Herzchirurg Thierry Carrel

«Ein immer höheres Alter der Menschheit ist nicht Ziel der Medizin»

«Während früher weniger machbar als wünschbar war, ist heute mehr machbar als wünschbar», empfindet Thierry Carrel. In Aarau erklärte der prominente Herzchirurg, wie er mit diesem Konflikt umgeht.
Herzchirurg Thierry Carrel
Thierry Carrel in Aarau

Thierry Carrel sprach im Aarauer Kongresszentrum aus Anlass der Zertifizierung von Personen, die eine Ausbildung in Palliative Care durchlaufen haben. Der Direktor der Uni-Klinik an der Universität Bern betonte die grossen Fortschritte der Herzchirurgie in den letzten 30 Jahren. Er erklärte, dass heute sogar Herzoperationen an Frühgeborenen durchgeführt und, zum Beispiel, eine fehlende Herzkammer eingesetzt werden könne. Zudem stehen künstliche Herzen heute in Miniaturgrösse zur Verfügung. Auch komplizierte Operationen an alten Menschen seien möglich. Aber oft stelle sich die Frage, wieviel diese kosten dürfen und welchen Sinn sie noch machen.

Ewiges Leben kein medizinisches Ziel

Thierry Carrel betonte, dass es nicht das Ziel der Medizin sei, ein immer höheres Alter der Menschheit zu ermöglichen. Es gehe viel mehr darum, Leiden zu lindern und die Lebensqualität zu verbessern für Menschen, die noch eine längere Lebensphase vor sich haben. In den verbesserten Möglichkeiten lägen aber auch Risiken. Gerade die Rettung von Frühgeborenen bringe das Risiko eines Hirnschadens mit sich.

Der Arzt sieht sich den Wünschen von Patienten gegenüber, die über die Möglichkeiten der Medizin informiert sind. Heute würden auch über 80-jährigen Menschen künstliche Herzklapppen eingepflanzt, sogenante Stents. Doch ein solcher Eingriff sei mit Kosten von 60'000 bis 80'000 Franken verbunden. Carrel zitierte aus der Dissertation seines Studienkollegen und späteren Kardinals Christoph Schönborn: «Das Sterben gehört zum Menschen – und somit auch zur Medizin.»

Streitgespräche im Kloster

Thierry Carrel erzählte dazu, er ziehe sich jedes Jahr in ein Kloster zurück und führe dort mit Mönchen, die in Theologie, Philosophie und andern Geisteswissenschaften ausgebildet sind, Streitgespräche über Leben und Tod, Sinn und Ziel des Lebens und den Grenzen der Medizin.

Daraus hat er ethische Grundsätze für seine Arbeit abgeleitet. Erstens die Sorgfaltspflicht: Die Medizin darf dem Menschen nicht schaden. Zweitens Fürsorge und Hilfeleistung: Die Medizin will dem Menschen Gutes tun. Drittens Respekt bzw. die Achtung der Autonomie des Patienten. Und schliesslich die Gerechtigkeit bei der Zuteilung und Verteilung der medizinischen Leistungen.

Zeit zur Reflektion

Carrel ist überzeugt, in der Praxis müsste der Mediziner mehr Zeit haben, um im konkreten Fall über sein Handeln zu reflektieren. Zum Beispiel: Sollen wir machen, was wir können, was wir müssen, sollen, dürfen oder wollen? Zu diesem Zweck hat er weitere Kriterien erarbeitet, die der Entscheidungsfindung dienen sollen. Carrel sagte denn auch deutlich: «Ich habe keine Bedenken, eine Behandlung auch nicht zu empfehlen.» Wenn er zum Schluss kommt, dass sie keinen Sinn macht.

Palliativmedizin weiter entwickeln

Carrel ist daher auch ein überzeugter Förderer der palliativen Medizin. Er setzt sich dafür ein, dass sie entschieden gefördert und weiter entwickelt wird. Er richtet seinen Blick auch auf Länder und Menschen, die noch wenig vom medizinischen Fortschritt profitieren und wo das Machbare noch weit hinter dem Wünschbaren zurückstehe. Dort setzt er sich tatkräftig  beispielsweise für herzkranke Kinder ein und hat zu diesem Zweck auch eine Stiftung gegründet.

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Datum: 27.11.2018
Autor: Fritz Imhof
Quelle: Livenet

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