instrument aus der Lehrzeit ist 32 Jahre alt und noch immer im Einsatz. Der Geigenbauer denkt auch an die aufziehende Rezession: «Die Leute sitzen mehr auf ihrem Geldsäckel, und das spürt man gerade, wenns um ‚Luxusartikel’ wie eine Geige geht.» Freilich sind Meistergeigen auch nicht ganz billig. «Für meine Wettbewerbsgeige möchte ich schon 20‘000 Franken bekommen», sagt der Meister. Neben Geigen baut er Bratschen, Cellos und auf Bestellung auch Gamben. Dankbare Zusatzeinkommen bieten ihm Reparaturen, Vermietungen und Kleinhandel mit Schülerinstrumenten. Am Anfang stand ein musikalisches Elternhaus. Der Vater war Sekundarlehrer, Chorleiter und Pianist. Er verstand es, die Freude an der Musik auf seine drei Kinder zu übertragen. Martin spielte früh Geige und verspürte eine starke Neigung zum Handwerk. Während der vierjährigen Lehre an der Geigenbauschule Brienz lernte er Michèle kennen. Bald spielte sie den Part der engagierten Familienfrau. Inzwischen sind die drei Töchter Sarah, Rachel und Lena «glücklich unter der Haube», wie der Papa strahlend erzählt. Nur Sohn Josha, gut 15, Automatikerlehrling, wohnt noch an der Hintergasse. Martin Kuhn ist ein disziplinierter Handwerker, sechs Tage in der Woche. Als Mitglied der EVP und Präsident der örtlichen Gemeinnützigen Gesellschaft stellt er sich auch in den Dienst der Öffentlichkeit. Von einem Herzinfarkt vor einem Jahr - «genetisch bedingt» - hat er sich gut erholt. Erholung vom Berufsalltag findet er immer wieder beim Musizieren. Zusammen mit Tochter Lena spielt er im Steiner Orchester mit. Öfters hört man ihn an Konzerten in gottesdienstlichem Rahmen. Er freut sich, dass die Geige in der modernen Musik, der Volksmusik und auch in der christlichen Gemeinde wieder vermehrt zum Zug kommt. «Ich finde die Geige ein geniales Instrument», bekräftigt Kuhn. «Es braucht relativ wenig Unterhalt, kann überall mitgenommen werden und eignet sich auch als eine gewisse Kapitalanlage.» Kann er sich vorstellen, dass im Himmel einmal leidenschaftlich Geige gespielt wird? Der Meister zweifelt keinen Moment: «Absolut!»
Datum: 11.12.2008Wie ein Wimbledon-Sieg
Hartes Handwerk
Musikalische Familie
Geniales Instrument
Autor: Andrea Vonlanthen
Quelle: ideaSpektrum Schweiz
«Soli DEO Gloria» heisst es auf jedem Instrument, das Martin Kuhn in seinem Atelier herstellt. Jetzt hat der Thurgauer Geigenbaumeister besonders Grund, Gott zu loben. Er erhielt am internationalen Geigenbau-Wettbewerb der USA in Portland/Oregon die höchste Auszeichnung.