Angst schlägt Argumente

Zürcher Kirchengesetz im Paket gescheitert

Das Zürcher Stimmvolk hat am Sonntag der neuen Religionsgesetzgebung eine Abfuhr erteilt. Alle drei Vorlagen wurden abgelehnt. Als letzter Kanton der Schweiz verweigert Zürich den Kirchen nach wie vor die Stimm- und Wahlrechtsautonomie: Ausländer können zwar als Pfarrer gewählt werden, aber nicht mitbestimmen.
Unterlegen: René Zihlmann (links) und Ruedi Reich bei der Medienkonferenz
Will weiterkämpfen: Justizdirektor Markus Notter
KoranPlakat
Hatte gut lachen: SVP-Generalsekretär Gregor Rutz
Enttäuscht: Muslim-Vertreter Taner Hatipoglu

Mit einem Nein-Stimmen-Anteil von 55 Prozent lehnten die Zürcher Stimmbürger die Änderung der Kantonsverfassung ab, mit welcher die Grundsätze des neuen Verhältnisses zwischen Kirche und Staat festgeschrieben worden wären. Das Kirchengesetz, das die Neuerungen im Einzelnen regelte, wurde mit 54,2 Prozent Nein abgelehnt. Gar mit 64,1 Prozent Nein-Stimmen schickte das Stimmvolk das Anerkennungsgesetz bachab. Es hätte die Modalitäten zur staatlichen Anerkennung anderer Religionsgemeinschaften geregelt. Allein in den Städten Zürich und Winterthur und einzelnen Landgemeinden fanden Verfassungsänderungen und Kirchengesetz eine Ja-Mehrheit; das Anerkennungsgesetz fiel in sämtlichen Kommunen des Kantons durch.

SVP schlägt Kapital aus dem Nein

Die Vorlagen waren vor allem von der SVP und einem Teil der FDP bekämpft worden. Das Nein-Komitee der politischen Rechten schürte erfolgreich die Angst vor radikalen Muslimen, indem sie unterstellte, die Neuregelung ermögliche die Verwendung von „Steuergeldern für Koranschulen“.

Die Gunst der Stunde sucht die SVP nun für ihr vorrangiges Ziel zu nutzen: Sie forderte am Montag im Kantonsrat die Abschaffung der Kirchensteuer für Unternehmen. Ein diesbezüglicher Antrag war im Januar gescheitert.

Bedauern bei den Landeskirchen

Die Leiter der Landeskirchen bedauerten am Sonntagabend vor den Medien das Resultat. Sie befürchten, der religiöse Friede im Kanton habe durch die „Diffamierung“ der Muslime Schaden genommen.

Der reformierte Kirchenratspräsident Pfr. Ruedi Reich will die enge Zusammenarbeit mit Justizdirektor Markus Notter fortführen und strich die guten Kontakte zu den Katholiken, den jüdischen Gemeinden der Limmatstadt und den orthodoxen Gemeinden heraus.

Justizdirektor: ‚Vertrauensvolle Zusammenarbeit’

Notter schrieb vor den Medien das Resultat der einseitigen, emotionalisierten Kampagne der Gegner zu. Er hatte sich zusammen mit den Landeskirchenleitern an zahlreichen Veranstaltungen im ganzen Kanton für drei Ja eingesetzt. Notter geht davon aus, „dass das Verhältnis unter den Religionsgemeinschaften und auch zwischen Staat und Religionsgemeinschaften durch diese vertrauensvolle Zusammenarbeit eher gestärkt wurde. Das nimmt uns niemand weg; es schafft auch eine Grundlage für die Hoffnung, dass wir in Zukunft zu einer Lösung kommen können, die uns alle befriedigt“.

Ball beim Verfassungsrat

Notter gab sich entschlossen: „Wir haben gekämpft; wir haben verloren; wir werden weiterkämpfen.“ Da das vom Kantonsrat geschnürte Paket vom Tisch ist, wird sich nun der Verfassungsrat, der eine neue Kantonsverfassung erarbeitet, auch der Religionsgesetzgebung annehmen. Im Verfassungsrat sitzt für die SVP auch Nationalrat Ulrich Schlüer. Er betonte gegenüber Livenet, das Volk müsse über jede einzelne Anerkennung weiterer Religionsgemeinschaften abstimmen können.

Angst schlägt Argumente

Der Präsident der Römisch-Katholischen Zentralkommission des Kantons Zürich, René Zihlmann, zeigte sich enttäuscht. Die Kirchen hätten der Angst vor dem radikalen Islam nicht begegnen können. Die emotionalen Vorbehalte gegenüber der Anerkennung anderer Religionsgemeinschaften hätten auch die neue Kirchengesetzgebung scheitern lassen.

