Multikulti

Leben inmitten von Fremden

Leben im Quartierkomplex Gyrischachen-Lorraine-Einunger in der Stadt Burgdorf heisst Zusammenleben in grossen Wohnblöcken auf engem Raum mit 2'200 Nachbarn aus 43 Nationen.
Gyrischachen Burgdorf

Integrationsmassnahmen sind deshalb der Stadt ein Anliegen, für das sie sogar ein Fördergeld des Kantons Bern erhielt. Es geht um Förderung der Kommunikation, Beteiligung und Integration der Bewohnerschaft, eine städtisch betreute Spielgruppe mit Sprachförderung und Schulung der Hauswarte im Umgang mit verschiedenen Kulturen.

Engagierte Kirchen

Auch Kirchen engagieren sich hier: Die reformierte Kirche betreibt seit 1984 zusammen mit dem Quartierverein – neuerdings auch unter Beteiligung der Stadt – den sogenannten «Gyriträff».

Dieser Ort der Begegnung will den interkulturellen Austausch fördern und unterstützt durch Treffen und Veranstaltungen die soziale Integration. Zusätzlich ist die Pfingstgemeinde Burgdorf mit Förderungs- und Integrationsarbeit im Quartierbrennpunkt aktiv.

Seit 1994 wird wöchentlich den fünf- bis zwölfjährigen im so genannten Kinder-Club am Samstagvormittag und 14-täglich den 11- bis 15-jährigen am Freitagabend ein abwechslungsreiches Freizeitprogramm mit christlichem Input angeboten.

Für ihr Engagement in der offenen Kinder- und Jugendarbeit wurde die Pfimi Burgdorf von der Stadt Burgdorf 2009 mit dem Preis für soziales Engagement ausgezeichnet: «… für Ihre Verdienste in der Integration der ausländischen Bevölkerung».

Mittendrin

Doch von aussen in ein Quartier hinein zu wirken ist eine Sache, nachbarschaftliches Miteinander zu leben etwas anderes. Immer wieder entschieden deshalb hauptamtlich Angestellte der Pfingstgemeinde selbst im Gyrischachen zu leben – aus Überzeugung.

Eine Familie, die seit bald zwölf Jahren dort lebt, sind Marc und Sara Reusser mit ihrer sechsjährigen Tochter Simea. Hergekommen sind sie nicht zufällig, sondern bewusst mit der Vision ins «Missionsgebiet» zu gehen – eben nicht weit entfernt, sondern vor Ort.

Ein Herz für die Menschen hier zu haben ist nach der Ansicht von Sara Reusser notwendig, um in dieser Nachbarschaft zu leben, denn andernfalls gibt es attraktivere Wohngegenden für Schweizer Familien mit mittleren Ansprüchen.

Für Ledige und WGs mag die Gegend mit ihren günstigen Wohnungen noch ihren Reiz zu haben, doch Familien finden hier durchaus herausfordernde Bedingungen: Die Kindergarten- und Schulklassen werden von vielen Ausländern mit teils schlechten Sprachkenntnissen besucht und erfordern von den Betreuungspersonen viel Förderungsbedarf, dass für die unkomplizierteren einheimischen Kinder oft weniger Aufmerksamkeit bleibt.

Auch Zusatz- oder Sonderanlässe finden wegen den höheren Organisationsschwierigkeiten nicht statt. Zudem finden sich auf dem Quartierspielplatz viele Kinder mit recht anderen Werten und es bleibt eine Gratwanderung, wie viel Freiraum den eigenen Kindern hier gegeben werden kann.

Ein Teil des Quartiers werden

Doch Sara Reusser weiss ihre Nachbarschaft auch zu schätzen; sie erlebt die Ausländer zum Teil als offener als die Schweizer und auf dem Spielplatz ist man schnell miteinander im Gespräch. Auch für die soziale Kompetenz ihrer Tochter empfindet sie es als Vorteil, mit so vielen verschiedenen Kulturen in Kontakt zu kommen.

Und um wirklich zu verstehen, was die Menschen hier bewegt und die Kinder brauchen, ist es höchst wertvoll, mittendrin zu leben und ein Teil des Quartiers zu sein, statt nur gelegentlich von aussen Angebote heranzutragen und sich dann wieder in die eigene «heile Quartierwelt»  zurück zu ziehen.

Die Identifikation mit den Anliegen der Nachbarschaft ist so deutlich grösser – und das Reich Gottes hinaus und hinein zu tragen in deren Welt, gelingt glaubwürdiger.

Datum: 17.09.2012
Autor: Ulrike Weiniger
Quelle: Wort und Wärch

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