Zwischen Armbanduhr und Ewigkeit
(Verschiebung unlustbetonter Aktivitäten) ist die Neigung, Dinge zu verschieben, die unangenehm sind: einen Besuch beim Zahnarzt, die Beantwortung eines aggressiven Briefes, die Vorbereitung auf eine wenig interessante Sitzung, Prüfung oder eine peinliche Begegnung.
BELBA (Bevorzugte Erledigung lustbetonter Aktivitäten) ist die menschliche Schwäche, Dinge, die besonderen Spass machen, zu einem falschen, nämlich verfrühten Zeitpunkt zu tun. Nicht nur Sexualpsychologen können dafür Beispiele nennen. Schon Kinder wollen mitunter die Torte schon vor dem Geburtstag essen oder schon vor den Schularbeiten Fussball spielen. Durch VULBA und BELBA ist in manchem Leben ein ruinöses Zeitchaos entstanden, so dass wichtige Ziele in Studium, Beruf und Familie nicht mehr erreicht werden konnten.
Die Lösung ist nicht allein durch asketische Selbstdisziplin zu finden. Vielmehr brauchen wir eine klare Antwort auf die Frage nach dem Sinn unseres Lebens. Nur wer den Sinn seines Lebens als Ganzes gefunden hat und mit allen Fasern seines Seins bejaht, der kann seine Prioritäten richtig setzen: die langfristigen, die mittelfristigen, schliesslich auch die für kürzere Zeitabschnitte wie ein Jahr, einen Monat, einen Tag. Jede Einzelentscheidung für eine kürzere Zeitspanne lässt sich dann danach treffen, ob sie im Einklang steht mit den bereits formulierten Prioritäten für den nächst grösseren Zeitraum und letztlich mit denen für das Leben als Ganzes.
Die geistliche Seite
So führt der praktische Umgang mit der Zeit zu der Erkenntnis, dass sie eine höhere, geistliche Dimension hat. Denn was der Sinn unseres Lebens ist, lässt sich nicht immanent beantworten. Hilfreich und tragfähig ist nur eine Antwort, die noch in der Stunde unseres Todes hält, vor allem aber in der Stunde danach. Anders gesagt: Die Frage nach dem richtigen Umgang mit der Armbanduhr führt letztlich auf die Frage nach der Ewigkeit. Die Absicht, unsere Lebenszeit sinnvoll zu gestalten, bringt uns auf die Frage nach Gott, dem wir unsere Existenz verdanken.
Gott aber ist kein nebulöser kosmischer Geist: Er ist der Schöpfer des Weltalls einschliesslich der Zeit. Er ist vor allem der Schöpfer des Menschen, dem er etwas von seinem eigenen Wesen mitgegeben hat und den er zur persönlichen Partnerschaft mit sich selbst berufen hat. Den Zugang zu Gott können wir jedoch nur auf dem Weg finden, den Jesus Christus uns eröffnet hat. Wenn ein Mensch sein Leben mit Gott ins Reine bringt, wenn er die Vergebung seiner Schuld annimmt, wie sie aufgrund des Todes von Jesus Christus möglich ist, dann entsteht bei diesem Menschen ein neues Leben. Dazu gehören neue Prioritäten, bei denen die Belange Gottes an erster Stelle stehen, und damit ein neues Verhältnis zur Zeit. Die kleinen, mittleren und grossen Dinge unseres Lebens erhalten ihren jeweiligen Stellenwert aus der Perspektive der Ewigkeit Gottes.
