Im Vorhof der Hölle

Christen in Aleppo: Aushalten und zusammenstehen

Mitten im Krieg um Aleppo harren noch 40'000 Christen aus. Ihr Viertel wird gezielt beschossen, dennoch feiern sie gemeinsam Gottesdienst und teilen die knappen Güter miteinander – auch mit muslimischen Nachbarn.
Ruinen in Aleppo
Jean-Clément Jeanbart

«Die Lage ist katastrophal, wie ein Vorgeschmack der Hölle». Bischof Jean-Clement Jeanbart stehen bei seinem Besuch in Wien die Sorgen um die christlichen Glaubensgeschwister ins bleiche Gesicht geschrieben. Jeanbart ist trotz seines französischen Namens ein echter Aleppiner und kommt aus den Reihen der Melkiten. Das sind die Christen, die dem oströmischen Kaiser (melik) und seiner Reichskirche im Altertum die Treue hielten. Sie haben später die arabische Sprache, aber nicht den Islam angenommen. 1995 wurde Jeanbart zu ihrem Oberhirten, dem Metropoliten in Aleppo, berufen.

Bischof vermutet gezielte Beschiessung des Christenviertels

1999 ernannte ihn der melkitische Patriarch von Antiochia Jeanbart auch zum Visitator für die europäische Diaspora. Niemand konnte damals ahnen, dass einmal der syrische Bürgerkrieg Hunderttausende Melkiten und andere Christen aus der Heimat vertreiben und auf überfüllten Booten und in Flüchtlingskolonnen Richtung Europa spülen sollte. «In Aleppo leben inzwischen von den früher 160'000 Christen weniger als 40'000, da viele in den letzten Jahren geflohen sind», berichtet der Metropolit. Er vermutet: «Die Islamisten-Rebellen beschiessen ganz gezielt die christlichen Stadtviertel, obwohl fast alle fernab der umkämpften Gebiete liegen – nur weil sie uns vertreiben wollen.» Alle gut ausgebildeten Christen hätten Aleppo verlassen, sagt Jeanbart. «Geblieben sind mehrheitlich ältere Leute, häufig behinderte.»

Verletzt in einem der letzten Spitäler

Der Metropolit ist der letzte in Aleppo verbliebene Bischof. Seine orthodoxen Amtsbrüder Paulus Yazigi und Gregorios Johanna Ibrahim wurden schon am 22. April 2013 entführt. Seither fehlt von ihnen jede Spur.

«Letzte Woche wurde auch der syrisch-orthodoxe Generalvikar überfallen und angeschossen», so Jeanbart. Er liegt im Spital St. Louis. «Es ist eines der letzten noch funktionsfähigen von den ursprünglich 134 Spitälern Aleppos. Bei den Angriffen werden oft sogar Verwundete am Operationstisch getötet.»

Die Not reisst Konfessionsgrenzen nieder

In der Stadt sind die Lebensmittel knapp, Medikamente noch knapper. Nur einmal am Tag gibt es für eine Stunde Strom, nur alle 48 Stunden kommt Wasser aus der Leitung. «Am ärmsten sind die Witwen dran, die mit meist vielen Kindern ohne Ernährer da stehen», so der Bischof. Doch Todesangst und Not schweissen Aleppos letzte Christen über die Konfessionsgrenzen hinweg im Glauben und bei gemeinsamen Hilfsmassnahmen zusammen. «Vor 2011 lebten wir nebeneinander her, agierten allzu oft gegeneinander», erinnert sich Jeanbart. Heute feiern die evangelischen, orthodoxen und katholischen Christen gemeinsame Gottesdienste. «Besonders die armenisch-evangelische Gemeinde hilft allen Christen, selbst Muslimen. Es gibt viele Menschen in Aleppo, deren Überleben allein davon abhängt.»

«Der Tod hat nicht das letzte Wort»

Dank dieser christlichen Glaubenskraft und Geschwisterlichkeit zeigt sich Metropolit Jeanbart zuversichtlich: «Jeden Tag werden wir angegriffen, ausgebombt und mit Raketen beschossen, jeden Tag werden Menschen verletzt und sterben. Aber wir haben die Gewissheit, dass der Tod nicht das letzte Wort hat, sondern dass die Auferstehung siegt.»

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Datum: 17.11.2016
Autor: Fritz Imhof
Quelle: Livenet

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