Andreas

Andreas, der Bruder des Simon Petrus, war einer von den zweien, die es von Johannes gehört hatten und ihm nachgefolgt waren. Dieser findet zuerst seinen eigenen Bruder Simon und spricht zu ihm: »Wir haben den Messias gefunden« – was übersetzt ist: Christus. Und er führte ihn zu Jesus. Johannes 1,40-42 Von den vier Jüngern aus der Führungsgruppe wissen wir über Petrus’ Bruder Andreas am wenigsten. Obwohl er zu diesen vier Jüngern gehörte, befand sich Andreas meistens im Hintergrund. Bei vielen wichtigen Ereignissen, die Petrus, Jakobus und Johannes mit Christus erlebten, war er nicht dabei (Mt 17,1; Mk 5,37; 14,33). Bei anderen Gelegenheiten gehörte er jedoch zum inneren Kreis (vgl. Mk 1,29; 13,3). Es steht außer Frage, dass er eine besonders enge Beziehung zu Christus hatte, da er häufig andere Menschen mit dem Herrn persönlich bekannt machte. Andreas war der erste berufene Jünger (Joh 1,35-40). Wie wir gleich sehen werden, stellte er Christus seinen dominanteren Bruder Petrus vor (V. 41-42). Sein Eifer in der Nachfolge Christi, verbunden mit dem Anliegen, andere zu ihm zu führen, ist sehr bezeichnend für Andreas’ Charakter. Petrus und Andreas stammten ursprünglich aus dem Dorf Betsaida (Joh 1,44). Bisher konnten Archäologen die genaue Lage von Betsaida noch nicht bestimmen, aber aus der neutestamentlichen Beschreibung wird deutlich, dass es in Nordgaliläa lag. Irgendwann zogen die beiden Brüder in die größere Stadt Kapernaum in der Nähe ihres Heimatorts. In Kapernaum besaßen Petrus und Andreas ein gemeinsames Haus (Mk 1,29) und einen Fischereibetrieb. Kapernaum war ein besonders günstiger Standort, da es am Nordufer des Sees von Galiläa lag (das für großen Fischreichtum bekannt war). Zudem kreuzten sich bei dieser Stadt wichtige Handelsrouten. Wahrscheinlich waren Petrus und Andreas lebenslange Gefährten der anderen beiden Fischer aus Kapernaum – dem Brüderpaar Jakobus und Johannes, den Söhnen des Zebedäus. Noch bevor sie Jesus trafen, teilten diese Vier anscheinend gemeinsame geistliche Interessen. Offenbar ließen sie ihre Arbeit ruhen, suchten Johannes denTäufer in der Wüste auf und wurden seine Jünger. Dort begegneten sie Christus zum ersten Mal. Und als sie zum Fischen zurückgingen (noch bevor Jesus sie zur vollzeitigen Jüngerschaft berief ), blieben sie als Partner zusammen. So bildeten sie auf natürliche Weise eine geschlossene Einheit innerhalb der Zwölf. In vieler Hinsicht schienen diese Vier unzertrennlich gewesen zu sein. Offenbar wollten alle vier Männer Leiter werden. Als Gruppe übten sie eine Art gemeinsame Leiterschaft über die anderen Jünger aus. Wir haben bereits gesehen, dass Petrus zweifelsfrei aus dieser Gruppe herausragte und normalerweise der Sprecher der Zwölf war – ob sie es nun mochten oder nicht. Dennoch wird deutlich, dass alle vier Jünger des inneren Kreises nach der Führungsposition strebten. Daher rührte die gelegentlich beschämende Streitfrage, wer der Größte unter ihnen sei. Ihr Eifer für die Leiterschaft – durch den viele Konflikte in der Gruppe hervorgerufen wurden – war letzten Endes besonders wichtig, als diese Männer als Apostel in der frühen Gemeinde getrennte Wege gingen. Jesus bildete sie zur Leiterschaft aus, und am Ende bekleideten sie alle wichtige Führungsrollen in der frühen Gemeinde. Aus diesem Grund vergleicht sie die Schrift mit der Grundlage der Gemeinde, »wobei Christus Jesus selbst Eckstein ist« (Eph 2,20). Allerdings fiel Andreas von den vier Jüngern im inneren Kreis am wenigsten auf. Die Schrift berichtet uns nicht viel über ihn. Man kann geradezu an den Fingern abzählen, wie oft er in den Evangelien erwähnt wird. (Außer in der allgemeinen Auflistung der zwölf Jünger wird er im Neuen Testament neunmal erwähnt, und meistens wird auch an diesen Stellen lediglich sein Name genannt.) Andreas