Suizidprävention

Hoffnung wecken

Am Montag treffen sich Menschen, denen Suizidprävention am Herzen liegt, in Zürich zu einer Abendfeier. Der 10. September ist der Welttag der Suizidprävention – dringlich bei jährlich 1400 Selbsttötungen von Schweizern. Livenet hat bei Jörg Weisshaupt, dem Initianten der Feier, nachgefragt.
Wenn der Stuhl leer bleibt: Am 10. September 2008 symbolisierten Stühle in Zürich die jährlich 1400 Suizide.
Jörg Weisshaupt

Livenet: Jörg Weisshaupt, was löst ein Suizid bei Verwandten und Freunden aus? 
Jörg WeisshauptEine Selbsttötung verunmöglicht den Hinterbliebenen das Abschiednehmen und löst einen komplizierten Trauerprozess aus. Die drängendsten Fragen sind: «Warum hat er/sie sich das angetan?» oder «Weshalb habe ich nichts bemerkt? Bin ich mitschuldig an seinem Suizid?»

Wie wird Hinterbliebenen geholfen?
Wichtig ist, dass sie für sich selbst das Angebot ergreifen, das ihnen bei der Verarbeitung der Trauer hilft. Das kann eine Therapie bei einem Psychiater oder Psychotherapeuten sein oder die Mitarbeit in einer geführten Gruppe wie Refugium oder Nebelmeer. Ich spreche bewusst von Mitarbeit – Trauerarbeit nach Suizid bedeutet Schwerarbeit in höchstem Mass.

Für viele genügt eine tragfähige Gemeinschaft, sei das die Familie oder die Gemeinde, die mit ganz konkreten Hilfestellungen die trauernde Person entlastet: «Ich gehe einkaufen. Was kann ich Dir mitbringen?» oder «Wir essen in einer halben Stunde. Kommst Du herüber und isst Du mit uns zu Abend?»

Wo setzt Suizidprävention an? Bauliche Massnahmen wie das Netz bei der Münsterplattform in Bern machen Sinn. Sie führen nicht zur örtlichen Verlagerung der Suizide, sondern tatsächlich zur Reduktion. Das gilt auch für bauliche Massnahmen bei Brücken.

Weniger Schusswaffen zu Hause führt zu weniger Schusswaffensuiziden und auch weniger erweiterten Suiziden, wo sich der Täter umbringt, nachdem er seine Familie ausgelöscht hat. Kleinere Medikamentenpackungen bedingen ein längeres Horten von Packungen, bis eine tödliche Dosis vorhanden ist. Die veränderte Verpackungspraxis der Pharmaindustrie zeigt bereits positive Auswirkungen.

Sie suchen darüber hinaus Hoffnung zu vermitteln. Was trägt Hoffnung zur Prävention von Selbsttötungen bei?
Hoffnung schöpfen wir alle, wenn wir uns nicht unnütz vorkommen in der Gesellschaft. Und diesen Eindruck vermittelt sie uns bald, wenn wir die erwartete Leistung im Berufsleben oder privaten Verpflichtungen nicht mehr erbringen. Hoffnungsvoll wirkt sich die professionelle medizinische und psychiatrische Betreuung aus, weil heute mit besseren Medikamenten Hilfe geleistet werden kann als noch vor 20 Jahren. Nutzlos fühlen sich nicht nur Jugendliche, die keine Ausbildungsstätte oder Arbeitsstelle finden, sondern in zunehmenden Masse alte Menschen, die auf Betreuung und Pflege angewiesen sind. Oft höre ich dann die Haltung: Ich falle Euch doch nur zur Last. Die Gesundheitskosten sind sowieso zu hoch. Lasst mich sterben...

Hoffnung schöpfen können wir auf der Basis eines gesunden Selbstwertgefühls in einem Umfeld der Akzeptanz. Wo Menschen keine Antworten finden auf Fragen wie «Was hat mein Leben/meine Arbeit für einen Sinn? Wozu bin ich überhaupt auf dieser Welt?», suchen sie Perspektiven für ihre Existenz oft vergebens. Wenn nicht die christliche Gemeinschaft die Kompetenz hat, auf solche Fragen zu antworten und gemeinsam mit Betroffenen nach Lebensperspektiven zu suchen, wer dann?

Für Hinterbliebene haben die geführten Gruppen auch präventiven Charakter, weil Survivors um ein Vielfaches gefährdeter sind, sich auch das Leben zu nehmen. Suizidpostvention ist in diesem Sinne in höchsten Masse auch Suizidprävention.

Wie können Christen in der Suizidprävention aktiv werden?
Indem sie ihre Gefässe (Gottesdienste, Treffs, Jugendgruppen, Hauskreise) so gestalten, dass sie einladend auch auf Menschen mit psychischen Leiden wirken. Im persönlichen Kontakt sollen wir nachfragen, wenn wir eine Veränderung bei einer nahe stehenden Person beobachten, gerade auch bei immerfröhlichen, aufgestellten Freunden, bei denen niemand eine suizidale Neigung vermuten würde.

Warum scheiden in der reichen Schweiz so viele Menschen aus dem Leben?
Rund 80 Prozent der Suizidenten haben an einer psychischen Krankheit gelitten. Sie meinen, dass ihre Selbsttötung eine Befreiung für sie und ihre Familie/Umgebung von ihren depressiven Phasen sei. Dabei verkennen sie das Leid, das sie mit ihrer unwiderruflichen Handlung verursachen: Sie hinterlassen eine Lücke, die nicht mehr ausgefüllt werden kann, weder vom Partner noch von den Kindern. Die Zurückbleibenden müssen das Geschehene in ihr Leben integrieren und dieser Prozess kann Jahre dauern.

Jörg Weisshaupt, Jugendbeauftragter der reformierten Kirchgemeinden in der Stadt Zürich, steht Hinterbliebenen von Suiziden zur Seite.

Datum: 06.09.2012
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet

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