Das Wunder geschah nicht

Harry Berg, Präsident der Israelitischen Cultusgemeinde Zürich (ICZ), hatte bis zuletzt auf ein Wunder gehofft, dies nachdem der Kantonsrat das Anerkennungsgesetz im Frühjahr knapp gebilligt hatte. Schon damals war Berg, selbst FDP-Mitglied, schwer betroffen über das Abdriften eines Teils der FDP-Fraktion auf die SVP-Linie. Das Resultat sei nun viel einseitiger ausgefallen als erwartet.

Für die jüdische Gemeinde, in Zürich gut integriert, ändere sich nach der Abstimmung nichts, äusserte Berg. Es könnte sein, dass die jüdische Gemeinschaft nun direkt über die Verfassung anerkannt werde, wie das in Bern der Fall sei. Bergs Vorgänger im ICZ-Präsidium hatte nach 1995 eine Anerkennung der jüdischen Gemeinschaft durch den Kanton abgelehnt, wie er anmerkt: "Wir wurden früher immer ausgegrenzt und wir wollten nun nicht Hand bieten zu einer Lösung, die uns einbezieht, andere aber ausgrenzt".

Resultat verschieden gelesen – kein Wort von der FDP

Die Sozialdemokraten, die sich für drei Ja einsetzten, erachten die Anerkennung anderer Religionsgemeinschaften weiterhin als richtig. Auf ihrer Webseite gestehen sie aber ein, dass das Stimmvolk dazu skeptisch eingestellt sei. Sie werten das Resultat als Votum für den Status quo, das heisst gegen eine Trennung von Kirche und Staat.

Die FDP-Leitung freute sich in ihrem Pressedienst darüber, dass die Stimmbürger ihren Parolen in sämtlichen neun kantonalen Vorlagen gefolgt seien; die drei Nein zur Religionsgesetzgebung wurden dabei überhaupt nicht kommentiert!

EVP: Anerkennung vom Tisch

Die Evangelische Volkspartei (EVP) verweist auf ihren Versuch, das Kirchengesetz durch Aufteilung der Vorlagen zu retten; schliesslich lehnte auch das Bundesgericht einen Vorstoss ab. Laut der EVP ist nun „der politisch wenig umstrittene Teil der Kirchenvorlage in einer neuen Runde“ neu zu diskutieren; die Anerkennung anderer Religionsgemeinschaften sei in nächster Zeit „wohl kein Thema mehr“.

EDU: ‚Mogelpackung’

Die Eidgenössisch-Demokratische Union (EDU) begrüsste das klare Nein zur „Mogelpackung“, durch welche Regierung und Kirchen beim Volk viel Vertrauen eingebüsst hätten. Die EDU, die sich als Vertreterin der Freikirchen profiliert, lehnt jede „staatliche Oberaufsicht für Kirchen“ ab und wünscht „eine echte Partnerschaft zwischen Staat und Kirchen an Stelle der heutigen Komplizenschaft“. Viel wird davon abhängen, wie sich die Vertreter der FDP, der CVP und der EVP im Verfassungsrat verhalten.

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Kommentar:

Sieg der Populisten – Zürcher Landeskirchen in rauhen Wassern

Das Paket zur Religionsgesetzgebung ist in der Volksabstimmung an der Angst vor dem radikalen Islam gescheitert, den die Gegner in den letzten Wochen geschickt geschürt hatten. Die Zürcher Politikerelite wollte nach 1995 grundsätzlich allen Religionsgemeinschaften, welche demokratischen und Grösse-Kriterien genügen, die staatliche Anerkennung anbieten. Diesem Vorhaben blies seit dem 11. September 2001 ein steifer Wind entgegen. Mit den Anschlägen von Istanbul und warnenden Presseartikeln über Islamisten in der Schweiz war das Anerkennungsgesetz endgültig erledigt.

Die drei Vorlagen, die der Kantonsrat auf Betreiben der FDP zum Paket geschnürt hatte, liefen unter dem unpräzisen Etikett ‚Kirchenvorlagen’. Dies dürfte dem Anerkennungsgesetz kaum geholfen haben; vielmehr geriet das sorgfältig erarbeitete Kirchengesetz in den Sog der Zweifel.

Argumente genügen nicht

Mit dem braven Slogan ‚Menschen brauchen Kirchen’ und ihren Argumenten kamen die Befürworter nicht gegen die Stimmungsmache an, umso mehr als die Mittepartei FDP umgefallen war und dreimal Nein empfohlen hatte. In den letzten Wochen kamen Gehässigkeiten dazu – die Gegner gaben mit gleicher Münze zurück, als sie wegen ihres Koranschulen-Plakats der Lüge bezichtigt wurden.