führte ein Leben im Schatten seines bekannteren Bruders. An vielen Stellen wird sein Name mit dem Zusatz versehen, dass er Petrus’ Bruder war, gerade so, als hätte ihn dies zu etwas Besonderem gemacht. Wenn ein Bruder den anderen in einem solchen Ausmaß in den Schatten stellt, finden wir normalerweise Groll, starke geschwisterliche Rivalität oder sogar Entfremdung vor. Doch bei Andreas ist nicht zu erkennen, dass er Petrus dessen Vorherrschaft missgönnte. Zur Erinnerung: Andreas brachte Petrus zu Christus. Er tat es sofort und ohne Zögern. Natürlich war sich Andreas bewusst, dass Petrus zu Dominanz neigte. Er muss sich völlig darüber im Klaren gewesen sein, dass Petrus, sobald dieser zu den Jüngern gehörte, das Ruder an sich reißen und Andreas nur noch zweitrangig sein würde. Dennoch machte Andreas seinen älteren Bruder mit Christus bekannt. Allein diese Tatsache sagt viel über seinen Charakter aus. Nahezu alles, was uns die Schrift über Andreas mitteilt, zeigt sein Herz für einen wirkungsvollen Dienst im Hintergrund. Er wollte nicht im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen. Er zeigte keine Missgunst gegenüber denen im Mittelpunkt. Offensichtlich war er mit dem zufrieden, was er mit seinen Gaben und seiner Berufung ausrichten konnte. Gott hatte ihn beschenkt, und er gönnte den anderen ihren Segen. Von allen Jüngern im inneren Kreis schien Andreas am wenigsten streitsüchtig und am rücksichtsvollsten zu sein. Wie wir schon wissen, neigte Petrus zu Impulsivität; gedankenlos stürmte er voran und sagte die falschen Dinge zur falschen Zeit. Oftmals war er dreist, ungeschickt, voreilig und ungestüm. Jakobus und Johannes trugen aufgrund ihrer Neigung zur Leichtsinnigkeit den Beinamen »Söhne des Donners.« Offenbar lösten sie viele Diskussionen darüber aus, wer von ihnen der Größte sei. Von Andreas lesen wir nichts dergleichen. Wann immer er sich zu Wort meldet – was in der Schrift selten genug vorkommt –, sagt er das Richtige. Dasselbe gilt für sein Handeln ohne die anderen Jünger. Die Schrift berichtet nichts Unehrenhaftes über seine Taten. In manchen Situationen machte Andreas sicherlich die gleichen Fehler wie die anderen, wenn er Petrus’ Führung folgte oder zusammen mit der Gesamtgruppe handelte. Doch immer wenn sein Name ausdrücklich erwähnt wird und er als Einzelperson spricht oder handelt, lobt die Schrift ihn. Er war ein wirkungsvoller Leiter, auch wenn er nicht im Rampenlicht stand. Obwohl Andreas und Petrus Brüder waren, hatten sie völlig verschiedene Führungsstile. Doch genauso wie Petrus für seine Berufung vollkommen geeignet war, entsprach auch Andreas seiner Berufung perfekt. Andreas mag sogar ein besseres Vorbild für viele Gemeindeleiter sein als Petrus, da die meisten in dieser Position genauso wie Andreas eher in relativer Unbekanntheit arbeiten – im Gegensatz zu Petrus. Andreas bedeutet »männlich«. Das war anscheinend eine passende Bezeichnung. Natürlich verlangte seine Arbeit als Fischer ein hohes Maß an körperlicher Kraft. Doch Andreas besaß auch andere männliche Kennzeichen. Er war mutig, entschlossen und besonnen. Nichts an ihm ist schwach oder weichlich. Er wurde von einer tiefen Leidenschaft für die Wahrheit angetrieben, und für diesen Zweck war er gewillt, sich extremen Entbehrungen auszusetzen. Als Jesus ihm zum ersten Mal begegnete, war Andreas bereits ein gottesfürchtiger Mann und gehörte zu den Jüngern von Johannes dem Täufer. Dieser war bekannt für sein raues Erscheinungsbild und seine spartanische Lebensweise. Die Schrift sagt über ihn: »Er aber, Johannes, hatte seine Kleidung von Kamelhaaren und einen ledernen Gürtel um seine Lenden; seine Speise aber waren Heuschrecken und wilder Honig« (Mt 3,4). Er lebte und diente in der Wüste, abgeschnitten von allen Bequemlichkeiten und Annehmlichkeiten