Gewalt und Religiosität
Gläubige muslimische Jugendliche in Deutschland sind einer Studie zufolge deutlich gewaltbereiter als Migranten anderer Konfessionen, schreibt die Zeitschrift «Stern».
Bei einer Befragung von 45000 Schülern ermittelten Wissenschaftler des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen (KFN), dass besonders gläubige Muslime durch jugendtypische Delikte wie Körperverletzung oder Raub auffallen.
Je religiöser, desto brutaler
Die höchste Gewalttäter-Quote gibt es der Studie zufolge unter «sehr religiösen» muslimischen Jugendlichen mit 23,5 Prozent, die niedrigste dagegen bei den «etwas religiösen» mit 19,6 Prozent. Dabei sei die höhere Gewalttätigkeit unter Muslimen ausschliesslich männlichen Jugendlichen zuzurechnen.Gewalt und Männlichkeitskultur
Bei evangelischen und katholischen Jugendlichen zeigte sich eine gegenläufige Tendenz: Christliche Gläubige begingen der Studie zufolge seltener jugendtypische Gewalttaten. Dies gelte gerade auch für christliche Zuwanderer, die meist aus Polen oder der ehemaligen Sowjetunion stammten. So sinke bei jungen christlichen Migranten die Quote der Gewalttäter von 21,8 Prozent bei nichtreligiösen Jugendlichen auf 12,4 Prozent bei sehr religiösen Jugendlichen.Die Studie führt die Ergebnisse vor allem auf unterschiedliche Männlichkeits-Vorstellungen zurück: Die muslimische Religiosität fördere die Akzeptanz der Machokultur, betonte Institutsdirektor Christian Pfeiffer. In der Religion und auch in der Familie bekämen sie oft ein konservatives Bild vorgelebt und pochten anschliessend auf ihre Vorrechte als Mann. Je stärker muslimische Jugendliche in ihrem Glauben verankert seien, desto mehr stimmten sie «Machonormen» zu.
Bei den christlichen Jugendlichen zeigte sich der Studie zufolge das Gegenteil: Mit steigender Religiosität ging auch die Bedeutung von Faktoren wie Männlichkeitsnormen oder die Nutzung gewalthaltiger Medien zurück.
Massnahmen gefordert
Der islamische Religionswissenschaftler Rauf Ceylan hat angesichts einer neuen Studie über die Gewaltbereitschaft junger Muslime «dringend pädagogische Massnahmen» gefordert. Die religiöse Bildung für muslimische Kinder müsse verbessert werden, sagte Ceylan. Jungen Menschen müsse vermittelt werden, dass «Deutschsein und Islam sich nicht ausschliessen». Zudem könne die Anerkennung des Islam als Religionsgemeinschaft wesentlich zur Identifikation mit der deutschen Rechtsordnung beitragen.Ceylan, der an der Universität Osnabrück tätig ist, hatte in seinem Buch «Prediger des Islam» die überwiegend aus dem Ausland stammenden Vorbeter in den Moscheen kritisiert. Die Imame förderten eine Abschottung der Muslime. «Den Jugendlichen wird durch den Import von Imamen vor Augen geführt, dass der Islam immer noch ein Mittel zur Reproduktion der Normen und Werte aus dem Herkunftsland ist», sagte Ceylan.
Es sei allerdings nicht ausreichend, die Ursachen der Gewalt ausschliesslich bei den Imamen zu suchen. Gewalterfahrungen in der Familie und das dort vermittelte Bild von Religion spielten ebenso eine Rolle.
Warnung vor Ausgrenzung
Der evangelische Kirchenamtspräsident Hermann Barth warnt vor verkürzten Schlussfolgerungen. Der Präsident des Kirchenamtes der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) warb für eine differenzierte Bewertung der Befunde. Zugleich empfahl er, beunruhigende Ergebnisse nicht zu verdrängen.Der Befund, dass evangelische und katholische Jugendliche bei steigender Religiosität weniger Gewalttaten begehen, wertete Barth als Ermutigung für alle, die in Erziehung, Religionsunterricht oder Jugendarbeit an der Orientierung von jungen Menschen mitwirkten. «Christlich geprägte Jugendliche sind vielleicht nicht besser als ihre Altersgenossen, aber anders», folgert Barth.
Gegen Selbstgerechtigkeit
Dieses Anderssein dürfte aber nicht dazu führen, sich gegenüber den Muslimen wie die biblischen Pharisäer (selbstgerechte Schriftgelehrte) zu verhalten, mahnt der EKD-Kirchenamtspräsident.Auch die christliche Lehre habe lange Zeit die Herrschaft des Mannes und häusliche Gewalt gerechtfertigt. Vom Islam könne nicht erwartet werden, dass er in wenigen Jahren eine Wandlung durchläuft, für die die Kirche Jahrhunderte benötigt hätte, gibt der Theologe zu Bedenken.
Die Studie «Religion, Integration und Delinquenz junger Menschen» wurde vom Kriminologisches Forschungsinstitut Niedersachsen e.V. durchgeführt. Das KFN ist ein unabhängiges, interdisziplinär arbeitendes Forschungsinstitut in Trägerschaft eines gemeinnützigen Vereins und betreibt als selbständige Forschungseinrichtung praxisorientierte kriminologische Forschung.
Original Bericht
Quellen: epd/Stern/KFN/Livenet
Datum: 09.06.2010