Miteinander hatten Justizdirektor Markus Notter, der reformierte Kirchenratspräsident Reich und der katholische Zentralkommissionspräsident Zihlmann in einem sechsjährigen Prozess die Verfassungsänderungen und das Kirchengesetz erarbeitet. Einträchtig traten die drei Gentlemen in vielen Sälen im ganzen Kanton auf, am überzeugendsten der Regierungsvertreter – erfolglos. Von den Stimmbürgerinnen und Stimmbürger, die das Anerkennungsgesetz ablehnten, mochten sich nur wenige für die beiden anderen Vorlagen erwärmen.

Solidarische Juden nicht belohnt

Vom Resultat betroffen sind in erster Linie die Juden, die vor Jahren auf eine ihnen angebotene Anerkennung verzichteten, damit andere Gemeinschaften miteinbezogen werden könnten. Betroffen sind auch die Muslime, deren Zahl im Kanton die der Juden wohl bereits ums Zehnfache übersteigt.

Die Juden, so ICZ-Präsident Harry Berg, sind im öffentlichen Leben integriert und faktisch anerkannt; denn man kennt sie – im Unterschied zu den Muslimen, die im Abstimmungskampf nur einen einzigen gewandten Sprecher hatten. So vermochten die islamischen Vereine im Kanton nicht plausibel zu machen, wie sie sich in die Gesellschaft integrieren und zum öffentlichen Leben beitragen wollen. Bezeichnend: Als der Regierungsrat vor die Medien trat, war kein muslimischer Vertreter zugegen. Das Resultat wird die Muslime nicht abhalten, in ihren Gebetsräumen den Koran zu lehren. Das Nein dürfte jedoch bei manchen Muslimen das Gefühl verstärken, dass das Praktizieren des Islam im Kanton geduldet, aber nicht respektiert wird.

Überladenes Fuder

Die Gegner hatten leichtes Spiel, denn das Fuder war überladen. Wie die NZZ bemerkt, stiessen sich die einen an der Kirchensteuerpflicht der Unternehmen, die anderen am Verzicht auf die historischen Rechtsansprüche der Reformierten, andere an der Nichtbeachtung von Freidenkern.

Die NZZ meint auch, dass die Landeskirchen es versäumten, ihre Mitglieder (70 Prozent der Kantonsbevölkerung) genügend auf die Neuordnung vorzubereiten. Das Wochenende hinterlässt einen Scherbenhaufen, wie der Winterthurer Landbote schrieb, eine Situation, in der es den Landeskirchen schwerer fallen wird, ihre Privilegierung im säkularen Zürcher Staat für die Zukunft zu sichern.

Landeskirchliche Privilegien auf dem Tisch

Die SVP drängt nun im Kantonsrat gleich auf die Aufhebung der Kirchensteuer für Unternehmen, welche die Regierung hatte fortführen wollen. Im Verfassungsrat, der nun zum Zuge kommt, dürften die Wünsche der Landeskirchen nicht so wohlwollend aufgenommen werden wie zuvor in der Justizdirektion.

Zum Ausdruck kam am Wochenende der Unwille der Bevölkerung, mit einem Gesetz die Tür aufzutun zu unanfechtbaren Anerkennungsbeschlüssen der Kantonsregierung – im Falle der Muslime erst in ferner Zukunft. Beunruhigend scheint, dass der geballte Einsatz des Justizdirektors und der zwei Landeskirchenpräsidenten die Mehrheit des Stimmvolks nicht überzeugte. Das dreifache Nein ist ein ernüchternder Gradmesser für das Gewicht dieser Institutionen im Kanton.

Die Wertkonservativen abholen

Die beiden Kirchenleitungen haben sich im Prozess mit dem SP-Justizdirektor Notter verbündet. Dieses Vertrauenskapital kann Zinsen bringen. Zugleich haben sich die Kirchenleiter so deutlich für die multireligiöse Öffnung des Zürcher Gemeinwesens ausgesprochen, dass SVP-nahe Kirchenglieder sich vor den Kopf gestossen fühlen dürften.

Der SVP-Sprecher im Kantonsrat hatte sich im Januar des ‚christlichen Abendlandes’ erinnert, das es zu bewahren gelte. Nun muss bei den Reformierten neu überlegt werden, wie der Einsatz für eine tolerante Gesellschaft jenen Kirchengliedern verständlich gemacht werden soll, die als Christen nicht Ökumene der Religionen wollen, sondern - Heimat.

Datum: 02.12.2003
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet.ch

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