des Stadtlebens. Als Jünger von Johannes dem Täufer konnte man deshalb nur schwerlich ein weicher Typ sein. Das Johannes-Evangelium beschreibt Andreas’ erste Begegnung mit Jesus. Es war in der Wüste, wo Johannes der Täufer Buße predigte und Bekehrte taufte. Der Apostel Johannes war Augenzeuge dieser Begebenheit, da er und Andreas zusammen als Jünger von Johannes dem Täufer dort waren. (Der Apostel Johannes nennt sich nicht mit Namen. Bis zum Ende seines Evangeliums hält er sich anonym. Doch die Art und Weise, in der er die Einzelheiten dieser Begegnung bis hin zur Angabe der Tageszeit erzählt, legt nahe, dass sein Wissen aus erster Hand stammte. Offenbar war er der andere Jünger, von dem berichtet wird.) Andreas’ persönliche Begegnung mit Jesus ereignete sich am Tag nach Jesu Taufe (V. 29-34). Andreas und Johannes standen neben dem Täufer, als Jesus vorüberging und Johannes der Täufer sagte: »Siehe, das Lamm Gottes!« (Joh 1,35-36). Sofort verließen sie Johannes und folgten Jesus nach (V. 37). Das heißt nicht, dass sie unbeständig waren oder ihrem Mentor untreu wurden. Das genaue Gegenteil war der Fall. Johannes der Täufer hatte bereits ausdrücklich abgestritten, der Messias zu sein: »Und dies ist das Zeugnis des Johannes, als die Juden aus Jerusalem Priester und Leviten zu ihm sandten, damit sie ihn fragen sollten: Wer bist du? Und er bekannte und leugnete nicht, und er bekannte: Ich bin nicht der Christus« (V. 19-20). Als die Leute Johannes nach seiner Identität fragten, sagte er: »Ich bin die ›Stimme eines Rufenden in der Wüste: Macht gerade den Weg des Herrn‹, wie Jesaja, der Prophet, gesagt hat« (V. 23). Dadurch hatte Johannes der Täufer deutlich erklärt, dass er nur der Wegbereiter des Messias war. Er war gekommen, um den Weg zu bereiten und den Menschen den richtigen Weg zu zeigen. Seine zentrale Botschaft war die Vorbereitung auf den Messias, der schon bald kommen würde. Somit warteten Andreas und Johannes nur auf den Messias. Nachdem Johannes der Täufer Jesus als das Lamm Gottes bezeichnete, verließen ihn die beiden Jünger augenblicklich und folgten Christus nach. Sie taten das Richtige. Der Täufer hätte ihre Entscheidung sicherlich gutgeheißen. Die Bibel berichtet weiter: »Jesus aber wandte sich um und sah sie nachfolgen und spricht zu ihnen: Was sucht ihr? Sie aber sagten zu ihm: Rabbi – was übersetzt heißt: Lehrer – wo hältst du dich auf? Er spricht zu ihnen: Kommt, und ihr werdet sehen! Sie kamen nun und sahen, wo er sich aufhielt, und blieben jenen Tag bei ihm« (V. 38-39). Es war etwa vier Uhr nachmittags (»die zehnte Stunde« – V. 39), als sie Christus begegneten. Sie folgten ihm zu dem Ort, an dem er sich aufhielt, und verbrachten den Rest des Tages bei ihm. Wahrscheinlich war es ein angemietetes Haus oder nur ein Raum in einem rustikalen Gasthaus – in der Nähe von Johannes dem Täufer in der Wüste. Aber diese beiden Jünger hatten das Vorrecht, den Nachmittag und Abend in Gemeinschaft mit Jesus zu verbringen. Sie gingen mit der Überzeugung, den wahren Messias gefunden zu haben. An diesem Tag begegneten sie Jesus, lernten ihn näher kennen und wurden von ihm belehrt. So wurden Andreas und Johannes zu Jesu ersten Jüngern. Beachten Sie, was Andreas als Erstes tat: »Dieser findet zuerst seinen eigenen Bruder Simon und spricht zu ihm: Wir haben den Messias gefunden – was übersetzt ist: Christus. Und er führte ihn zu Jesus« (V. 41-42). Die Neuigkeiten waren zu gut, um sie für sich zu behalten, deshalb suchte und fand Andreas den Menschen, den er am meisten liebte – den er unbedingt mit Jesus bekannt machen wollte – und führte ihn zu Christus. Wie wir im vorigen Kapitel gesehen haben, gingen Petrus und Andreas nach der anfänglichen Begegnung mit Jesus zurück nach Kapernaum und nahmen wieder ihre Tätigkeit als Fischer auf. Zu einem späteren