«Diskussionen über weltanschauliche Fragen sind wichtig»
setzt sich für ausgewogene Berichterstattungen
ein. Livenet traf ihn in Zürich und wollte wissen,
was hinter seiner Motivation steckt. Livenet: Jürg
Nef, was fasziniert Sie am Alpinismus?
Jürg Nef: Es ist eine berufliche und private Passion.
Privat bin ich seit Jahrzehnten als Bergsteiger in den Alpen unterwegs. Früher
eher sportlich, klettermässig. Heute geht es mir vor allem darum, die Schönheit
der Berge zu geniessen. In der Schweiz sind wir ja besonders privilegiert.
Beruflich habe ich doktoriert mit einer Arbeit über Haftpflicht des
Bergsteigers. Als Versicherungsanwalt habe ich ausserdem Fälle bearbeitet mit
Unfällen von Alpinisten. Ich schreibe gelegentlich auch in den Medien über
diese Themen.
Wie
wichtig ist die Evolutionstheorie für Sie als Alpinismus-Experte?
Die Alpen sind ein grosses Gebirge und sie haben
sichtbare, komplexe Strukturen. Hier ist die Frage immer wieder spannend: Wie
sind sie eigentlich entstanden – evolutiv oder durch andere Vorgänge? Die
Evolutionslehre ist heute nicht nur in der Geologie präsent. Sie beherrscht die
Wissenschaft, wenn es um die Frage geht: Wie ist die Welt entstanden? Das hat
die Menschen schon immer stark beschäftigt. Die Evolutionslehre macht ja
geltend – stark vereinfacht gesagt – die Welt habe sich durch zufällige
Prozesse in der Vergangenheit so entwickelt, wie sie heute ist. Dieses Denken
ist eine Herausforderung.
Und
die Schöpfungsgeschichte?
Das Wort Schöpfung sagt ja bereits, dass hier eine
ganz andere Weltanschauung zu Grunde liegt, nämlich die Überzeugung, dass ein
Schöpfer existiert, der die Welt erschaffen hat – und nicht der Zufall. Nach
dem christlichen Weltbild ist es Gott, der als Schöpfer gewirkt hat. Die
beiden Vorstellungen stehen heute in starker Konkurrenz zueinander. Es gab ja
schon immer einen Kampf darum, wer die Welt schlüssig erklärt. Woher kommen wir? Wenn wir das wüssten, gäbe dies auch eine Antwort auf die Frage, wer wir sind.
Wissenschaft
und Schöpfung – inwiefern
ist das vereinbar?
Man muss bei all diesen Diskussionen zunächst auseinanderhalten:
Was ist Wissenschaft und was ist Glaube? Die Wissenschaft stellt Hypothesen auf
und beobachtet, was wir in der Natur sehen können – es geht hier also um die Vorgänge, die heute
passieren. Alles, was darüber hinausgeht, betrifft die Ebene des Glaubens.
Schöpfung und Evolution sind Vorgänge in der Vergangenheit. Man kann sie nicht
direkt beobachten, sondern quasi nur ihre Fussabdrücke studieren und dann
fragen: Welches ist die beste Erklärung? Die Frage der Wahrscheinlichkeit steht
deshalb bei allen Geschichtswissenschaften im Zentrum, auch bei der
Evolutionslehre. Es gibt dort keine strikten Beweise, vielmehr nur eine Logik,
die mich überzeugen kann oder auch nicht. Die Schöpfungsgeschichte der Bibel
hat auch eine bestimmte Logik, aber sie betrifft den Glauben und ist
kein wissenschaftlicher Beweis.
Wie
erklären Sie sich den heutigen Umgang mit der Schöpfungsgeschichte?
Früher prägte der christliche Glaube unsere ganze
Kultur. Er wurde nicht in Frage gestellt, heute schon. Natürlich steht es heute
jedem frei, das zu glauben, was ihn überzeugt. Zum Glück ist das so. Die
Schöpfungsgeschichte der Bibel steht aber im Kreuzfeuer, vor allem wenn man sie
wissenschaftlich und zugleich wörtlich interpretiert. Die Bibel sagt ja, Gott
habe die Welt in sechs Tagen erschaffen. Das kann man glauben, aber wenn man es
wissenschaftlich begründen will, kriegt man Probleme. Wissenschaftler auf der
anderen Seite stehen immer in der Gefahr der Grenzüberschreitung in den Bereich
des Glaubens. Das heisst, ihre angeblich wissenschaftlichen Beweise sind häufig
Glaubensannahmen.