Der Tod ist dann kein Fallen in das Nichts – hier irrte Heidegger – sondern der Grosse Umzug aus der Zeit in die Ewigkeit Gottes. Dazu folgende Schilderung:
Dummke lag im Krankenhaus. Und da er spürte, dass seine Zeit – jedenfalls die irdische – sich ihrem Ende näherte, suchte er sie immer noch festzuhalten. Mit der Hand umklammerte er seine Uhr und schaute in kurzen Abständen auf die Minuten- und Sekundenanzeige... Es war 4:08:30, also vier Uhr, acht Minuten und dreissig Sekunden in der üblichen Sprechweise... Da sah er an der weissen Zimmerwand einen Film ablaufen, den Film seines Lebens. Um 4:09:00 war er als Baby bei den Grosseltern, den Teddybär auf dem Arm... Als es 4:09:20 war, sah er sich als Schüler in der Turnhalle vom Hochreck fallen und spürte wie damals Schmerzen in der linken Brustgegend... Um 4:10:15 stand er mit Erna vor dem Traualtar und antwortete laut mit ja, was seinen Bettnachbarn für ein paar Augenblicke aus dem Schlaf weckte...
Dummke war in Tränen wegen allem, was er in den letzten Jahrzehnten an ewigem Leben versäumt hatte. Um 4:11:00 sah er, wie er damals ein neues Leben mit Gott begann. Wie er jeden Tag begeistert in der Bibel las und sich jeden Sonntag während der Predigt Notizen machte, wenn sie gut war. Wie er mit gleich gesinnten Freunden im fröhlichen Einsatz für die Sache Gottes war... Um 4:11:15 sah er sich in seinen besten Jahren. Er wurde Abteilungsleiter, und alle stiessen mit Sekt an. Aber bald nahm er sich für das ewige Leben kaum noch Zeit...
Um 4:11:25 lebte Dummke bereits im Ruhestand, und obwohl er eigentlich jetzt mehr Zeit hatte, vergeudete er sie mit lauter unnützen Kleinigkeiten, ohne das Reich Gottes an die erste Stelle zu setzen und sich auf den Grossen Umzug vorzubereiten... Und um 4:11:30 sagte er zu Jesus Christus: «Vergib mir bitte, dass mir die irdische Zeit so wichtig war und ich die Ewigkeit immer mehr aus dem Blick verloren habe...»
Plötzlich wurde es heller. Aus der Richtung der Uhr im Gang schien ein angenehmes Licht von einer Art, die Dummke noch nicht kannte... Indem er sich ganz auf dieses Licht konzentrierte, kam er ihm immer näher. Als er schon an der Decke war, konnte er wahrnehmen, wie dort unten auf dem Bett sein Körper lag – mit noch offenen, jetzt irgendwie lächelnden Augen... Auf einmal war ihm klar, dass dieser Übergang ja nicht im bisherigen Raum mit seinen drei Dimensionen geschah. Stattdessen bewegte er sich bereits in der Richtung einer vierten, bisher für ihn unsichtbaren Dimension...
Dummke verstand, dass die Gesundung seines früher so kranken Zeit-Bewusstseins jetzt in der Rückkehr zu Gott und seinem Mass für Zeit und Ewigkeit liegen konnte. Und ihn erfüllte eine unendliche Freude darüber, dass er nun den biologischen, konfliktbehafteten Teil des Lebens und den Grossen Umzug von der begrenzten Zeit in die unbegrenzte, herrliche Ewigkeit Gottes hinter sich hatte.
Teile des Artikels sind dem Buch des Verfassers «Auf der Suche nach der Zeit», entnommen, Link: www.shop.livenet.ch/index.html?nr=392638&k=2&f=0
Bodo Volkmann, D-Möglingen, ab 1946 Studium in Göttingen (Mathematik, Physik und Philosophie) seit 1964 Professor an der Universität Stuttgart, 1994 emeritiert wissenschaftliche Auslandsaufenthalte in USA und Frankreich Vortragsreisen in vielen Ländern; seit 1969 auch häufige Vorträge bei der IVCG seit 1956 verheiratet mit Waltraut Volkmann, geb. Rohrbach vier Töchter, sieben Enkelkinder
Autor: Bodo Volkmann
Datum: 09.06.2005
Quelle: Reflexionen