Sexueller Missbrauch

Polemik gegen die Freikirchen

In einer von Christen geführten Kinderkrippe im Zürcher Oberland hat ein Erzieher ein zweieinhalbjähriges Mädchen missbraucht. Der Mann, seit dem 11. März in Haft, hat drei weitere, in der Freizeit begangene Taten gestanden. Die Zürcher Freikirche ICF, wo der Mann letzthin als Freiwilliger mitwirkte, wehrt sich gegen Unterstellungen des Tages-Anzeigers. Die Zeitung stellt die Freikirchen als «Biotop» dar, in dem ähnlich wie in der katholischen Kirche zu wenig gegen Kindsmissbrauch vorgekehrt werde.
Freundschaftliche Beziehungen: Am Eingang zur Celebration Hall des ICF Zürich.

Der 29-jährige ausgebildete Kleinkinderzieher (Deckname Markus L.) war seit Herbst 2009 in der Kinderkrippe «Purzelbaum» in Volketswil bei Uster angestellt. Ein Jahr später bot sich Markus L. dem ICF Züri Oberland als Freiwilliger für Kinderbetreuung an und leistete in den letzten Monaten an neun Sonntagen einen Einsatz. Diese Tatsache hat der Tages-Anzeiger zu einer Breitseite gegen das ICF und Freikirchen generell genutzt. Der reformierte Sektenexperte Georg Otto Schmid schildert in der Zeitung die Freikirchen als gut vernetzte Szene, in der «man zusammenhält und sich gegen aussen abgrenzt».

Laut Schmid «können sich viele Evangelikale nicht vorstellen, dass Leute ihres Glaubens massivst sündigen können. Für Freikirchler können Freikirchler nicht pädophil sein». Der Tages-Anzeiger setzte diese pauschale Behauptung als Titel über das Interview.*) Georg Otto Schmid  weiter: «Ein ICFler ist für ein Mitglied der Christlichen Gemeinde Volketswil automatisch rechtgläubig und ein guter Mensch.»

«Wir stellen ab sofort keine Männer mehr ein»

Tatsache ist, dass Markus L. 2003-2004 als Praktikant im «Purzelbaum» arbeitete. Man kannte ihn und stellte ihn 2009 als Miterzieher ein, nachdem er an der Berufsfachschule Winterthur die Ausbildung abgeschlossen hatte. Ernst Voegeli, Leiter des Trägervereins der Kinderkrippe, ist tief betroffen von der Tat. Gegenüber Livenet sagte Voegeli, die Raffiniertheit von Pädophilen sei beängstigend. «Wir stellen ab sofort keine Männer mehr ein.»

Zudem wird die Kinderkrippe nach Absprache mit dem Notfallpsychologen Herbert Wyss ihr Anstellungsverfahren verfeinern und interne Abläufe überprüfen. Ernst Voegeli hat sich in der Vergangenheit für die Sensibilisierung gegen sexuelle Übergriffe eingesetzt: Für Kinder- und Jugendarbeitende in der Region organisierte er zwei Schulungsabende mit Mira, der Fachstelle für die Prävention sexueller Ausbeutung von Minderjährigen. Im Trägerverein des «Purzelbaums» wirken Mitglieder der von Voegeli gegründeten Christlichen Gemeinde Volketswil mit, die der Gruppe der «Freien Charismatischen Gemeinden der Schweiz» angehört.

Regeln im ICF

Die ICF-Leitung in Zürich hat in einer Stellungnahme, die am Sonntag den Gottesdienstbesuchern abgegeben wurde, ihre Betroffenheit bekundet und informiert . Der geständige Täter sei «seit sechs Monaten für ICF Züri Oberland als Volunteer im Chinderexpress, Altersstufe sechs bis neun Jahre» tätig gewesen; er habe an neun Sonntagen einen Einsatz geleistet. Nach den bisherigen Abklärungen habe es im ICF keine Übergriffe gegeben; es sei bisher auch kein Verdacht geäussert worden. Gegenüber Livenet präzisiert Linder, dass Markus L. bei der Durchführung des Kinderprogramms mithalf und dies immer in Gruppen geschah. (Anders als es der Tages-Anzeiger darstellt, war L. schon fast ein Jahr im «Purzelbaum» tätig, als er sich im ICF Züri Oberland als Freiwilliger bewarb.)

Die ICF-Leitung betont, dass seit Jahren Auswahl- und Einsatzregeln für die Mitarbeit im Kinder- und Jugendbereich gelten, auf der Basis der Richtlinien des Vereins Mira. Bei Bewerbern werden Referenzen eingeholt; sie müssen persönliche Fragen schriftlich beantworten und werden instruiert. Man habe nun unverzüglich überprüft, ob die Regeln «korrekt und konsequent» angewendet wurden, und bisher «keine Unregelmässigkeiten oder gar Fahrlässigkeiten» festgestellt, heisst es in der Stellungnahme. Zugleich räumt die ICF-Leitung ein, es sei dem Erzieher «trotz allen Vorkehrungen gelungen, sich auch bei uns als Mitarbeiter einsetzen zu lassen».

«Grundlose Unterstellung»

Die Aussage von Georg Otto Schmid im «Tages-Anzeiger)», ICF sei mit seinen Kleingruppen «sektenhafter als andere Freikirchen, die Betreuung der Mitglieder durch einen Mentor ist eng», weist ICF-Sprecher Dani Linder zurück. Schmid äusserte aufgrund des Mentorings in den ICF-Kleingruppen, es sei «sehr gut vorstellbar, dass der Mentor des Erziehers von seinen Neigungen gewusst hat. Wenn er der Kinderkrippe nichts davon gesagt hat, ist das höchst problematisch». Das ist für Linder eine haltlose Unterstellung. (Gegenüber Livenet hat Georg Otto Schmid nach Erscheinen des Artikels betont, er habe nicht die Vermutung geäussert, der Mentor habe von den Neigungen von Markus L. gewusst. Vielmehr wolle er annehmen, dass der Mentor andernfalls aktiv geworden wäre).

Der Sprecher des ICF betont, die Verantwortlichen seien sich «gerade als Freikirchler sehr wohl bewusst, dass auch bei uns die unterschiedlichsten Suchtformen anzutreffen sind». Ab Mai werde ein Kurs angeboten, der Hilfe zum Freiwerden von schädlichem Pornografiekonsum biete. Die Kleingruppen hätten zum Ziel, «einen Rahmen für freundschaftliche Beziehungen zu bieten, die aber eben in Bezug auf den Grad der Offenheit der Teilnehmer sehr unterschiedlich sein können».

*) Georg Otto Schmid hält gegenüber Livenet fest, dass der Journalist des Tages-Anzeigers diesen Satz als Überspitzung der Interview-Aussage vorschlug und mit seiner Billigung als Titel setzte. Den Satz «Für Freikirchler können Freikirchler nicht pädophil sein» habe er im Interview selbst nicht gesagt.

Kommentare zum Thema:
Unnötige Polemik schadet allen Christen (Kommentar Fritz Imhof)
Ein heilsamer Schock? (Kommentar Wilf Gasser)

Webseite:
Fachstelle mira

 

Datum: 29.03.2011
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet.ch

Publireportage
Werbung
Livenet Service
Werbung