Vergeben lässt sich trainieren
Zunächst einmal ist es gut, sich klar zu machen, was passiert ist. Was hat der andere getan oder unterlassen? Was daran hat mich enttäuscht oder verletzt und warum? Es ist richtig, der Verletzung und dem Ärger zunächst einmal Raum zu geben und nicht sofort die «Decke der Vergebung» darüber zu legen.
Eine Entscheidung ist gefragt
Und dann? Tatsächlich gilt: Vergeben kann, wer vergeben will. Vergeben ist eine Entscheidung, ein Akt des Willens. Vergebung beginnt also meistens nicht mit einem Gefühl oder einem tiefen inneren Bedürfnis. Vielleicht ist das Vergeben zu Anfang sogar ein rein verstandesmässiges Vorgehen, während es im Inneren weiter rumort, wehtut und man dem anderen eine Strafe wünscht.
Schuldvorwurf, der wie an einem klebt
Das kann auch noch eine Weile so weitergehen. Der innere Vorwurf gegen den anderen scheint an einem zu kleben. Manchmal reicht die Begegnung mit dem Menschen oder auch nur ein flüchtiger Gedanke an ihn und schon sind Groll und Schuldvorwurf wieder da.
Was also tun? Nun, immer wieder vergeben und immer wieder loslassen. Es kann durchaus ein langsames und auch anstrengendes Hineinwachsen in die Vergebung sein. Von jetzt auf gleich ist das meist nicht zu schaffen, wenn die Verletzung tief sitzt.
Vergeben lässt sich trainieren
Aber jeder, der diese Entscheidung immer wieder trifft, wächst in seiner Entschiedenheit und in eine Haltung der Vergebung. Das hat etwas von Training. Irgendwann kommen das Innere und die Gefühle nach. Und auf lange Sicht gewinnt der, der vergibt, eine neue Freiheit in seinem Denken und Tun.
In diesem Text nehmen wir nur die innere Situation desjenigen in den Blick, der vergibt. Natürlich kann es auch sehr sinnvoll sein, das Gespräch mit dem anderen zu suchen, aber das ist hier nicht das Thema.
Denn um zu vergeben, braucht es – das mag manchen wundern – nicht die Reue des Täters. Wenn es dazu kommt, macht es das Vergeben leichter, aber eine Bedingung ist es nicht. Damit wird auch deutlich, dass vergeben etwas ist, das zunächst einmal den Betroffenen, man könnte auch sagen das «Opfer», betrifft, ganz unabhängig davon, ob sich der Täter einsichtig zeigt, vielleicht um Vergebung bittet oder sogar Wiedergutmachung anbietet.
Aufhören mit Vorwürfen und Loslassen
Ein entscheidender Aspekt beim Vergeben ist, dass derjenige, der vergibt, den anderen loslässt. Er hört auf, den anderen zu beschuldigen oder ihm eine Strafe zu wünschen. Denn wenn der, der sich geschädigt fühlt, nicht loslässt, ist er wie an den anderen gefesselt, er kommt nicht mehr von ihm los. Das zeigt sich daran, dass der Ärger und die innere Unruhe bleiben. Damit soll nicht gesagt werden, dass diese Vorwürfe keine Berechtigung haben. Aber es geht bei der Vergebung nicht darum, wer im Recht ist.
Wie oft vergeben?
Ein Mitarbeiter von Jesus, Petrus, fragte ihn, wie oft er einem anderen vergeben soll. Er schlug Jesus seinem Meister «siebenmal» vor. Die Zahl war gut überlegt, denn sie steht im Judentum für die Vollkommenheit. Jesus übertrifft diesen guten Vorschlag von Petrus, der offensichtlich ahnte, dass es mit dem Vergeben kein Ende hat, und antwortet ihm: «Nein, nicht siebenmal, sondern siebzigmal siebenmal!» (Die Bibel, Matthäus-Evangelium, Kapitel 18, Vers 22). Jesus toppt damit den Vorschlag von Petrus.
Als er mit Petrus spricht, sagt er nichts darüber, wie gut es für denjenigen ist, der vergibt. Er erzählt ihm eine Geschichte, um ihm Folgendes klar zu machen: Es ist geradezu absurd, einem anderen nicht zu vergeben, angesichts der Tatsache, dass Gott jedem Menschen vergibt, der zu ihm kommt.
Sie können das ausprobieren: Sagen Sie Jesus die Schuld, die Sie schon lange drückt und belastet. Sie können dabei eine unglaublich schöne und befreiende Erfahrung machen! Denn Jesus hat noch nie jemanden zurückgewiesen. Er vergibt jedem, der ihn darum bittet!
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Datum: 21.06.2020
Autor: Norbert Abt
Quelle: Jesus.ch