«Hymnigranten» im Lager

Flüchtlinge wollten eine Kirche, bevor sie ein Haus hatten...

«Songs of Praise» von BBC ist die älteste religiöse TV-Show der Welt. Einer ihrer bemerkenswertesten Sendungen in diesem Sommer kam direkt aus einer Kirche aus Tüchern und Klebestreifen, die Migranten im Flüchtlingslager von Calais gebaut haben.
Selbstgebaute Kirche im Flüchtlingslager von Calais

«Es ist erstaunlich. Das erste, was sie wollten, als sie hierher kamen, war, eine Kirche zu bauen», sagte Maya Konforti, eine freiwillige Helferin im Lager von Calais. «Sie wollten eine Kirche, bevor sie ein Haus hatten.»

Das Flüchtlingslager von Calais an der nordfranzösischen Küste (am Ärmelkanal) ist von seinen Bewohnern «Der Dschungel» getauft worden. Aber mitten in den Hütten und Sanddünen des Flüchtlingslagers, das zum Mittelpunkt der Krise von Calais wurde, fällt ein Gebäude auf, das wegen seiner Grösse fehl am Platz scheint: eine provisorische Kirche aus Stangen und Tüchern. 

Als eine Gruppe von Emigranten aus Äthiopien und Eritrea realisierte, dass es länger dauern könnte und sowieso ein gefährliches Unterfangen war, ins ersehnte England zu gelangen, hatten sie eine Idee. Sie entschieden, dass sie einen Ort des Gebets brauchten. Etwa 35 Freiwillige begannen, die Gegend nach irgendwelchen Baumaterialien abzusuchen. Anders als die anderen Hütten im Lager, die in Tagen aufgebaut werden, nahm sich die kleine Glaubensgemeinschaft zwei Monate Zeit für jedes Detail des geplanten Baus. Die Kirche ist bekannt als «St. Michael von Calais». Ihr Dach wird «von Gebeten und Klebeband» zusammengehalten. Vor kurzem konnte sie dank Spenden von lokalen christlichen Gruppen gar einen eigenen Generator anschaffen.

Priester, weil er Theologie studierte

Mehrere Priester leiten die Kirche, in der sich am Sonntag bis zu 150 Gläubige treffen. Einer von ihnen ist Mima, ein 29-jähriger Flüchtling. «Ich bin hier der Priester, weil ich in Äthiopien Theologie studiert habe. Die Kirche ist voll, am Sonntag und auch bei Gebetszeiten unter der Woche», erzählt er. 

Einer der Migranten, die beim Kirchenbau halfen, ist Soloman Grama. Der 39-jährige Äthiopier verliess seine Heimatstadt Addis Abeba vor über einem Jahr «wegen politischer Probleme». Trotz seiner Flucht und der gefährlichen Reise ganz allein durch Afrika sagt er: «Ich habe nie meinen Glauben verloren!» Und er fügt hinzu: «Unsere Kirche hier ist für alle da, die Gott für ihr Leben danken möchten und für ihre Zukunft beten wollen.»

(Noch) keine religiösen Spannungen

Obwohl im Flüchtlingslager in Calais viele Religionen vertreten sind und die Moslems die grösste Gruppe bilden, sind die Kirchenbesucher glücklich, dass es bisher noch keine grösseren religiös motivierten Spannungen gab. «Natürlich gibt es Spannungen unter den verschiedenen Völkern und Stämmen hier, aber das sind soziale und nicht primär religiöse Spannungen», sagt ein Kirchenbesucher. Die Kirche sei bisher von Angriffen verschont geblieben.

«Dafür ist die Kirche da»

Mit ihrer Sendung aus der St. Michaels-Kirche in Calais hat die altehrwürdige «Songs of Praise»-Sendung ein Zeichen gesetzt. «Gut gemacht, Songs of Praise», twitterte der Erzbischof von Canterbury, und die Gemeinschaft von Iona erklärte: «Ihr Leute von Calais, ihr guten Leute Gottes, ihr singt nicht allein.» Eine Christin aus Kent schliesslich brachte es auf den Punkt, als sie gefragt wurde, warum sie den Kanal überquerte und «diesen Leuten da» zu Essen brachte: «Dafür ist die Kirche schliesslich da.»

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Datum: 18.10.2015
Autor: Reinhold Scharnowski
Quelle: Livenet / Daily Mail

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