«Obdachloser» predigt

«Das Erscheinungsbild macht etwas mit einem»

Auch Livenet hatte darüber berichtet: Der Pastor einer Mega-Church in den USA verkleidete sich als Obdachloser,
Thomas Feurer als Obdachloser vor der Gemeinde
Als Obdachloser auf der Strasse
Thomas Feuer steht als Obdachloser verkleidet auf der Bühne.
Thomas Feurer

lungerte vor seiner Gemeinde herum und enterte dann den Gottesdienst (zum Artikel). Das ICF St. Gallen adaptierte diese Idee: Mit Thomas Feurer ging der Gründer und Leiter von «Endlesslife» verkleidet auf die Strasse und in den ICF-Gottesdienst.«Vor etwa vier Wochen las ich auf einer englischsprachigen Webseite von einem Pastor einer Mega-Church, der sich als Obdachloser verkleidete», erinnert sich Reto Kaltbrunner, Pastor im ICF St. Gallen. Auch Livenet hatte darüber berichtet, wie James MacDonald vor seiner Gemeinde im Raume Chicago herumlungerte und dann – noch in voller Montur – nach vorne ging und seine Predigt begann.

Reto Kaltbrunner: «Ich fragte einen Freund von mir, ob wir das hier auch machen könnten.» Thomas Feurer, der früher selbst drogensüchtig war, Christ wurde und durch den von ihm gegründeten Verein «Endlesslife» vielen zum Ausstieg aus der Sucht verhalf (Livenet berichtete), machte mit. «Er war so gut verkleidet, dass ihn selbst seine Kinder nicht erkannten.»

Ein Spiegel für alle

«Es war ein Spiegel für alle, auch für mich», erinnert sich Reto Kaltbrunner an den kürzlich verstrichenen Sonntag, in welchem der «Obdachlose» plötzlich im ICF St. Gallen auftauchte. «Mir ist das eingefahren. Ich umarmte Thomas nicht ganz so herzlich, wie sonst. Das Erscheinungsbild macht etwas mit einem.»

Zuerst sass Thomas vor der Tür mit einer Dose Bier in der Hand (die ein alkoholfreies Getränk enthielt). «Er rauchte Zigaretten und später zündete er auch drinnen eine an.» Der eine oder andere Besucher war zunächst verunsichert, und fragte Kaltbrunner, ob er den Mann kenne. «Ich antwortete: 'Ja, er war auch schon da.' Die meisten reagierten positiv.» Auch früher schon sind obdachlose Menschen in die Gemeinde gekommen, weil sich das ICF St. Gallen an einer exponierten Lage befindet. «Wir betonen, dass wir offen für alle sind. Wir sind eine Familie – in einer solchen gibt es auch Regeln.»

Irgendwann stolperte der scheinbar Obdachlose auf die Bühne. «In der Gemeinde löste es viele gute Gespräche aus. Zum Beispiel auch darüber, was geschieht, wenn jemand die Grenze überschreitet.»

Reaktionen positiv

Gleich von Beginn weg auf der Strasse sei er keines Blickes gewürdigt worden, auch dann nicht, wenn er grüsste, erinnert sich Thomas Feurer in seinem Erlebnisbericht. Beim ICF angekommen, habe ihm jemand einen Kaffee angeboten, den er auffällig mit einem Zuschuss aus dem Flachmann anreicherte. Während des Worships gebärdete er sich als Konzertbesucher, fragte nach dem Namen der Band und lobte den DJ…

Insgesamt besuchte Thomas zwei Gottesdienste als Obdachloser und erlebte die Reaktionen als positiv. In einem Fall wurde witzigerweise nach Thomas (also ihm selbst) gefragt, da dieser gut wisse, wie mit solchen Besuchern umgegangen werden kann…

Enge Zusammenarbeit

Ein paar Leute hätten sich auch etwas vor den Kopf gestossen gefühlt, «es gab daraus aber einen guten Dialog. Die meisten Feedbacks waren positiv. Wir stellten uns die Frage: Warum behandeln wir jemanden anders, weil er anders aussieht und zum Rande der Gesellschaft gehört? Jemand meinte: 'Es wäre gut, das in meinem Dorf zu machen.'»

ICF St. Gallen arbeitet eng mit «Endlesslife» zusammen. Seit einigen Monaten konnte der Verein eine Notschlafstelle einrichten. «Es ist schweizweit die einzige Notschlafstelle, die klar drogenfrei ist. Der Bedarf war gross, es gibt immer Leute, die man unterbringen muss. Wenn die Menschen an einen Ort kommen, wo Drogen konsumiert werden, ist die Gefahr da, dass sie mit der Zeit selbst konsumieren. Deshalb ist diese Alternative wichtig und sie wird rege genutzt.»

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Datum: 13.11.2018
Autor: Daniel Gerber
Quelle: Livenet

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