Welche
Rolle spielen dabei die Medien?
Die Medien haben die Rolle, dass sie
Informationen verkürzen, zuspitzen, auf den Punkt bringen oder auch einmal in
Frage stellen. Die säkularen Medien sind bei Fragen von Religion und Glauben
sehr kritisch. Das ist ihr gutes Recht. Auf der anderen Seite aber darf man die
Evolutionslehre praktisch nicht kritisieren. Sonst ist man sofort starkem
Gegenwind ausgesetzt. Aber es ist doch das Wesen der Wissenschaft schlechthin, dass sie
Kritik zulässt, sogar fordert. Wissenschaft beruht auf dem freien Wettbewerb
der Gedanken. Darum ist es ein Selbstwiderspruch, wenn die Evolutionisten
jegliche Kritik an ihrer Lehre quasi verbieten. Wissenschaftliche Erkenntnis
ist nie zu Ende, sondern immer auch der aktuelle Stand des Irrtums.
Kürzlich
berichtete die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) über eine Exkursion der christlichen Studiengemeinschaft
Wort und Wissen auf dem Stockhorn. Ist der Bericht der NZZ ein Paradebeispiel
für den medialen Umgang mit dieser Thematik?
Wie gesagt, die Evolutionslehre darf man eigentlich
nicht kritisieren. In dieser Hinsicht war der Bericht typisch. Doch er war
schon auch extrem, weil er die Kritiker der Evolution mit den Irrköpfen
verglich, die noch glauben, dass die Erde eine Scheibe ist. Normal ist dieser
Ton zum Glück noch nicht. Er passt auch nicht zur NZZ, die sich als Qualitätszeitung
versteht, die ein differenziertes Urteil abgibt und nicht einfach
Andersdenkende verhöhnt.
Sie
haben zum NZZ-Artikel einen medienkritischen Leserbrief geschrieben (Livenet berichtete).
Was hat Sie dazu veranlasst?
Ich hatte mehrere Beweggründe. Als Teilnehmer der
Exkursion erlebte ich die christlichen Wissenschaftler als differenziert,
seriös und ernsthaft. Und ich kenne ihre ausgezeichneten Lehrbücher. Ausserdem
teile ich ihren christlichen Glauben. Als dieser NZZ-Redaktor seinen Angriff
publizierte, der unter der Gürtellinie stand, fühlte ich mich ein Stück weit
mitbetroffen. Deshalb sagte ich mir: Moment, das kann man so nicht stehen
lassen, nicht in der NZZ.
Sollen
sich Christen mehr gegen voreingenommene Berichte wehren?
Ja, unbedingt. Auch wenn solche negative Berichte
mühsam sind, bieten sie immerhin noch eine Bühne, wo man sich begegnet. Fragen
des christlichen Glaubens werden heute in einer säkularen Welt eher tabuisiert.
Dass die NZZ sie zur Diskussion stellt, ist an sich positiv. Denn jeder glaubt
irgendetwas. Auch der atheistische Wissenschaftler hat einen Glauben, eine
bestimmte Überzeugung über die sogenannten letzten Fragen. Und das christliche
Weltbild bietet spannende Antworten. Der Austausch darüber ist lohnend. Doch er
ist nur fruchtbar, wenn er im gegenseitigen Respekt geführt wird.
Wie
sehen Sie die Zukunft von solchen Diskussionen?
Das ist schwer zu beantworten. Aber die jüngste
Entwicklung hat gezeigt: Der Ton wird eher härter und heftiger. Das
kompromisslose Schwarz-Weiss-Denken nimmt zu. Viele sind kaum bereit, einmal
einfach in die Schuhe des Gegenübers zu treten und seine Sicht zu verstehen.
Das ist schade. Trotzdem finde ich, die Diskussionen über weltanschauliche Fragen sind wichtig und sollen geführt werden. Denn da
geht es um Fragen, die alle beschäftigen.
Zum Thema:
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Datum: 02.01.2020
Autor: Annina Morel
Quelle: Livenet