Das Grab von Jesus

Grab Jesu

In der archäologischen Wissenschaft hat sich weitgehend die Überzeugung durchgesetzt: Wir kennen die Lage von Golgatha, wo Jesus von Nazareth für das Heil der Welt den Verbrechertod starb. Golgatha war ein künstlich entstandener Felsen in einem riesigen Steinbruch vor der Nordwestmauer Jerusalems. Der Golgatha-Felsen ist heute von einer Kapelle umgeben, die zur altehrwürdigen Grabeskirche gehört. Touristen und Pilger können jetzt beim griechisch-orthodoxen Golgatha-Altar ein viel grösseres Stück des Naturfelsens sehen, als es früher möglich war. Gerade auch israelische Forscher zweifeln nicht an der Lage von Golgatha unter der Grabeskirche.

Aber kennen wir auch das Grab Christi? Im Markus-Evangelium, das so gut wie sicher aus der Zeit vor der Tempelzerstörung im Jahr 70 stammt, heisst es: "Maria von Magdala aber und Maria, die Mutter des Joses, sahen, wo Jesus hingelegt worden war" (Markus 15,47). Die Evangelisten sind sonst sehr sparsam mit solchen Bemerkungen. Hier weist Markus darauf hin, dass die Jerusalemer Urgemeinde das Grab Jesu genau kannte, weil die beiden Frauen Zeuginnen waren. Bis zum Bar-Kochba-Aufstand (132-135 n.Chr.) gab es Judenchristen in Jerusalem. Ihre Ortsüberlieferung ging auf die heidenchristliche Gemeinde über, die nach der Vertreibung der Juden durch die Römer in Jerusalem blieben. Kaiser Hadrian liess zwar über Golgatha und dem Grab Jesu einen Venustempel erbauen, aber die Lage der Stätten blieb bekannt. Nach dem Konzil von Nicäa im Jahr 325 drängte die fromme Kaisermutter Helena, die vielleicht jüdischer Abstammung war, ihren Sohn Konstantin, eine Basilika über den Stätten von Kreuz und Auferstehung zu errichten.

Der heutige Bau über dem Heiligen Grab macht es Besuchern nicht einfach. Er wurde nach dem Brand von 1808 im damaligen überladenen Stil errichtet. Um 1960 einigten sich Katholiken, Griechisch-Orthodoxe und Armenier auf die Erneuerung der Grabeskirche. Als gewisser Abschluss wurde 1996 die Kuppel über dem Heiligen Grab eingeweiht. Sie lässt Tageslicht auf den Grabbau scheinen. Dessen Renovierung ist freilich unumgänglich. Das Griechisch-Orthodoxe Patriarchat hat mit den Voruntersuchungen einen Anglikaner betraut. Professor Martin Biddle von der Universität Oxford führte neue Methoden ein, um mehr Erkenntnisse zum Grab Christi zu gewinnen. So studierte er alle erreichbaren Pläne, Bilder und Modelle, die es aus der Zeit vor dem Brand von 1808 gibt. Wir wissen heute, dass Konstantin das Grab Christi vom umgebenden Felsen trennen liess. Der übriggebliebene Felsen um die Grabkammer wurde zu einem Kuppelbau (aedicula) umgestaltet. Ein kleines Stück sieht man heute noch in der koptischen Grabkapelle.

Im Jahr 1009 befahl zu islamischer Zeit Kalif Hakim, das Grab Christi zu zerstören. Wieviel vom Felsgrab Jesu blieb unter den heutigen Mauern und Marmorplatten erhalten? So lautete lange die bange Frage der Archäologen. Offenbar viel mehr, als man bisher zu hoffen wagte! Das ist das vorläufige Ergebnis von Professor Biddle, über das er in dem umfassend illustrierten Buch "Das Grab Christi" (Brunnen-Verlag, Giessen 1998) berichtet. Hochentwickelte photographische Aufnahmetechniken erlaubten es, Bauteile "sichtbar" zu machen, die heute unter Mauern liegen. Die Informationen, die man auf diese Weise gewinnt, sind in den Computer eingegeben worden. Man kann dann Bilder vom Grabbau simulieren, die dem menschlichen Auge entzogen sind.

Es ist demnach so gut wie sicher, dass die am weitesten verbreitete Rekonstruktion des Grabes Christi korrigiert werden muss. Sie rechnet mit einem ganz in den Felsen geschlagenen Vorraum, vor dem der Rollstein lag. Nach den neuen Erkenntnissen gab es einen größtenteils nach oben offenen, in den Felsen geschlagenen kleinen Vorhof (heutige Engelskapelle). Damit fügt sich das Grab Christi in die Form damaliger jüdischer Gräber ein und das ist ein weiteres Echtheitszeichen. Ganz im Felsen liegende Vorkammern findet man in Jerusalem nur bei königlichen Gräbern wie dem der Familie von Herodes dem Grossen beim King-David-Hotel. Selbst das vor wenigen Jahren aufgefundene Grab des Hohenpriesters Kaiphas gleicht eher der bescheideneren Form des Grabes Christi.

Der Rollstein verschloss den Eingang zur eigentlichen Grabkammer, die ganz im Felsen lag. Diese Kammer war vermutlich quadratisch, wie es wieder der Form anderer jüdischer Gräber entspricht. Aber diese und andere Fragen lassen sich erst endgültig beantworten, wenn im Rahmen einer dringenden Renovierung eine archäologische Untersuchung erfolgt. Nach dem Markus-Evangelium befand sich das Grab Jesu rechts vom Eingang (Markus 16,5) und so entspricht es dem jetzigen Zustand. Zu klären ist noch, ob es sich um den rechten Teil einer umlaufenden Grabbank handelte, wie wir sie so oft in Jerusalemer Gräbern finden. Oder war über einem Bankgrab ein Bogen aus dem Felsen geschlagen, wie viele aufgrund von Pilgerberichten annehmen? Erst bei der Freilegung kann man auch überprüfen, ob die Bauleute Konstantins das Grab Christi durch Pilgerinschriften identifizieren konnten.

Schon jetzt aber sind die Gründe überzeugend, dass wir in der Grabeskirche nicht nur den Golgatha-Felsen, sondern auch das Grab Christi finden. Natürlich ist der Inhalt des Heilsgeschehens wichtiger als der Ort, wo es sich ereignete. Und doch kann uns der Ort etwas Wesentliches lehren. Gott handelt nicht im Irgendwo und damit letztlich im Nirgendwo. Ihm geht es um uns Menschen aus Fleisch und Blut. Und deshalb hat sein Sohn Jesus Christus Fleisch und Blut angenommen. Sein Grab konnte man genauso zeigen, wie man eines Tages unser Grab zeigen wird. Aber in einem unterscheidet sich dieses Felsgrab im Nordwesten Jerusalems von allen anderen Gräbern der Weltgeschichte. Dieses Grab ist nicht leer, weil es ausgeraubt wurde oder der Tote verweste. Dieses Grab ist leer, weil Gott den Gekreuzigten auferweckt hat und so anfing, den Tod für allezeit zu entmachten. Von diesem Grab gilt wirklich, dass "über ihm der Himmel offen ist".

Datum: 26.03.2002
Autor: Rainer Riesner
Quelle: idea Deutschland

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