«Homs ist eine tote Stadt»

Christen in Syrien zwischen den Fronten

Weil das Assad-Regime sie schützte, fürchten Syriens Christen den Zorn der Aufständischen. Wer fliehen kann, flieht. Doch Hunderte müssen in eingekesselten Städten ausharren, wie ihre muslimischen Landsleute auch.
Gottesdienst einer Gemeinde in Damaskus, Syrien. (Bild: koptisch.wordpress)


«Ich kann es einfach nicht verstehen», sagt Fahd. Der 30jährige Syrier stammt aus Homs, der hart umkämpften Stadt in Syrien, wo hunderte Menschen in Todesangst leben, weil sie zwischen den Fronten gefangen sind. Vor sechs Monaten sei das Leben noch völlig normal gewesen, nun sei Homs «eine tote Stadt», erzählt Fahd verzweifelt. «Ich kann nicht glauben, was da passiert.»

Regierungstruppen und Opposition kämpfen seit Wochen um die Kontrolle der Stadt. Viele Menschen sind geflohen, so auch Fahd und Teile seiner Familie. Diejenigen, die geblieben sind, bangen um ihr Leben.
 
Es ist schwer, überhaupt in Kontakt mit ihnen zu bekommen. «Alle haben Angst und wollen am Telefon nicht reden», sagt Fahd, der sich nun in den Vereinigten Arabischen Emiraten aufhält. Fahd ist Christ, er kommt aus Hamidiyeh, dem christlichen Viertel in Homs, wo hunderte Menschen wegen der blutigen Kämpfe eingesperrt sind. Auf seinem linken Unterarm trägt er ein Tattoo – ein langgezogenes schwarzes Kreuz. Doch Religion spiele keine Rolle, wenn es um Syrien geht, sagt er. Alle litten unter der Gewalt. «Die Kirchen sind zerstört, aber auch die Moscheen».

Zivilisten eingeschlossen

Die Strassen in Hamidiyeh in Homs sind laut Augenzeugenberichten menschenleer, Kirchen und Gebäude sind zerstört und ausgebombt, es fehlen Strom, Nahrung und medizinische Hilfe. Eine kleine Gruppe von Christen, die noch in Homs sind, appelliert verzweifelt an alle Seiten, den eingeschlossenen Bewohnern ein sicheres Geleit aus der Stadt zu gewähren. Der katholische Priester Michel Noman schreibt auf einer Facebook-Seite, die dem Viertel gewidmet ist, er wolle den Menschen Mut machen: «Ich sage Ihnen, dass Leute daran arbeiten, dass wir rauskommen.»
 
Doch die Realität ist komplizierter. Das Internationale Rote Kreuz ist zwar bereit, die Einwohner aus Homs zu evakuieren. Doch die Helfer können nichts tun. «Hunderte Zivilisten sind in der Altstadt von Homs eingeschlossen. Wegen der Kämpfe können sie die Stadt nicht verlassen, um Zuflucht in sicheren Gegenden zu finden», sagt Béatrice Mégevand-Roggo von der Hilfsorganisation.

Zehn Prozent sind Christen

Christen machen rund zehn Prozent der syrischen Bevölkerung aus. Weil das Land mit seinen 22 Millionen Einwohnern am Rande des Bürgerkrieges steht, müssen religiöse Minderheiten befürchten, zwischen alle Fronten zu geraten. Der seit über 15 Monaten blutige Aufstand gegen Präsident Baschar al-Assad hat bereits mindestens 10‘000 Menschen das Leben gekostet. Ein Ende der Gewalt ist nicht in Sicht.
 
In Syrien könnte sich wiederholen, was im Irak nach dem Sturz von Saddam Hussein 2003 passierte. Dort gerieten die Christen in den sektiererischen Konflikt zwischen den zwei wichtigsten islamischen Schulen – Schia und Sunni: Islamisten bombardierten Kirchen, Christen wurden getötet, gekidnappt, eingesperrt, gefoltert und zum Islam zwangsbekehrt. Im Jahre 2006 wurde der griechisch-orthodoxe
Geistliche Boulos Iskander enthauptet, obwohl ein Lösegeld für ihn gezahlt worden war. Zwei Jahre später starb der Erzbischof von Mosul, Paulos Faraj Rahho, in den Händen seiner Geiselnehmer. Gut die Hälfte der irakischen Christen floh auf Grund der Bedrohung aus dem Land, ein Grossteil davon in das benachbarte Syrien, wo sich die Geschichte nun zu wiederholen droht.

Bangen um Zukunft

Einige in Homs befürchten, dass die christliche Minderheit von den syrischen Rebellen benutzt wird, um die Regierung weiter unter Druck zu setzen. Kürzlich versicherte die Regierung, man sei bereit, die Zivilisten aus Homs zu evakuieren, doch die Oppositionskämpfer verhinderten dies. Die Opposition hingegen beschuldigt die Regierung, die Menschen in Homs nicht retten zu wollen.

Die Christen in Syrien standen bislang weitgehend auf der Seite des Assad-Regimes. Christen bekleiden wichtige Posten in der syrischen Regierung und der Armee. Assad, der selbst zu der muslimischen Splittergruppe der Alawiten gehört, während die Mehrheit des Landes Sunniten sind, hat sich um eine säkulare Politik bemüht, und den Minderheiten Religionsfreiheit und Schutz zugesichert.
 
Doch die Christen und andere religiöse Minderheiten bangen um ihre Zukunft. Viele wie Fahd sind bereits geflohen, weil niemand mehr sicher ist. Der Vater seiner Schwägerin sei von den Rebellen getötet worden, weil sie ihn beschuldigten, die Regierung zu unterstützen. «Er hat für die Stromwerke der Stadt gearbeitet», sagt Fahd, und schüttelt den Kopf. «Das ist alles».

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Datum: 05.07.2012
Autor: Agnes Tandler
Quelle: Epd

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