Heuchler

Die unbewusste Verstellung von Menschen mit überlieferter Frömmigkeit nennt Jesus auch Heuchelei

Das griechische Wort hypokrités bedeutet eigentlich Schauspieler. Ein Heuchler ist einer, der eine Rolle spielt, einer, der etwas vorzustellen sucht, was er im Grunde nicht ist.

Die Worte Jesu über die Heuchler (besonders in den Kapiteln Matth. 6 und 23) lassen deutlich erkennen, dass er unter Heuchelei nicht nur das vorsätzliche bewusste Sichverstellen einzelner Menschen verstanden hat. Als Heuchelei bezeichnet Jesus auch die fast oder ganz unbewusste Verstellung der Menschen, die durch ihre Erziehung, ihre Bildung, ihre überkommene Frömmigkeit dahin gekommen sind, dass sie sich nach aussen anders geben, als sie tatsächlich sind.

Eigentlich beziehen sich alle Worte Jesu gegen die Heuchelei auf Menschen, die durch die Überlieferung einen Stempel aufgedrückt bekommen haben, der ihrem Wesen nicht entspricht. Sie merken es selbst nicht, denn die Gewöhnung hat ihr Feingefühl für das Echte und Unechte abgestumpft. Gerade deswegen wendet sich Jesu mit so scharfen Worten gegen ihre Art.

Der Heuchler betet, gibt Almosen, fastet, um bei anderen oder bei sich selbst den Schein zu erwecken, dass er mit Gott Berührung hat, ein Herz hat für die Not des Bruders, Entsagung übt um Gottes willen.

Kennzeichnend für den Heuchler ist das vermessene Urteil über andere

Ein Kennzeichen der Heuchelei ist das Splitterrichten; indem man mit aller Schärfe den anderen verurteilt, tut man so, als ob man selbst rein wäre (Matth. 7,5). Jesus bringt es auch an den Tag, wie oft ein Stand vor dem andern, ein Volk gegenüber dem andern heuchelt.

Die Juden spielen sich so auf, als ob sie in jeder Beziehung höher stehen als die Samariter und Heiden, und doch werden sie von Samaritern (Luk. 10,30-37), Römern (Matth. 8,10) und Phöniziern (Matth. 15,28) an Barmherzigkeit und Glauben oft weit übertroffen.

Das kirchliche Tun der Heuchler ist ein grosses Tun-als-ob

Das Werk der Mission wird zu einem grossen Tun-als-ob, wenn dabei die Nebenabsicht (oder Hauptabsicht?) vorliegt, Proselyten zu machen, das heisst, für die eigene Partei, Konfession, Gesellschaft oder den eigenen Verein Anhänger zu werben (Matth. 23,15).

Gerade ernstlich religiöse Menschen haben oft das ihnen selbst unbewusste Bestreben, durch frommes Tun und korrekte Formen sich selbst und andere zu täuschen über das, was an unreinen Trieben und hässlichen Instinkten in ihnen lebt. Sie gleichen darin den übertünchten Gräbern (Matth. 23,27. 28).

Wer aus der Wahrheit ist, wer also wirkliche Gemeinschaft mit Gott hat, meint nicht, seine Sünden gutmachen zu müssen durch ein Wüten gegen sich selbst. Verurteilt ihn einmal sein eigenes Herz, so betritt er den einzigen Weg, der hier in Frage kommt: Er trägt seine Schuld unmittelbar vor den Thron des grossen Gottes und hat die Freudigkeit, dass ihm vergeben wird.

Selbstquälerei, ständiges Sichsteigern in Schuldgefühle ist bezeichnend für den Heuchler (1. Joh. 3,19-21). Die Heuchelei besteht hier darin, dass der Mensch im allgemeinen wohl an die göttliche Erlösung glaubt, im einzelnen aber meint, sich durch seine Bussübungen vom Bösen lösen zu müssen.

Datum: 10.12.2009
Autor: Ralf Luther
Quelle: Neutestamentliches Wörterbuch

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