Fokustag für die Familie in Bern

Kinder früh fördern – aber wie?

Kinder brauchen eine gute Förderung. Diese geschieht optimalerweise in der Familie. Wo dies nicht der Fall ist, sollten Programme möglichst früh einsetzen, sagte der Psychologe und Heilpädagoge Andrea Lanfranchi am Fokustag für die Familie am Samstag, 26. Juni, in Bern.
Das Podium mit Prof. Andrea Lanfranchi, CVP-Nationalrätin Esther Egger, KFF-Moderatorin Ursula Vögeli, EDU-Grossrat Marc Früh und EVP-Nationalrat Walter Donzé.
Probleme in den Familien mit offenen Augen sehen: CVP-Nationalrätin Esther Egger.

Organisierte Frühförderung im Vorschulalter kann Kinder überfordern, wenn sie von ehrgeizigen Eltern angewandt wird, die ihrem dreijährigen Sohn Frühchinesisch-Unterricht organisieren. Kindern, die in einer «anregungsreichen und schützenden Umwelt» aufwachsen, brauchten auch keine solchen Fördermassnahmen, sagte Andrea Lanfranchi, Dozent und Forscher an der Hochschule für Heilpädagogik in Zürich, am Fokustag. Es gebe aber ein Risikopotenzial bei Kindern in Migrationsfamilien sowie bei Familien, die unterhalb der Armutsgrenze leben.



Sonderpädagogik zu spät

In der Tat habe die Schweiz mit Vorschulprogrammen für Kinder einen Nachholbedarf, denn sie liege weit hinter dem europäischen Durchschnitt zurück. Das sei umso bedeutsamer, als heute 20% der Kinder aus Einwanderer-Familien in die Unterstufe kämen. Da sich in den ersten Jahren die Gehirnstrukturen stark entwickelten, sei der Rückstand bei ungenügend geförderten Kindern nach der Einschulung kaum mehr aufzuholen. Die Sonderpädagogik setze dann oft zu spät ein. Im Vergleich mit andern Ländern gebe es aus diesem Grund zu viele Sonderklassen. «Wir sind Europameister bei der Aussonderung», kritisierte Lanfranchi.

Der Psychologe hat daher das Programm ZEPPELIN (Zürcher Equity Präventionsprojekt Elternbildung und Integration) entwickelt. Dieses hat zum Ziel, Kinder, die aus «psychosozialen Gründen» - weil sie zum Beispiel in einer bildungsfernen Migrationsfamilie aufwachen - in ihrer Entwicklung gefährdet sind, früh zu erkennen. Damit diese Kinder den Anschluss an die Schule finden, werden sie mit einem Begleitprogramm, das auch die Eltern erreicht, gefördert.

Einfach Zeit, nicht «Quality time»

Zur alltäglichen Förderung der Kinder im Vorschulalter - sei es in Betreuungsprogrammen oder in gut integrierten Familien - brauche es aber konstante Bezugspersonen und genügend Zeit. Er halte nicht viel von «Quality time», bemerkte der Psychologe Lanfranchi in Anspielung auf beruflich vielbeschäftigte Eltern. Denn der Faktor Zeit sei massgeblich, wenn eine gute Beziehung zum Kind aufgebaut werden solle, die dem Kind auch die nötige Geborgenheit vermittle. Entscheidend für die Betreuenden sei die Einhaltung der «3 V»: vertraut, verlässlich, verfügbar.

Gegen Treibhausmentalität

Es mache wenig Sinn, alle Kinder schon im Vorschulalter mit Programmen fördern zu wollen, sagte Lanfranchi. Er wendet sich gegen eine «Treibhausmentalität mancher Eltern aus der Mittel- und Oberschicht» und gegen einen «Aktionismus der flächendeckenden Versorgung». Bei Kindern aus Risikosituationen dürfe man nicht darauf abstellen, dass bereits der Besuch einer Spielgruppe die Defizite aufhole. Auch könnten Programme nur die Startchancen verbessern, nie aber eine «Chancengleichheit» aller Kinder herstellen. Lanfranchi wandte sich damit gegen ideologisch begründete Erwartungen. Das Problem stelle sich aber, wie die hilfebedürftigen Familien Hilfe erhalten, bemerkte der Referent.



Probleme mit offenen Augen sehen

In einem Podiumsgespräch zum Thema Frühförderung von Fachleuten, aus Pädagogik und Politik sagte die Aargauer CVP-Nationalrätin Esther Egger: «Wir müssen die Probleme in den Familien mit offenen Augen sehen. Eltern, die Unterstützung brauchen, sollten sie auch erhalten, damit sie ihre Verantwortung überhaupt wahrnehmen können.» Hier gebe es noch erhebliche Defizite. Der Sozialpädagoge und EDU-Politiker Marc Früh betonte den Stellenwert der Eltern und verlangte mehr Unterstützung, insbesondere auch höhere Familienzulagen: «Die wichtigsten Bezugspersonen des Kindes sind idealerweise die Eltern.» Nationalrat Walter Donzé kritisierte die geltende Migrationspolitik. Sie verhindere, dass Migrationsfamilien von Anfang an als Familie behandelt würden.

Koalition für die Familie
Die Koalition für die Familie (KfF) ist ein Netzwerk von Vertretern von christliche orientierten Organisationen, Fachleuten und Mitgliedern des Nationalrats. Sie setzt sich aufgrund eines christlichen Menschenbildes mit der aktuellen Familienpolitik auseinander, formuliert Positionen und bringt diese ins Gespräch bei den politisch Verantwortlichen. Sie organisiert dazu jährliche Tagungen, insbesondere den «Fokustag für die Familie».
www.familienkoalition.ch

Quelle: SSF, Bearbeitung: Livenet

Datum: 01.07.2010
Autor: Fritz Imhof

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