Zeitpunkt – möglicherweise nach mehreren Monaten – kam Jesus wieder nach Galiläa, um dort zu dienen. Er hatte sein Wirken in und um Jerusalem begonnen, wo er den Tempel reinigte und die Feindschaft der religiösen Führer auf sich zog. Doch dann kehrte er zum Predigen und Heilen nach Galiläa zurück und kam schließlich nach Kapernaum. Dort traf er die vier Brüder beim Fischen wieder. Matthäus 4,18-22 berichtet von dieser Begegnung: Als er aber am See von Galiläa entlangging, sah er zwei Brüder: Simon, genannt Petrus, und Andreas, seinen Bruder, die ein Netz in den See warfen, denn sie waren Fischer. Und er spricht zu ihnen: Kommt, mir nach! Und ich werde euch zu Menschenfischern machen. Sie aber verließen sogleich die Netze und folgten ihm nach. Und als er von dort weiterging, sah er zwei andere Brüder: Jakobus, den Sohn des Zebedäus, und Johannes, seinen Bruder, im Boot mit ihrem Vater Zebedäus, wie sie ihre Netze ausbesserten; und er rief sie. Sie aber verließen sogleich das Boot und ihren Vater und folgten ihm nach. Dieses Mal verließen sie ihre Arbeit, um ihm beständig nachzufolgen. Einen parallelen Bericht dieser Begebenheit finden wir in Lukas 5,1-11. Aber in Lukas’ Schilderung wird Andreas nicht namentlich erwähnt. Der Bericht von Matthäus macht uns deutlich, dass er mit eingeschlossen war. Andreas befand sich so weit im Hintergrund, dass Lukas nicht einmal seinen Namen erwähnt. Er gehörte zu den Menschen, die selten in den Vordergrund rückten. Er blieb ein Stück weit im Verborgenen. Natürlich gehörte er zur Gruppe und folgte Christus genauso eifrig und schnell nach wie die anderen, aber er spielte eine stille, unauffällige Rolle im Hintergrund. Sein ganzes Leben hatte er im Schatten von Petrus verbracht und diese Rolle anscheinend akzeptiert. Genau das machte ihn so brauchbar. Seine Bereitschaft, als Nebendarsteller zu wirken, verlieh ihm oftmals Einblick in Dinge, die die anderen Jünger nur schwer begreifen konnten. Immer wenn er in den Vordergrund tritt, wird seine Fähigkeit deutlich, den enormen Wert kleiner, unscheinbarer Dinge zu erkennen. Er erkannte den Wert des Einzelnen Andreas war sich des Wertes einer einzelnen Seele bewusst. Er war dafür bekannt, Einzelpersonen und nicht Menschenmengen zu Jesus zu führen. Fast jedes Mal, wenn wir ihm in den Evangelien begegnen, bringt er jemanden zu Jesus. Denken Sie nur einmal daran, dass Andreas, nachdem er Christus gefunden hatte, als Erstes zu Petrus ging. Diese Begebenheit kennzeichnete die Art seines Dienstes. Bei der Speisung der Fünftausend war es Andreas, der den Jungen mit den Broten und Fischen zu Christus brachte. Die anderen Jünger wussten nicht, woher sie Essen für all die Menschen herbekommen sollten. Andreas führte den Jungen zu Jesus und sagte: »Es ist ein kleiner Junge hier, der fünf Gerstenbrote und zwei Fische hat« (Joh 6,9). Johannes 12,20-22 berichtet von einigen Griechen, die Philippus aufsuchten, weil sie Jesus sehen wollten. Wahrscheinlich waren sie Heiden, die von Jesu Ruf gehört hatten und ihn nun kennen lernen wollten. In Johannes 12,21-22 heißt es: »Diese nun kamen zu Philippus von Betsaida in Galiläa und baten ihn und sagten: Herr, wir möchten Jesus sehen. Philippus kommt und sagt es Andreas, es kommt Andreas und Philippus, und sie sagen es Jesus.