Die Händedruck-Debatte

Von «theologisch erlaubt» bis «Sexualisierung der Frau»

Dürfen muslimische Schüler einer Lehrerin den Händedruck verweigern? Um diese Frage ist nach der Arena-Sendung vom Freitag eine heftige Debatte entbrannt. Während die betroffene Schule bei ihrer Haltung bleibt, verurteilt die jementisch-schweizerische Politologin Elham Manea solche Forderungen als «fundamentalistisch». Auch Montassar BenMrad, Präsident der Föderation islamischer Dachorganisationen Schweiz (Fids), präzisiert die ungenaue Antwort, die er in der TV-Sendung gab.
Die Hand geben

Nachdem die «Schweiz am Sonntag» (3. April) publik gemacht hatte, dass es sich bei dem in der Arena-Sendung genannten Beispiel um die Sekundarschule Therwil BL handelt, sah die Schulleitung sich genötigt, Stellung zu beziehen: Man habe nicht einfach nachgegeben, sondern mit den beiden Schülern einen Kompromiss ausgehandelt, sagt Rektor Jürg Lauener am Montag gegenüber Schweizer Radio SRF: «Sie dürfen den Lehrern und Lehrerinnen nicht mehr die Hand geben. Damit ist die Diskriminierungsfrage für uns beseitigt.»

Kanton soll Empfehlungen herausgeben

Lauener hatte bereits im November, nachdem diese Sonderregelung vereinbart worden war, das kantonale Bildungsdepartement informiert mit dem Ziel, den Kanton zur Herausgabe von Handlungsempfehlungen zu bewegen. Bis dies geschieht, bleibt die Sonderregelung laut SRF in Kraft.

Von muslimischer Seite wird diese Sonderregelung unterschiedlich bewertet. «In der islamischen Tradition ist die Höflichkeit eine wichtige ethische Qualität im Umgang mit allen Menschen», sagt BenMrad, Präsident der Fids, im Interview auf der Homepage seines Verbands. Ein Händedruck als Begrüssung zwischen Mann und Frau sei nicht in allen Ländern üblich. «Die Vermeidung von physischem Kontakt bei Begrüssungen zwischen Männern und Frauen wird oft mit einer Respektspflicht begründet. In der Schweiz ist dies jedoch unangebracht», so BenMrad. Verschiedene islamische Gelehrte hätten aber klar bestätigt, dass ein gewöhnlicher Händedruck zwischen Mann und Frau für eine einfache Begrüssung «theologisch erlaubt ist».

Integration gewährleisten und dennoch Geduld haben

In der Arena-Sendung hatte der Fids-Präsident auf die entsprechende Frage von Moderator Jonas Projer mit einem zweideutigen «Ja und Nein» geantwortet. Auch im Interview gibt er nochmals diese doppelte Antwort: «Man sollte es nicht akzeptieren, weil die muslimischen Schüler Respekt gegenüber den Mitmenschen, insbesondere den Lehrpersonen, zeigen sollen.» Eine gute Beziehung zwischen Schüler und Lehrerin sei schliesslich wichtig für die Entwicklung der Jugend. Dafür sei es auch wichtig, «die lokalen Gewohnheiten zu kennen, um eine gute Integration zu gewährleisten».

Gleichzeitig bittet BenMrad die Schweizer Gesellschaft um Geduld: Es sei erfahrungsgemäss effizienter, solche Fragestellungen konstruktiv im Dialog statt in der Konfrontation zu lösen. Schüler und Eltern möchte er zur Reflexion anregen: «Kann die Verweigerung des Händeschüttelns wichtiger sein als das islamische Gebot des gegenseitigen Respekts?»

Autoritätsperson, kein Sexobjekt

Vehementer reagiert Elham Manea, jemenitisch-schweizerische Politologin. Der verweigerte Händedruck seitens muslimischer Schüler sei «ein Ausdruck der fundamentalistischen Auslegung des Islams, welche die Frau als sexuelles Objekt bezeichnet, das die Männer dauernd erregt», sagte sie gegenüber SRF. «Es ist meiner Meinung nach eine Sexualisierung der Frau. Dabei ist die Lehrerin eine Autoritätsperson, kein Sexobjekt.»

Die beiden Geschlechter hätten sich immer die Hand geschüttelt, egal ob im Iran, in Ägypten, in Syrien, im Jemen oder im Libanon, so Manea, die in vielen islamischen Ländern eine «Reislamisierung» beobachtet, unter der die Frauen zu leiden hätten. «Es geht um eine Weltanschauung, welche die Frau als Sexobjekt betrachtet.» Manea befürchtet, dass fundamentalistische Muslime weitere Forderungen stellen: «Wenn wir jedes Mal mit einer Sonderbehandlung nachgeben, stellen wir langfristig den gesellschaftlichen Zusammenhalt im Land in Frage.»

«Falsches Signal ausgesendet»

Auch Beat Zemp, Präsident des schweizerischen Lehrerverbands, steht nicht hinter der Sonderregelung aus Therwil: «Ich halte das für keine gute Lösung, weil für alle Schülerinnen und Schüler die gleichen Regeln gelten sollen», sagte er gegenüber SRF. Mit der Sonderregelung würde ein falsches Signal ausgesendet, auch für die beiden Betroffenen. Denn diese würden ja auch im späteren Berufsleben mit Frauen zu tun haben.

Klipp und klar wird der Berner Imam Mustafa Memeti in der «Berner Zeitung» vom 4. April zitiert: «Nirgends im Koran steht, dass Männer Frauen die Hand nicht reichen dürfen», sagt er. Das seien Interpretationen von Gelehrten. Er ist der Meinung, dass Schüler ihren Lehrerinnen die Hand schütteln sollen. Wer andere - Haltungen propagiere, leiste im Grunde genommen der Bildung von Parallelgesellschaften Vorschub, zitiert die BZ Beat Zemp, der sich allerdings am Schluss des Artikels einen - recht schiefen - Vergleich mit den «Kreationisten» nicht verkneifen kann.

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Datum: 05.04.2016
Autor: Reinhold Scharnowski
Quelle: idea Schweiz / kath.ch / BZ

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