Evangelisation

«Missionswerke gehen kein unnötiges Risiko ein»

Die tragische Verschleppung einer Schweizer Missionarin in Mali zog einen Pressewirbel nach sich. Die Vorwürfe, evangelikale Christen würden aus Geltungsbedürfnis die Gefahr suchen und damit Entführungen provozieren, haben mit der Realität allerdings wenig zu tun. Missionsleiter erklären ihre Vorsichtsmassnahmen.
In islamischen Ländern sind christliche Missionare besonders gefährdet.

Die öffentliche Diskussion hatte gerade begonnen. Doch bevor es richtig losgehen konnte, glätteten sich die Wogen auch schon wieder. «20 Minuten Online» hatte am Montag vergangener Woche über die entführte Schweizerin in Mali berichtet. Die Frau war am Sonntag zuvor von sechs bewaffneten Männern in der Oasenstadt Timbuktu unter lauten «Allahu akbar»-Rufen (Gott ist gross) entführt worden. Nach neuesten Berichten ist sie nun in die Hände einer weiteren Gruppe gefallen, die offenbar zu einer Freilassung bereit sei. Nachdem der Fall publik geworden war, versuchte der «Tages-Anzeiger» die Hintergründe der Missionarin zu beleuchten. Unter dem Titel «Evangelikale werden für riskante Missionseinsätze belohnt», konnte man lesen, dass gefährliche Missionseinsätze ein «hohes Ansehen in freikirchlichem Umfeld» einbringen würden. Entführungen würden durch die Arbeit von evangelikalen Missionsgesellschaften wie «Operation Mobilisation» (OM) geradezu «provoziert». Der reformierte Theologe und Sektenexperte Georg Samuel Schmid stelle unter jungen Evangelikalen eine «zunehmende Risikobereitschaft» fest. Es gehe ihnen um «Credits für ein Leben im Jenseits» und das «Wiederkommen Jesu».

Vor Wochen evakuiert

Aufgrund dieser Vorwürfe plante das Schweizer Fernsehen, das Thema in der «Rundschau» aufzugreifen. Unter anderem sollte Franziska Moser von der Bibelübersetzungs-Gesellschaft «Wycliffe» eingeladen werden. Doch der Plan wurde fallengelassen. Vermutlich, weil die Redaktion einsah, dass sich der aktuelle Fall denkbar schlecht für diese Diskussion eignet. Nach aktuellem Kenntnisstand war die Frau auf eigene Faust in Mali aktiv. Offenbar gehörte sie nicht einer Missionsgesellschaft an, sonst wäre sie wohl nicht mehr vor Ort gewesen. Wycliffe hat bereits vor etwa vier Wochen seine Mitarbeiter aus Mali abgezogen - als nämlich klar wurde, dass die Lage brenzlig wird. Das zeigt aber, dass pauschale Schuldzuweisungen fehl am Platz sind.

Regelmässige Empfehlungen

Wie gehen evangelikale Missionen mit den Risiken in gefährdeten Regionen um? Niklaus Meier, Geschäftsleiter der Arbeitsgemeinschaft Evangelischer Missionen (AEM), gibt zunächst zu bedenken, dass die Mitarbeiter grundsätzlich auf Einladung vor Ort sind. «Das Gastland muss der Person ja ein Visum ausstellen.» Niemand halte sich verbotenerweise in den Gastländern auf. Meier ist überzeugt: «In ein ausdrückliches Gefahrengebiet würde man niemanden hinschicken. Das würde niemand verantworten.» Auch eine zunehmende Risikobereitschaft unter jungen Menschen kann er nicht bestätigen.

Walter Diem, Direktor der Missionsgesellschaft «Serving in Mission» (SIM), erklärt: «Bei uns stehen die Leitungspersonen im Einsatzland mit Regierungsstellen, Partnern und Vertrauenspersonen im Einsatzland in regem Austausch. Zudem sind alle Mitarbeitenden bei ihren jeweiligen Botschaften angemeldet. Diese geben unseren Leitungspersonen regelmäs­sige Empfehlungen. Jedes Jahr muss die Situation neu beurteilt werden. Der Notfall- und Evakuierungsplan werden angepasst und der internationalen Leitung vorgelegt.»

Motivation geprüft

Auf die Frage, ob die Risikobereitschaft bei den Missionen zugenommen habe, antwortete er: «Nein, im Gegenteil. Ausländische Mitarbeitende werden von der lokalen Bevölkerung vermehrt geschätzt. Das Umfeld allerdings wird gefährlicher. Die letzten, von westlichen Mächten gestützten Kriege haben in vielen Kreisen zu erhöhter Gewaltbereitschaft geführt.» Im Artikel des «Tages-Anzeigers» wurde auch Markus Flückiger, Leiter von OM Schweiz, zitiert. OM ist zwar nicht in Mali, dafür aber unter anderem im Jemen aktiv, wo es auch schon Entführungsfälle gegeben hat. Flückiger kann nicht bestätigen, dass es besonders «trendy» sei, sich auf Missionseinsätzen in Gefahr zu begeben. «Wir senden jährlich 20 bis 30 Leute auf Lang- und 50 bis 100 auf Kurzzeiteinsätze aus. Im Vorfeld führen wir mit jedem Teilnehmer persönliche Gespräche. Die wenigsten wollen in Extremländer. Und wenn doch, prüfen wir ihre Motivation erst recht. Wer sich Punkte im Himmel sichern will, hat auf jeden Fall keine Chance.»

Ganzheitlicher Auftrag

Die Bewerber würden meist kein bestimmtes Land nennen. Es gehe ihnen eher darum, ihre Gaben optimal einsetzen zu können oder eine gewisse Sprache zu lernen. Für politisch heikle Gebiete gebe es Notfallszenarien. Ab einem bestimmten Gefährdungspotenzial würden die Leute zurückgerufen. «Wir sind eng verbunden und in ständigem Austausch mit den ausländischen Botschaften und christlichen, wie auch säkularen Organisationen, die im Land arbeiten.» «Missionieren» sei eben ein Reizwort, das in der Öffentlichkeit nicht gut aufgenommen werde, so Flückiger. Bei OM wird der Begriff darum auch intern kaum noch verwendet. Die Mitarbeiter seien in unterschiedlichen Bereichen engagiert, was auch praktische Hilfsleistungen und Lehrtätigkeit umfasse. «Nur reden und nicht handeln» gelte schon lange nicht mehr. OM habe einen ganzheitlichen Auftrag. Und so verstehen auch viele Freikirchen ihr Engagement.

Diesen Artikel hat uns «Idea Spektrum Schweiz» zur Verfügung gestellt.

Lesen Sie auch:
Missionarin frei - Beatrice S. ist in Sicherheit

Datum: 30.04.2012
Autor: Christof Bauernfeind
Quelle: ideaSpektrum Schweiz

Verwandte News
Werbung
Werbung
Livenet Service