« Bezeichnenderweise traten diese Männer an Philippus heran, doch dieser brachte sie zu Andreas, der sie dem Herrn vorstellte. Warum führte Philippus sie nicht direkt zu Jesus? Vielleicht war er von Natur aus schüchtern oder sich seiner Beziehung zu Christus nicht sicher genug. Oder er war sich über die richtige Vorgehensweise nicht im Klaren. Oder er war sich nicht sicher, ob Jesus sie überhaupt empfangen wollte. Auf jeden Fall wusste Philippus, dass Andreas Einzelne mit Christus bekannt machen konnte. Andreas machte es nicht nervös, wenn jemand Jesus sehen wollte. Er führte sie einfach zu ihm. Er wusste: Jesus würde jeden sehen wollen, der ihn sehen wollte (vgl. Joh 6,37). Da er es so häufig tat, hatte Andreas offenbar eine gewisse Gelassenheit und Sicherheit entwickelt, Menschen mit Christus bekannt zu machen. Anscheinend kannte er Jesus gut und fühlte sich bei dieser Aufgabe nicht unwohl. In Johannes 1 führte er Petrus zu Christus und wurde zum ersten Missionar innerhalb der Familie. Jetzt bringt er einige Griechen zu Christus, was ihn zum ersten Missionar für Ausländer machte. In all den Jahren meines Dienstes habe ich immer wieder beobachtet, dass sich die wirkungsvollsten und wichtigsten Aspekte des Evangelisierens normalerweise auf einer individuellen, persönlichen Ebene abspielen. Die meisten Menschen bekehren sich nicht unmittelbar durch eine Evangelisation zu Christus, vielmehr ist es der persönliche Einfluss eines Christen, der sie zu ihm führt. Meine Gemeinde versucht ein evangelistisches Umfeld zu pflegen. Und regelmäßig kommen Menschen zu Christus. In fast jedem unserer sonntäglichen Abendgottesdienste taufen wir mehrere neue Gläubige. Vor der Taufe geben sie ein kurzes Zeugnis. Und in den allermeisten Fällen wird berichtet, dass sie durch das Zeugnis eines Arbeitskollegen, Nachbarn, Verwandten oder Freundes zu Christus fanden. Gelegentlich hören wir Leute sagen, sie hätten sich direkt durch eine Predigt in der Gemeinde oder im Radio bekehrt. Doch selbst diese Fälle gehen auf den Einfluss einer Einzelperson zurück, die sie in die Gemeinde brachte. Zweifellos ist die persönliche Beziehung die effektivste Methode, um Menschen zu Christus zu führen. Sowohl Andreas als auch Petrus besaßen ein evangelistisches Herz, aber ihre Methoden waren vollkommen unterschiedlich. Petrus predigte zu Pfingsten, und der Gemeinde wurden dreitausend Gläubige hinzugefügt. In der Schrift weist nichts darauf hin, dass Andreas jemals zu vielen Menschen predigte oder die Massen bewegte. Er war es jedoch, der Petrus zu Christus führte. Die souveräne Vorsehung Gottes ließ Andreas seinen eigenen Bruder zu Christus bringen. Diese einzelne Tat führte wiederum zur Bekehrung des Mannes, der zu Pfingsten diese große Predigt hielt. Die Frucht des Dienstes von Petrus ist letzten Endes die Frucht von Andreas’ treuem, persönlichen Zeugnis. Gott wirkt oft auf diese Weise. Nur wenige haben je von Edward Kimball gehört. Sein Name ist eine Fußnote in den Annalen der Kirchengeschichte. Doch er war der Sonntagsschullehrer, der D.L. Moody zu Christus führte. Eines Nachmittags ging er in das Bostoner Schuhgeschäft, in dem der neunzehnjährige Moody arbeitete, und erzählte ihm im Lagerraum von Christus. Kimball war das genaue Gegenteil eines mutigen Evangelisten. Er war ein schüchterner, leise sprechender Mann. Auf dem Weg zum Schuhgeschäft fürchtete er sich und war sich ziemlich unsicher, ob er genügend Mut aufbringen würde, den jungen Mann mit dem Evangelium zu konfrontieren. Zu jener Zeit war Moody recht ungehobelt und offenkundig Analphabet, doch der Gedanke, mit ihm über Christus zu reden, ließ Kimball erzittern. Jahre später erinnerte sich Kimball an diese Begebenheit. Moody begann, seine Sonntagsschule zu besuchen. Es wurde deutlich, dass Moody die Bibel absolut nicht kannte. Kimball schrieb: Ich traf die Entscheidung, mit Moody über Christus und seine Seele zu sprechen. Ich ging zu Holtons Schuhgeschäft in die Innenstadt. Als ich fast angekommen war, begann ich mich zu fragen, ob ich es während der Geschäftszeit tun sollte. Und ich dachte, vielleicht würde ich den Jungen in Verlegenheit bringen, wenn sich die anderen Verkäufer nach mir erkundigen würden. Anschließend würden sie Moody eventuell verspotten und ihn fragen, ob ich aus ihm einen braven Jungen machen wollte. Während ich über all das nachdachte, ging ich am Laden vorbei, ohne es zu merken. Als ich drinnen war, beschloss ich, es anzugehen und hinter mich zu bringen. 1 Kimball fand Moody im Lagerraum, wo er Schuhe einpackte und ins Regal sortierte. Kimball bezeichnete seine Worte als »schlaff«. Später sagte er: »Ich kann mich nicht mehr daran erinnern, was ich sagte. Irgendetwas über Christus und seine Liebe – das war alles.« Er gab zu, dass es ein »schwacher Aufruf« 2 war. Doch daraufhin gab Moody dem Herrn sein Herz. Natürlich benutzte der Herr D.L. Moody als mächtigen Evangelisten in Amerika und England. Während der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts hatte sein Dienst auf beiden Seiten des Atlantiks enorme Auswirkungen. Zehntausende bezeugten, dass sie sich durch seinen Dienst zum Herrn bekehrten. Unter ihnen fanden sich Christen wie C.T. Studd, der große Pioniermissionar, und Wilbur Chapman, der selbst ein bekannter Evangelist wurde. Später gründete Moody das Moody Bible Institute, an dem im letzten Jahrhundert Tausende von Missionaren, Evangelisten und anderen christlichen Arbeitern ausgebildet wurden, die danach in die ganze Welt hinausgingen. All das geschah, weil ein treuer Mann einen einzigen Menschen mit Christus bekannt machte. Diesen Dienst »von Mann zu Mann« schien Andreas normalerweise auszuüben. Die meisten Gemeindeleiter würden sich über Menschen mit seiner Einstellung freuen. Zu viele Christen meinen, dass das Evangelisieren nicht in ihrer Verantwortung liege, da sie nicht vor Gruppen sprechen können oder keine Führungseigenschaften besitzen. Nur wenige begreifen wie Andreas den Wert, der darin liegt, sich mit anderen anzufreunden, um sie zu Christus zu führen. Er erkannte den Wert unscheinbarer Gaben Einige Menschen sehen das Gesamtbild besser, weil sie den Wert der kleinen Dinge kennen. Auch Andreas gehört in diese Kategorie. In Johannes’ Schilderung der Speisung der Fünftausend wird das deutlich. Um mit seinen Jüngern allein zu sein, hatte sich Jesus mit ihnen auf einen Berg zurückgezogen. Wie so häufig, wenn er sein öffentliches Wirken unterbrach, hatte ihn die Menge auch diesmal ausfindig gemacht. Es war kurz vor dem Passahfest, dem wichtigsten Feiertag im jüdischen Kalender. Und somit genau ein Jahr vor seiner Kreuzigung. Plötzlich kam eine große Menschenmenge auf sie zu. Irgendwie hatten sie herausbekommen, wo Jesus sich aufhielt. Die Essenszeit nahte, und Brot sollte zu Jesu Kernbotschaft für die Menge werden. So machte er deutlich, dass er allen zu essen geben wollte. Er fragte Philippus, wo sie Brot kaufen könnten. Johannes fügt eine Bemerkung hinzu, um die Tatsache zu betonen, dass Christus die Situation souverän kontrollierte: »Dies sagte er aber, um ihn zu prüfen; denn er selbst wusste, was er tun wollte« (Joh 6,6). Schnell überschlug Philippus ihre Finanzen und kam zu dem Ergebnis, dass sie nur zweihundert Denare besaßen. Ein Denar war der Tageslohn eines gewöhnlichen Arbeiters, so entsprachen zweihundert Denare etwa dem Lohn von acht Monaten. Es war eine beträchtliche Summe, aber die Menge war so groß, dass selbst zweihundert Denare nicht ausreichten, um für alle Lebensmittel zu kaufen. Philippus wurde durch die erforderliche Menge ernüchtert. Er und die anderen Jünger wussten nicht weiter. Matthäus, der dieselbe Begebenheit schildert, berichtet von der Reaktion der Jünger: »Der Ort ist öde, und die Zeit ist schon vergangen. Entlass die Volksmengen, dass sie hingehen in die Dörfer und sich Speise kaufen!« (Mt 14,15). Aber Jesus antwortete ihnen: »Sie haben nicht nötig wegzugehen. Gebt ihr ihnen zu essen!« (V. 16). Diese Worte müssen die Jünger verblüfft haben. Jesu Forderung schien unvernünftig zu sein. In diesem Augenblick meldete sich Andreas zu Wort. »Es ist ein kleiner Junge hier, der fünf Gerstenbrote und zwei Fische hat« (Joh 6,9). Natürlich wusste auch Andreas, dass fünf Gerstenbrote und zwei Fische für fünftausend Leute nicht ausreichen würden, aber er brachte (in seiner typischen Art) den Jungen trotzdem zu Jesus. Jesus hatte den Jüngern aufgetragen, den Menschen Essen zu geben, und Andreas wusste, dass er ihnen einen solchen Auftrag nicht erteilen würde, wenn sie ihn nicht auch ausführen könnten. So tat Andreas sein Bestes. Er spürte die einzige verfügbare Lebensmittelquelle auf und brachte sie zu Jesus. Etwas in ihm schien zu verstehen, dass in den Händen von Jesus keine Gabe unbedeutend ist. Johannes berichtet weiter: Jesus sprach: Macht, dass die Leute sich lagern! Es war aber viel Gras an dem Ort. Es lagerten sich nun die Männer, an Zahl etwa fünftausend. Jesus aber nahm die Brote, und als er gedankt hatte, teilte er sie denen aus, die da lagerten; ebenso auch von den Fischen, so viel sie wollten. Als sie aber gesättigt waren, spricht er zu seinen Jüngern: Sammelt die übrig gebliebenen Brocken, damit nichts umkomme! Sie sammelten nun und füllten zwölf Handkörbe mit Brocken von den fünf Gerstenbroten, welche denen, die gegessen hatten, übrig blieben. (V. 10-13) Was für eine erstaunliche Lektion! Dass aus so wenig so viel wurde, bezeugte die Macht Christi. In seinen Händen ist keine Gabe bedeutungslos. Die gleiche Lektion brachte unser Herr den Jüngern in Lukas 21,1-4 bei: »Er blickte aber auf und sah die Reichen ihre Gaben in den Schatzkasten legen. Er sah aber auch eine arme Witwe zwei Scherflein dort einlegen. Und er sprach: In Wahrheit sage ich euch, dass diese arme Witwe mehr eingelegt hat als alle. Denn alle diese haben von ihrem Überfluss eingelegt zu den Gaben; diese aber hat aus ihrem Mangel heraus den ganzen Lebensunterhalt, den sie hatte, eingelegt.« Mit anderen Worten: Der Arme, der alles gibt, was er hat, gibt mehr als der Reiche, der von seinem Überschuss weggibt. Gottes Fähigkeit, eine Gabe zu benutzen, wird auf keinen Fall durch die Größe der Gabe eingeschränkt oder vergrößert. Die aufopfernde Treue des Gebers – und nicht die Größe der Gabe – ist das wahre Maß, an dem die Bedeutung der Gabe gemessen wird. Für den menschlichen Verstand ist das schwer zu begreifen. Aber irgendwie schien Andreas instinktiv zu wissen, dass er Jesu Zeit nicht vergeudete, als er eine solch geringfügige Gabe zu ihm brachte. Nicht die Größe der Gabe zählt, sondern vielmehr die Größe des Gottes, dem sie gebracht wird. Andreas bereitete das Wunder vor. Natürlich hatte Jesus die Nahrungsmittel des Jungen überhaupt nicht nötig, um die Menge satt zu machen. Ebenso leicht hätte er Essen aus dem Nichts schaffen können. Aber die Speisung der Fünftausend illustriert Gottes allgemeine Vorgehensweise. Er nimmt die oftmals unscheinbaren Opfergaben der Menschen an und vermehrt sie, um große Dinge zu erreichen. Er erkannte den Wert des unauffälligen Dienens Einige Menschen wollen entweder die erste Geige spielen oder gar nicht. Jakobus und Johannes neigten dazu. Auch Petrus. Aber nicht Andreas. Bei den großen Diskussionen wird sein Name nicht erwähnt. Er war mehr daran interessiert, Menschen zu Jesus zu bringen, als an Anerkennung oder Führungspositionen. Er strebte kaum nach Ehre. Von ihm hören wir nur, wenn er jemanden zu Jesus führte. Andreas ist ein Bild für all jene, die im Stillen arbeiten und das »nicht mit Augendienerei, als Menschengefällige, sondern als Sklaven Christi, indem ihr den Willen Gottes von Herzen tut!« (Eph 6,6). Er war keine eindrucksvolle Säule wie Petrus, Jakobus und Johannes. Er war ein demütiger Stein. Er gehörte zu den seltenen Menschen, die bereit sind, die zweite Geige zu spielen und andere zu unterstützen. Ihn störte es nicht, im Hintergrund zu wirken, solange nur die Arbeit getan wurde. Das ist eine Lektion, die in der heutigen Zeit viele Christen lernen sollten. Die Schrift warnt vor dem Streben nach Führungsrollen; Lehrern sagt sie, sie würden nach strengeren Maßstäben beurteilt werden: »Werdet nicht viele Lehrer, meine Brüder, da ihr wisst, dass wir ein schwereres Urteil empfangen werden!« (Jak 3,1). Jesus lehrte die Jünger: »Wenn jemand der Erste sein will, soll er der Letzte von allen und aller Diener sein« (Mk 9,35). Ein Leiter mit dem Herz eines Dieners ist eine ganz besondere Art von Mensch. Auf Andreas traf dies zu. Soweit wir wissen, predigte Andreas nie zu Menschenmengen oder gründete gar Gemeinden. Er schrieb keinen Brief und wird weder in der Apostelgeschichte noch in einem der neutestamentlichen Briefe erwähnt. Was die Schrift über Andreas berichtet, gleicht mehr einer Silhouette als einem Porträt. Die Bibel schildert nicht, was nach Pfingsten mit Andreas geschah. Welche Rolle er in der frühen Kirchengeschichte auch spielte, er blieb im Hintergrund. Die Überlieferung sagt, dass er das Evangelium nach Norden trug. Der Kirchenhistoriker Eusebius schreibt, dass Andreas bis nach Skythien ging. (Andreas ist der Schutzpatron Russlands und Schottlands.) Gekreuzigt wurde er in Achaja in Südgriechenland nahe Athen. Einem Bericht zufolge führte er die Frau eines römischen Provinzstatthalters zu Christus, was ihren Mann gegen ihn aufbrachte. Dieser verlangte von seiner Frau, ihre Hingabe an Jesus Christus zu widerrufen, was sie jedoch ablehnte. Deshalb ließ er Andreas kreuzigen. Um seine Leiden zu verlängern, ordnete der Statthalter an, ihn ans Kreuz zu binden, anstatt zu nageln. (Nach der Überlieferung war es ein Schrägkreuz, also ein x-förmiges Kreuz.) Den meisten Berichten zufolge hing er zwei Tage am Kreuz und ermahnte Vorübergehende, sich zu Christus zu bekehren. Nach einem lebenslangen Dienst für den Herrn, einem Dienst im Schatten seines weitaus berühmteren Bruders ereilte ihn ein ähnliches Schicksal wie diese beiden. Bis zum Ende blieb er treu und versuchte, Menschen zu Christus zu führen. Andreas war ein privilegierter Jünger. Er war der Erste, der hörte, dass Jesus das Lamm Gottes war. Er war der Erste, der Christus nachfolgte. Er gehörte zum inneren Kreis und hatte eine vertraute Beziehung zu Christus. Sein Name wird zusammen mit denen der anderen Jünger auf den Grundsteinen der ewigen Stadt – des Neuen Jerusalems – stehen. Und das Beste von allem war, dass er sein ganzes Leben lang tun konnte, was er am liebsten tat: einzelne Menschen zum Herrn führen. Gott sei Dank für solche Menschen wie Andreas. Sie sind stille Personen mit unscheinbaren Gaben, die ihre Arbeit treu und unauffällig verrichten und viel für den Herrn erreichen. Sie erhalten wenig Anerkennung, suchen diese aber auch nicht. Sie wünschen sich nur, den Herrn sagen zu hören: »Recht so, du guter und treuer Knecht!« Andreas’ Beispiel zeigt uns, dass es oft die kleinen Dinge sind, die einen effektiven Dienst ausmachen – Einzelpersonen, unscheinbare Gaben und unauffälliges Dienen. Gott freut sich, diese Dinge zu gebrauchen, denn »das Törichte der Welt hat Gott auserwählt, damit er die Weisen zuschanden mache; und das Schwache der Welt hat Gott auserwählt, damit er das Starke zuschanden mache. Und das Unedle der Welt und das Verachtete hat Gott auserwählt, das, was nicht ist, damit er das, was ist, zunichte mache, dass sich vor Gott kein Fleisch rühme« (1Kor 1,27-29). 1 John C. Pollock, Moody: A Biographical Portrait of the Pacesetterin Modern Evangelism (New York: Macmillan, 1963),S. 13.2 Richard Ellsworth Day, Bush Aglow: The Life Story of Dwight Lyman Moody (Philadelphia: Judson, 1936), S. 65.Fortsetzung: Jakobus - Der Apostel, der für den Herrn eiferte


Datum: 02.07.2007
Autor: John MacArthur
Quelle: 12 ganz normale Männer

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